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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 622 / 13.12.2016

Die Strategie des »führerlosen Widerstands«

International Ein Gespräch mit Mattias Gardell über die Gedankenwelt rechtsextremer Mörder

Interview: Gabriel Kuhn

Mattias Gardell forscht seit dreißig Jahren zur extremen Rechten und sprach für seine Recherchen mit den extrem rechten Mödern Anders Behring Breivik und Peter Mangs. Breivik tötete im Sommer 2011 bei Anschlägen auf das Regierungsviertel in Oslo sowie auf das Sommercamp der Sozialdemokratischen Jugend auf der Insel Utøya 77 Menschen. Mangs beging von 2003 bis 2010 mehrere rassistisch motivierte Morde und Anschläge in Malmö und wurde 2012 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Sie haben sowohl Anders Behring Breivik als auch Peter Mangs im Gefängnis interviewt. Wie kam es dazu?

Mattias Gardell: Es begann mit meiner Aussage als Sachverständiger beim Prozess gegen Breivik. Ich erklärte sein Weltbild im Kontext rechtsextremer Ideologien. Natürlich war ich aufgrund meiner langjährigen Forschung auch daran interessiert, mit ihm selbst zu sprechen. Da Breivik jedoch mehrere Jahre - mit Ausnahme seiner engsten Familienangehörigen und seines Anwalts - keinen Besuch entgegennehmen durfte, musste ich warten. Schließlich klappte es. Breivik stimmte dem Interview zu, weil er im Prozess den Eindruck gewonnen hatte, dass ich seine Ideen richtig verstand.

Das Interesse an Mangs begann, als Breivik ihn einen »Bruder im selben Rassenkrieg« nannte. Mangs im Gefängnis zu besuchen, war vergleichsweise einfach. Ich fand seine persönliche Geschichte interessant, woraus die Idee für mein Buch »Raskrigaren« entstand. Mangs erklärte sich zur Zusammenarbeit bereit und wir trafen uns insgesamt zehnmal.

Aus Ihren linken Ansichten machen Sie keinen Hehl. Hat das die beiden nicht gestört?

Nein. Mangs wusste genau, wer ich war. Zwar passte ihm nicht, dass ich eine »ägyptische« Frau habe, aber auch das hielt ihn nicht davon ab, sich mit mir zu unterhalten. In Wirklichkeit kommt meine Frau aus Kolumbien, aber selbst belesene Faschisten wie Mangs scheinen das nicht so genau zu nehmen. Letztlich erzählen alle Menschen gerne, wenn ihnen jemand mit Interesse zuhören will.

Ist es nicht unbehaglich, sich mit rechtsextremen Mördern zu unterhalten?

Es gibt eine weit verbreitete Vorstellung, dass es sich bei diesen Menschen um Verkörperungen des Bösen, quasi um Monster handelt. Dabei wird jedoch übersehen, dass sie zwar zu extremen Handlungen schreiten, ihre Ansichten aber von vielen Menschen geteilt werden. Zur Erforschung der extremen Rechten gehört es, diese Ansichten und damit die Beweggründe rechtsextremer Attentäter zu verstehen. Das können wir nur, wenn wir uns mit ihnen unterhalten. Die linken Berührungsängste, die es hier gibt, mögen verständlich sein, bringen uns aber nicht weiter. In vielerlei Hinsicht sind Breivik und Mangs Menschen wie alle anderen. Sie hören Musik, sie sehen Filme, sie gehen zum Fußball, sie mögen Motorräder, was weiß ich. Mangs spielte in Afro-Funk-Bands und hatte einen schwarzen Gürtel in Taekwondo. Er arbeitete als Zahntechniker. Es gibt viele Anknüpfungspunkte für ein Gespräch. Vor allem, wenn man außerdem viele dieselben Bücher gelesen hat, auch wenn man sie politisch anders bewertet.

Sie schreiben in Ihrem Buch »Raskrigaren«, dass Breivik und Mangs für zwei Strömungen des »führerlosen Widerstands« (leaderless resistance) stehen. Dieser wird in der extremen Rechten seit Längerem als Strategie propagiert. Können Sie das kurz erklären?

