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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 623 / 17.1.2017

Weder Rückzug noch Metropole

Diskussion Es ist falsch, den Aufstieg der Rechten der Landbevölkerung in die Schuhe zu schieben

Von Gabriel Kuhn

Dass viele Linke versuchen, die Erfolge der »Rechtspopulist_innen« von Donald Trump bis zur AfD mit einem Blick auf deren Unterstützer_innen zu erklären, ist verständlich. In ak 622 fordert Jan Ole Arps jedoch, »die Fixierung auf die konservativen Wähler_innen aufzugeben und den Blick auf jene Menschen zu richten, deren Interessen derzeit massiv bedroht sind: Frauen, Migrant_innen, Geflüchtete, Prekäre, LGBTI, Erwerbslose etc.« Arps meint: »Wenn das Recht aller auf ein menschenwürdiges Leben ein guter politischer Kompass ist, gibt es mehr als genug zu tun. Die Verteidigung des Rechts, keine rassistische, religiös motivierte, sexuelle oder homophobe Gewalt zu erleben, der Kampf für das Recht auf Flucht und Migration, für das Recht, nicht im Mittelmeer zu ertrinken oder von Bomben getötet zu werden. Und nicht zuletzt ... der Kampf für das Recht, nicht abgeschoben zu werden.«

Ich bin mir nicht ganz sicher, worauf Arps mit dieser Aussage abzielt. Erstens kann es kaum um ein Entweder-oder gehen. Zweitens sollte unser Blick immer auf die Menschen gerichtet sein, deren Interessen massiv bedroht sind, ungeachtet aktueller Wahlergebnisse. Und drittens skizziert Arps hier kein linkes Projekt, sondern - zum Glück - ein solidarisches, dem sich Menschen und Organisationen quer durch die politische Landschaft anschließen können, solange ihre elementaren ethischen Empfindungen intakt sind. Eine Linke aber, die sich rein auf »Abwehrkämpfe« (Arps) konzentriert, gibt sich letzten Endes selber auf.

Neandertallinke und dumme Bauern

Um linke Positionen zu behaupten, bedarf es mehr, und darum bleibt auch die Frage nach den Unterstützer_innen der Rechten relevant. Nur so kann dem schaurigen Spiel wirkungsvoll begegnet werden. Diese Diskussionen sind nicht zuletzt deshalb wichtig, weil viele der entsprechenden Bemühungen im Moment an unproduktiven Schuldzuweisungen hängenbleiben und mit verfehlten Hoffnungsträger_innen aufwarten.

Der Vorwurf, dass die Linke einen Teil der Bevölkerung verloren hat, der sie historisch wesentlich ausmachte, ist inzwischen relativ weit verbreitet. Dieser Bevölkerungsteil wird wahlweise als Arbeiterklasse oder Unterschicht bezeichnet, manchmal ist paternalistisch auch von den »kleinen Leute« die Rede. Die Linke wird aufgefordert, sich dieser wieder anzunehmen und ihren Fokus auf »identitätspolitische« Fragen aufzugeben. Eine Reihe linker Feuilletonist_innen sehen in einer solchen Position jedoch ein linkes Eliten-Bashing, das allzu sehr an die schäbigen Tricks der Rechten erinnert, dank derer sogar Milliardär_innen zu antielitären Held_innen aufsteigen können. Außerdem verwehren sie sich dagegen, linkes Engagement in Fragen zu Race oder Gender auf den Prüfstand zu stellen.

Es ist immer erfreulich, wenn Linke vereinfachte und spalterische Deutungen zurückweisen. Weniger erfreulich ist es aber, wenn sie an deren Stelle andere vereinfachte und spalterische Deutungen ins Feld führen.

