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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 624 / 21.2.2017

Die Roboterparty

Deutschland Die Linke sollte über andere Zukünfte nachdenken, anstatt nur den fatalen Status quo zu erhalten

Vom //re_vision medienkollektiv

»Es waren keine Smartphones in Sicht; eine anthropologische Einzigartigkeit heutzutage.« Auf dem Kongress des Bündnisses ...ums Ganze! über Technologie und radikale Politik staunte Geert Lovink nicht schlecht. Der Medientheoretiker wusste die digitale Abstinenz der Konferenzteilnehmenden jedoch mit der nötigen Ironie einzuordnen. »Es wurde schon eine Menge geschrieben über die Disziplin der deutschen Arbeiterklasse, und das hier war ein beeindruckendes Beispiel, wie entschlossen diese jungen Genossen die kapitalistischen Versuchungen überkommen wollten«. (1) Der Hamburger Kongress mit dem Titel »reproduce (future)« im November 2016 wollte sich auf eine für die radikale Linke unüblich offene Weise mit den aktuellsten medientechnologischen Entwicklungen und emanzipatorischen Möglichkeiten beschäftigen.

Aber nicht nur in dieser Episode gaben die Versammelten den Versuchungen einer gewissen Unmittelbarkeit nach. Schon während der Konferenz fiel die intellektuelle und zaghaft optimistische Auseinandersetzung mit technologischem Wandel einer scheinbaren Dringlichkeit zum Opfer, die spätestens im kommenden Herbst schon wieder überholt sein dürfte. Das Treffen der G20-Staaten in der Hansestadt im Juli 2017 und die Protestpläne gewannen vor Ort so sehr an Prominenz, dass gefühlt kein Raum mehr blieb für Gedanken etwa zu einem »fully automated luxury communism« oder über linke Gestaltungsmöglichkeiten auf Höhe der Zeit. Parallel zur Abschlussparty war dann auch keine Roboterparade zu bestaunen, sondern Unbekannte setzten traditionsbewusst eine Barrikade vor dem Südeingang des Messegeländes in Hamburg in Brand.

Kein linearer Fortgang der Geschichte

Die scheinbare digitale Abstinenz unter den Teilnehmenden des Kongresses und die Übernahme durch das nächste Großevent kann nun nicht unbedacht als eine kritische Haltung gegenüber den bestehenden Verhältnissen verstanden werden. Vielmehr, so lassen ältere wie neuere Einordnungen vermuten, sind diese Anekdoten paradigmatisch für zwei Befunde über linke Politiken. Im Ergebnis veranschaulichen jene genau die Alternativlosigkeit zum Bestehenden, deren Überwindung jedoch auch gegenwärtig Ziel emanzipatorischer Politiken sein muss.

Erstens wird hier die Unfähigkeit deutlich, im Sinne eines historischen Bewusstseins von kulturellen Beschränkungen - wie etwa dem Warenfetisch - zu abstrahieren. Aus dieser Unfähigkeit heraus kann es nicht gelingen, beispielsweise technologischen Errungenschaften einen kapitalistischen Zweck abzuringen; geschweige denn über eine Umwidmung auch nur nachzudenken. Zweitens beinhalten sowohl eine asketische Medienbenutzung als auch der folkloristische Fetisch der direkten Aktion (Nick Srnicek und Alex Williams) keine wirklichen Mittel zur fundamentalen Störung des kapitalistischen Realismus (Mark Fisher) sowie einer Überwindung des technologischen Analphabetismus der Linken (Armen Avanessian). In diesem faden Konglomerat scheint uns nun die Unzulänglichkeit verwurzelt, über andere, bessere Zukünfte und über Wege dorthin nachzudenken. Diese häretischen Einwürfe wollen wir ein wenig ausbuchstabieren.

Dass sich die außerparlamentarische politische Linke im besten Fall durch ein zerfahrenes, im schlimmsten Fall aber durch einen eklatanten Mangel eines historischen Bewusstseins auszeichnet, wird allmählich zur Binsenweisheit (ak Sonderbeilage 2013 »History is unwritten«). Schon Walter Benjamin betrachtete 1940 mit einer tiefen Skepsis den Positivismus und Progressismus der damaligen Sozialdemokrat_innen. In seinem Text »Über den Begriff der Geschichte« kritisiert er vor allen Dingen den Geschichtsdeterminismus, der sich in der Vorstellung eines linearen Fortgangs der Geschichte zeige. Die sozialdemokratische und darüber hinaus auch die stalinistische Linke wollten die vergangenen und gegenwärtigen Taten zugunsten einer von allein sich einstellenden Zukunft überspringen oder gleich vergessen. Diese Zukunft wurde als unausweichlich angenommen, und Technologie sollte sich darin als positiv für den historischen Auftrag erweisen. In dieser Auffassung ließe sich nun eine gewisse Naivität beobachten, weil gar nicht erst versucht wurde, einen Umgang mit jenen Widersprüchen zu finden, die in der Ambivalenz kapitalistischer Errungenschaften liegen.