Die Theorie des führerlosen Widerstands entwickelte sich in den USA als Reaktion auf die relative Schwäche rechtsextremer Organisationen. Diese waren in der Regel klein, von internen Konflikten aufgerieben und leicht zu überwachen. Es kam zu einer Art Aufgabenteilung: prominente Führungspersönlichkeiten, die sich juristisch nichts zu Schulde kommen ließen, propagierten die Ideen der Bewegung, während anonyme Untergrundkämpfer zur Aktion schritten. Letztere teilten sich in zwei Lager. Ich spreche hier vom McVeigh-Modell und vom Franklin-Modell.

Timothy McVeigh war für den Anschlag auf das Regierungsgebäude in Oklahoma City 1995 verantwortlich, bei dem 168 Menschen starben. Er wollte mit einem spektakulären Attentat ein Zeichen setzen und Chaos verbreiten. Joseph Paul Franklin verübte in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren eine Reihe rassistischer Morde in den USA. Er reiste dazu in mehrere Bundesstaaten. Auf politische Erklärungen verzichtete er. Sein Ziel war es, mithilfe einzelner Morde und Anschläge Angst zu verbreiten und die Spannungen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen weiter zu verschärfen. Er war gewissermaßen ein Serienterrorist. Mangs fällt in dieses Lager. Breivik folgte hingegen dem McVeigh-Modell.

Welche der beiden Strömungen schätzen Sie als gefährlicher ein?

Die großen Attentate schaffen viel Aufmerksamkeit. Aber das Franklin-Modell hat offensichtliche Vorteile: Es ist leichter, unentdeckt zu bleiben, und es ist leichter, Nachahmer zu finden. Ein Attentat wie jenes von Breivik erfordert jahrelange Vorbereitung, technisches Knowhow und finanzielle Ressourcen. Was Mangs tat, erforderte eine billige Waffe und ein gewisses logistisches Geschick. Entsprechendes Wissen lässt sich leicht erwerben. Im rechtsextremen Untergrund kursieren zahlreiche fiktionalisierte Erzählungen anonymer Serientäter. Diese sind kaum verschleierte Gebrauchsanleitungen. »The Turner Diaries« und »Hunter« von William L. Pierce sind dafür nur die bekanntesten Beispiele.

Oft wird in diesem Zusammenhang auch von »einsamen Wölfen« (lone wolves) gesprochen.

Der Begriff ist irreführend. Zwar mögen manche der Täter alleine handeln, aber wirklich einsam sind einsame Wölfe nie. Ihre Auffassungen sind weit verbreitet. Wenn wir das Bild des einsamen Wolfes überstrapazieren, geraten wir leicht auf die falsche Spur. Der individuelle Extremist an sich ist nicht besonders interessant. Interessant ist, was er über unsere Gesellschaft sagt.

Sprachen Breivik und Mangs auch über den NSU?

Ja. Breivik erwähnte ihn während seines Prozesses. Für Mangs ist er ein wichtiger Bezugspunkt, wie vieles aus Deutschland. Er gab seinem persönlichen Manifest den Namen »Die germanische Philosophie«. Friedrich Nietzsche und Oskar Dirlewanger sind seine Helden. Was die Taten des NSU angeht, haben Breivik und Mangs jedoch unterschiedliche Auffassungen, schließlich wählten sie selbst unterschiedliche Methoden. Für Mangs ist der NSU ein Beweis dafür, dass die von ihm gewählte Vorgehensweise die strategisch richtige war: Sie ermöglichte ihm, lange unentdeckt zu bleiben, viele Aktionen durchzuführen, Angst zu verbreiten und Verwirrung zu stiften. Breivik sieht den NSU zwar als Mitstreiter, kritisiert aber dessen Mittel und Ziele. Auch Mangs warf er in einem Brief vor, die falschen Opfer gewählt zu haben. Nicht-weiße Menschen seien für die Misere des Abendlandes nicht verantwortlich, sie verhielten sich einfach nur so, wie es ihre natürlichen Veranlagungen gebieten. Die wirklichen Schurken seien die »Feinde im Inneren«. Mangs hingegen warf Breivik vor, nicht nachhaltig gehandelt zu haben. Eine spektakuläre Aktion mag viel Aufsehen erregen, führt aber oft genug zur Festnahme oder gar zum Tod derjenigen, die sie ausführen. Mangs ist stolz darauf, dass er beinahe zehn Jahre lang im Verborgenen wirken konnte.