Es gibt linke Autor_innen, die sich vor allem an zwei Gruppen zu stören scheinen, quasi einem inneren und einem äußeren Feind. Der innere ist der lust- und fortschrittsfeindliche Neandertal-Linke, der sich in all seiner charakteristischen Borniertheit weigert, von reaktionären Hirngespinsten wie Antiimperialismus oder Klassenkampf abzulassen. Dickköpfig negiere er gesellschaftlichen Fortschritt in der Form von Liberalismus und Bürgerrechten. Der äußere Feind ist nicht unbedingt der Arbeiter oder der Ungebildete (das wäre wohl selbst den entschiedensten Gegner_innen des Eliten-Bashings zu anrüchig), sondern, wie es Ivo Bozic in der Jungle World ausdrückt, der »Localist« - ein Mensch, den man in meiner Jugend schlicht einen »Bauern« nannte: stockkonservativ, rückwärtsgewandt, unkultiviert und mit einem intellektuellen Horizont ausgestattet, der am nächsten Kirchturm (oder Minarett) endet. Im selben Atemzug wird ein Typus ganz anderer Art als Retter_in postuliert: belesen, mehrsprachig, weltgewandt, aufgeschlossen - und natürlich: urban.

Die Statistik hat man vermeintlich auf seiner Seite: In den USA wählten bei der Präsidentschaftswahl 62 Prozent der Landbevölkerung Donald Trump, in Österreich 55 Prozent den FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer. Nun ließe sich einwenden, dass das Stadt-Land-Gefälle alleine schon auf der statistischen Ebene überbewertet wird, da es weit tiefere Gräben entlang anderer Linien gibt. In der österreichischen Präsidentschaftswahl wählten beispielsweise 83 Prozent der Akademiker_innen van der Bellen und 85 Prozent der Arbeiter_innen Hofer. Aber selbst wenn die Landbevölkerung als Bollwerk des offenen oder latenten Rechtsextremismus gewertet wird, hilft es wenig, die Menschen dort als kulturgenetisch zur politischen Dummheit verdammte Hinterwäldler_innen abzutun. Stattdessen sind - hier wenig Neues - die materiellen Bedingungen ihrer politischen Verirrungen zu untersuchen.

In den entlegenen Weiten des Nordens Schwedens, in dem kaum ein Ort mehr als ein paar Tausend Einwohner_innen hat, wird immer noch links gewählt. Zu den Gründen gehören, dass die dortige Infrastruktur bis heute wesentlich vom schwedischen Wohlfahrtsstaat abhängig ist und dass Einwanderung angesichts der dünnen Besiedlung als ökonomische Zukunftsinvestition begriffen wird. In österreichischen Kleinstgemeinden wie St. Anton am Arlberg oder Lech wählten im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Menschen van der Bellen als in Wien oder Graz. Hier handelt es sich um Nobelskiorte, für deren schönes Leben sowohl Billigarbeitskräfte als auch Tourist_innen mit guter Laune notwendig sind. Was sagt uns das? Nichts mehr und nichts weniger, als dass sich Menschen für rechte Lösungsversprechen nur wenig begeistern können, wenn diese ihnen nicht mehr Wohlstand in Aussicht stellen, ob in der Stadt oder auf dem Land. Die relative Progressivität urbanen Lebens beruht auf einer Reihe von Faktoren, auf die wir hier nicht näher eingehen können. Doch wichtig festzuhalten bleibt: rechtes Wahlverhalten auf dem Land ist kein Naturgesetz.

Metropolitane Träume

Um auf die Identifikation tatsächlich oder vermeintlich rechtslastiger Bevölkerungsteile zu reagieren, gibt es letztlich nur zwei Möglichkeiten, egal ob es sich um Arbeiter_innen, Dorflümmel, Ungebildete oder sonst wen handelt: einerseits einen ungenierten Sozialchauvinismus, demzufolge diese Menschen geistig und moralisch schlicht unterentwickelt seien; andererseits eine linke Politik, die niemanden ausschließt, sondern sich um das Wohlergehen - und damit die Unterstützung - aller bemüht.

Letzteres heißt nicht, die eigene Politik an reaktionäre Stimmungen anzupassen. Die Gefahren von völkischem Antikapitalismus, esoterischen Verschwörungstheorien und niederträchtigen Querfronten sind wirkliche. Aber es heißt, progressive Werte mit der Aussicht auf Wohlstand zu verbinden. Das ist das historische Versprechen der Linken - und dort, wo dies gelingt, werden sich Menschen ihr möglicherweise anschließen, egal ob sie in Berlin oder Bad Reichenhall leben, das Gymnasium oder die Hauptschule besuchen oder als Lehrerin oder Kfz-Mechaniker arbeiten.