Doch genau diese Potenziale sind heute überraschenderweise in gewerkschaftlichen Positionen zur Industrie beziehungsweise »Arbeit« 4.0 zu sehen: Technologische Errungenschaften fallen zwar als Produktionsmittel den Besitzenden in die Hände, doch sie verbessern unter Umständen die Arbeitsbedingungen der Besitzlosen, anstatt sie in die absolute Verelendung zu treiben. Während Marx aber davon ausging, dass die kapitalismus-inhärenten Widersprüche langfristig trotzdem zu sozialen Widerständen oder zumindest zum Fall der Profitrate führen würden, scheint sich diese Perspektive bei vielen Linken zu Ungunsten der befreienden Potenziale vieler Technologien aufgelöst zu haben.

Die technologisch enorm aufgerüsteten und dicht vernetzten Wirtschafts- und Machtkreisläufe verführen heute erneut zu einer radikalen Vereinfachung. Doch diese Vereinfachung hat nichts mehr mit dem Geschichtsdeterminismus des 20. Jahrhunderts zu tun, sondern vielmehr mit einer gewissen Portion Ohnmacht: Wir können zutiefst pessimistische Tendenzen einer grundsätzlichen Absage an technologische und wissenschaftliche Errungenschaften in verschiedenen Teilen der Linken beobachten. Auch wenn oft mit dem Finger auf esoterische und reaktionäre Strömungen wie etwa der Post-Wachstumsbewegung gezeigt wird, weisen auch gerade klassische und radikale Kommunist_innen prinzipielle Ablehnungserscheinungen auf. Jeder neuen Technik sei die Macht, Ausbeutung und Überwachung schon alleine deshalb bis auf die kleinste Platine geätzt, weil sie eben im Kapitalismus erfunden wurde. Diesen kontaminierten Objekten gelte es sich deshalb nicht einmal prüfend zu nähern. Ein Verständnis von technologischen Zusammenhängen etwa von Logistiknetzen helfe wie im Fall der ...ums Ganze!-Proteste gegen den G20 dann höchstens bei der (Zer-)Störung.

Ein Fortschritt ums Ganze

Diese Entsagungen verheißen nun aber keinen radikalen Bruch, wie ihn etwa Benjamin skizzierte. Es könne eben nicht um eine Rückkehr zum Paradies gehen, in dem wir ohne jeden technologischen Schnickschnack dem einfachen Leben im Kommunismus frönen können. Vielmehr bedeute ein solcher Bruch zu allererst ein vollkommen anderes Denken über Zeit und gesellschaftliche Entwicklung. Ein solch revolutionärer Akt des Denkens würde sich verabschieden von einer linearen, gleichförmigen und vorbestimmten Entwicklung über die leere Zeit hinweg. Fortschritt könnte dann nur als ein Fortschritt ums Ganze (Adorno) angestrebt werden anstatt ihn hilflos zu beobachten. Einer solchen Auffassung widerspricht jedoch auch heute noch das gängige, bürgerliche Verständnis, dass Fortschritt ausschließlich als Ware zu bekommen ist. Diese Engführung der technologischen Bedingungen unserer Gesellschaft versperrt die Einsicht, dass es nicht die fortschreitenden Produktivkräfte sind, die den Widerspruch ausmachen, sondern die bestehenden Verhältnisse.