Sie haben für Ihr Buch auch mit den Opfern von Mangs Anschlägen sowie mit deren Angehörigen gesprochen. Es wird vielfach kritisiert, dass dies in Auseinandersetzungen mit rechtsextremen Straftätern zu kurz kommt. Teilen Sie diese Kritik?

Natürlich. Die Opfer und ihre Angehörigen tauchen bloß in Statistiken auf. Sie werden entmenschlicht. Man spricht von »Dönermorden«. Eines der Opfer Mangs, dessen richtigen Namen ich auf Wunsch der Familie nicht verwende, war ein großes schwedisches Fußballtalent. Seine Schwestern sind angesehene Kulturpersönlichkeiten. Hätte es sich um einen weißen Schweden gehandelt, hätte sich die mediale Berichterstattung ausschließlich darauf konzentriert. So aber handelte es sich einfach um einen weiteren »Einwanderer«.

Die Polizei sucht nach den Tätern im Umfeld der Opfer und in sogenannten kriminellen Netzwerken. Wenn sie überhaupt nach Tätern sucht. Im Falle von Kooros Effatian, dem ersten Mordopfer Mangs, gab man die Todesursachen zunächst als »natürliche« an, obwohl Mangs eine bizarre Polsterinstallation auf der Leiche hinterlassen hatte. Erst bei der Obduktion wurden die tödlichen Schusswunden festgestellt.

Sich mit den Opfern als Menschen auseinanderzusetzen, ist für einen würdevollen Umgang mit rassistischen Anschlägen unabdingbar. Für die Angehörigen sind diese Ereignisse nie abgeschlossen. Und damit meine ich nicht nur die Sorge. Auch die Angst bleibt. Bis heute meiden viele Menschen in Malmö öffentliche Plätze und Verkehrsmittel, ändern ihre Nachnamen und schicken ihre muslimischen Kinder in christliche Schulen. Wenn ein weißer Mann sich ihnen nähert, zucken sie zusammen.

Die Folgen sind also weitreichend.

Der würdelose Umgang mit den Opfern und Angehörigen bestätigt Täter wie Mangs. Mangs ging davon aus, unentdeckt zu bleiben, weil seinen Opfern kein gesellschaftlicher Wert zugeschrieben wird. Niemand interessiert sich für ihr Schicksal, außer diejenigen, die ihnen nahestehen. Migrant_innen in Malmö wussten, dass ein rassistischer Serienmörder in der Stadt sein Unwesen trieb, lange bevor irgendjemand bei der Polizei diese Möglichkeit überhaupt in Erwägung zog. Menschen verlieren dadurch jeden Glauben an den Rechtsstaat; sie fühlen sich alleine gelassen und in ihrer vermeintlichen Wertlosigkeit bestätigt. Einige gründen Bürgerwehren, um sich zu verteidigen. In der Mehrheitsgesellschaft bestätigt dies wiederum die Gesetzlosigkeit, die angeblich in ihren Stadtvierteln herrscht. Es folgen Rufe nach Recht und Ordnung, anstatt nach Aufklärung und Gerechtigkeit. Die Gesellschaft teilt sich in unterschiedliche Gruppen, die einander misstrauen. All das entspricht Mangs' Intentionen. Er selbst bezeichnete sich einmal als »Schlüssel, der den Motor des Rassenkrieges starten will«.

Gibt es auch hier Berührungsängste in der Linken: also nicht nur, was die Täter, sondern auch die Opfer rassistischer Anschläge betrifft?

Berührungsängste gibt es in der Linken viele. Warum schafft es momentan nur die Rechte, Menschen in Europa zu begeistern? Was haben wir als Linke anzubieten? Was wollen wir eigentlich? Wie stellen wir uns die Welt vor, in der wir leben wollen? Das ist die wesentliche Motivation jeder Forschung zur extremen Rechten: Was macht sie erfolgreich? Und was müssen wir tun, um selbst erfolgreicher zu sein?

Gabriel Kuhn schrieb zuletzt in der ak 618 über die Young Patriots Organization.