Verschiedene Gesellschaftsgruppen gegeneinander auszuspielen, ist einer Linken, die sich ernst nehmen will, unwürdig. Nur Vollidiot_innen stellen infrage, dass soziale Bewegungen, die sich für die Rechte all jener einsetzen, die nicht der Norm des weißen heterosexuellen Cis-Mannes entsprechen, die Welt besser machen. Darum geht es nicht. Aber es geht um die Probleme, die für eine Linke entstehen, wenn andere Aufgaben vernachlässigt oder gar zu diesen in Opposition gebracht werden.

Wohin führt der real existierende Metropolitanismus? Er macht den Verteilungskampf an der Spitze vielfältiger, schafft individuelle Aufstiegsmöglichkeiten und trägt zum Abbau provinzieller Engstirnigkeit bei. In seiner sozialen Aussonderung ist er jedoch brutal, schamlos und nicht minder selektiv als frühere Formen kapitalistischer Verwirklichung. Das lässt sich innerhalb Europas bezeugen, vor allem aber global. Wer weiß? Irgendwann wird es vielleicht sogar in Deutschland möglich sein, über die vom Kapitalismus produzierten globalen Ungerechtigkeiten zu diskutieren, ohne spätestens im dritten Diskussionsbeitrag in nicht enden wollende Nabelschaudebatten einer ausschließlich um sich selbst kreisenden Besserwisserszene abzudriften. In jedem Fall kann linke Politik nicht plötzlich so tun, als sei das geringere von zwei Übeln kein Übel mehr. Der Neoliberalismus als Brücke zum zukünftigen Kommunismus? Da kratzen sich nicht nur der Bauer oder die Bäuerinam Kopf.

Links - für alle

Was scheinbar oft vergessen wird, ist die einfache Wahrheit, dass der Kapitalismus immer seine Unterschichten produziert. Es spielt keine Rolle, ob alle in Städten leben oder Uniabschlüsse haben. Sollte dies je der Fall sein, werden neue Spaltungen aufgemacht, unweigerlich und unbarmherzig. Entsprechende Entwicklungen lassen sich überall beobachten (von urbaner Verarmung zu prekären Arbeitsverhältnissen), und wenn diejenigen, die dabei verlieren, in progressiven politischen Projekten keine Hoffnungen entdecken können, werden sie sich regressiven zuwenden. Auch das geschieht unweigerlich und unbarmherzig. Die Aufgabe der Linken ist es nicht, die dazu führenden gesellschaftlichen Spaltungen weiter voranzutreiben, sondern für die progressiven Hoffnungen zu sorgen, die alleine diesen Spaltungen irgendwann ein Ende setzen können.

Was wäre die politische Alternative? Der einzige Ausweg schiene, die verlorene Masse der rechten Hohlköpfe demographisch zu übertrumpfen und zu einer (wahl)demokratischen Minderheit zu machen, um noch ein paar Mal erleichtert auspusten zu können. Aber was dann? Diese Minderheiten werden nicht verschwinden, sie werden nicht zufriedener werden und, wenn die Linke sie von vornherein aufgibt und als Schuldige abstempelt, werden sie sicherlich auch nicht zu Linken werden. Vielmehr werden sie mit zunehmender Radikalität und Militanz um sich schlagen - und dabei die völlig Falschen treffen.

Eine quasi-essentialistische Einteilung gesellschaftlicher Gruppen in emanzipatorische und anti-emanzipatorische ist genauso destruktiv wie ein Rückzug auf reine Abwehrkämpfe. Populismus hin oder her: Die historische Aufgabe der Linken ist es, progressive Gesellschaftsmodelle anzubieten, die es für möglichst viele Menschen attraktiv machen, linke Projekte zu verfolgen. Drunter geht nichts.

Gabriel Kuhn lebt in Stockholm, immerhin die größte Stadt Skandinaviens. Aufgewachsen ist er in einem Dorf in den Tiroler Alpen (Mehrheit van der Bellen).