Statt einer moralistisch aufgeladenen Kritik und buddhistisch anmutenden Verzichtspraktiken ist eine Sicht auf die emanzipatorischen Potenziale von Technologie angebracht, die zuallererst Ambivalenzen verträgt. Ansätze für eine solche Perspektive gibt es schon heute, mitten im Kapitalismus, und können etwa in DIY-Biohacking-Projekten oder der Gyn-Punk-Bewegung gefunden werden. An diesen losen Praxen wird deutlich, dass technologische Entwicklungen neben all den düsteren Potenzialen eben auch positive Dimensionen in sich tragen und nicht (ausschließlich) auf ihren Verwertungs- und Unterdrückungscharakter reduziert werden können. Vielleicht ließe sich entlang dieser Praxen darüber nachdenken, welche Potenziale verstärkt werden können, anstatt sie nur aus einer ökonomiefixierten Perspektive abzulehnen. Die weit verbreitete Annahme, dass der Kapitalismus in seiner jetzigen Form, die einzig »realistische« Weise der gesellschaftlichen Organisierung sei, könnte somit über eine medientechnologische Flanke unterlaufen werden - sei es ganz notdürftig bewaffnet mit DNA-Heimlaboren, Mikrocontrollern oder mit »Fachwissen« am Rande des Vorstellbaren. Die Annahme, dass jede neue Erfindung die bestehende Ausbeutung und Unterdrückung per se immer nur noch schlimmer mache, funktioniert dagegen jedoch oft als simple Ausrede, um die teilweise komplizierten (Denk-)Geräte gar nicht erst verstehen zu wollen.

Der revolutionäre Akt im Jahr 2017

Die hartnäckige technologische Abstinenz in Teilen der radikalen Linken steht also nicht nur der Überwindung eines technologischen Analphabetismus entgegen; die nostalgischen Praxen halten zusätzlich an genau den Zeit- und Gesellschaftsvorstellungen fest, die ihn hervorgebracht haben. Zur Frage steht also, welche Möglichkeiten heute bestehen, um sich von den kulturellen Beschränkungen des Kapitals zu lösen und dadurch ganz anderes denkbar zu machen? In möglichen Antworten auf diese Fragen trifft die Forderung nach einer Beschleunigung emanzipatorischer Potenziale auf den erwähnten Bruch mit einer linearen Zeitvorstellung.

Eine Aktualisierung der Überlegungen Benjamins kann den historischen Entstehungskontext - den Nationalsozialismus und die Shoa - nicht übergehen und muss fragen, was der revolutionäre Akt im Jahr 2017 sein kann. Die komplizierten sozialen und technischen Bedingungen würden zu einem vordringlichen Handlungsfeld radikaler Politiken, wenn ein anderes Bewusstsein für Zeit sich auch in ganz praktischen Kampagnen und Themen niederschlagen würde. Zu beobachten ist jedoch immer noch eine fast ausschließliche Vorliebe für die unmittelbare, direkte Aktion mit all ihren zeitlichen, thematischen und gesellschaftlichen Beschränkungen. Wir meinen hier nicht, dass in Zeiten von Trump, AfD und tödlichen Abschieberegimen auf Blockaden, spontane Proteste oder temporäre Besetzungen vollständig verzichtet werden sollte. Genau an dieser größeren gesellschaftlichen Reaktion wird jedoch deutlich, dass die Linke notwendigerweise auch über andere Zukünfte nachdenken muss, anstatt den schon fatalen Status quo nur zu erhalten.

Strategisch fruchtbar werden vielfältige Zukunftsentwürfe dann, wenn von ihnen her über Handlungsmöglichkeiten in der Gegenwart nachgedacht wird. Einer vorbestimmten, linearen Entwicklung tritt dann die Idee der Kontingenz gegenüber; die Gegenwart erweist sich als offene Situation, die anfällig ist für die Verstärkung von Tendenzen jeglicher Couleur. Hier die Richtigen zu erkennen und zu forcieren, wäre dann Aufgabe einer emanzipatorischen Linken. Das linke Reden vom Hightech-Kapitalismus (2) und das Festhalten an einem lähmenden Aktionsimperativ verweist heute jedoch leider eher darauf, dass die Einordnungen gegenwärtiger gesellschaftlicher Entwicklungen noch im Modus des Zukunftsverzichts vorgenommen werden. Wenn das so bleibt, wird auch dieser Sommer kommen und mit ihm das Vergessen dessen, was da Schönes aber auch Schreckliches sein könnte.

Texte des //re_vision medienkollektiv gibt es online unter revisionmedienkollektiv.de.

Anmerkungen:

1) Geert Lovink: Communism after Digitization - A Report from Hamburg. Online unter networkcultures.org.

2) Vgl. den Kurzaufruf vom Bündnis ...ums Ganze! feat. grow zu den Anti-G20-Protesten ab April 2017, online unter umsganze.org.