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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 624 / 21.2.2017

»Uns reicht's!«

Gender Streikende Frauen sind keine Ausnahmeerscheinung - auch wenn die Geschichtsbücher sie oft ignoriert haben

Von Gisela Notz

Das Gerücht, dass Frauen keine politische Kampfkraft zeigen, hält sich beharrlich, obgleich die historischen Überlieferungen ein anderes Bild zeichnen. Der erste uns bekannte Frauenstreik begann um 400 vor Christi mit dem Aufruf von Lysistrate, der »Heeresauflöserin«, als der Peleponnesische Krieg zwischen Athen und Sparta bereits im 20. Jahr tobte. Immerhin soll Lysistrate - glaubt man den Übermittlungen des griechischen Stückeschreibers Aristophanes - erfolgreich gewesen sein. Die Männer, Gefährten und Gespielen gaben angesichts des angedrohten oder praktizierten Liebesentzugs der Frauen klein bei und verkündeten den Frieden.

Lange bevor Arbeitsbeziehungen durch Tarifverträge geregelt wurden, war der ökonomische Streik das einzige Mittel zur Durchsetzung von Interessen der Arbeitnehmer_innen. Streik war Sache der Männer. Frauen galten als unpolitisch, als »Rückständige« gegenüber erwerbstätigen Arbeitsmännern. Selbst Clara Zetkin ging davon aus, dass Frauen, die gegenüber der Familie zu großer Aufopferung fähig seien, sich gegenüber der Gesellschaft oft durch brutalen Egoismus auszeichnen und ihnen jegliche Solidarität fehle. Dies hindere sie oftmals nicht nur an ihrer eigenen politischen Betätigung, sondern sie behinderten auch die Männer bei der politischen Arbeit, schrieb sie 1894 in einem Artikel in der Berliner Arbeiterbibliothek. Neben der Einbeziehung der proletarischen Frau in die Industriearbeit sah Zetkin in der Einbeziehung der Familienfrauen in den proletarischen Kampf eine wichtige Agitationsaufgabe. Immer wieder wird den Frauen unterstellt, sie hätten um das Brot ihrer Kinder gefürchtet, und wären den Streiks fern geblieben. Aus historischen Überlieferungen wissen wir aber, dass es gerade die Sorge um die Kinder und um die Familie war, die dazu führte, dass Frauen die Männer bei ihren Streiks unterstützten oder selbst den Aufruhr anführten.

Der Aufstand der Weberinnen

Bereits der erste große Streik, von dem die Geschichte der Arbeiterbewegung berichtet, war ein Streik, der vor allem durch Frauen organisiert und getragen war: der Aufstand der Weber_innen. Sie kämpften 1844 in Schlesien für höhere Löhne und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Obgleich in den Berichten meist von »den Webern« die Rede ist, waren die Mehrzahl derjenigen, die an dem blutig niedergeschlagenen Aufstand teilnahmen, Weberinnen. Sie revoltierten nicht nur gegen die neuen Maschinen, in denen sie die Ursachen ihrer Not sahen, sondern auch dagegen, dass die weniger werdende (bezahlte) Arbeit ungleich verteilt wurde, so dass »ein großer Teil der Menschen brodlos werden müßte«.

Um zu erreichen, »dass ein jeglicher Arbeit und entsprechenden Lohn finde«, wären nach der Meinung der Arbeiterinnen zwei Voraussetzungen notwendig gewesen: erstens eine »richtige« Volksregierung und zweitens die Verständigung der Arbeiter_innen über ihre gemeinsamen Interessen und daraus folgend die Organisierung der abhängig Beschäftigten. Daran hatten die männlichen Kollegen zunächst kaum Interesse. Viele waren wie das Gros der männlichen Mitglieder des Deutschen Textilarbeiterverbandes (DTAV) der Meinung: »Nur ein Verbot der Fabrikarbeit verheirateter Frauen würde diesen selbst Verbesserungen, zugleich den Männern Entlastung bringen.« Damit reduzierten sie die Frau auf ein »Anhängsel« des Mannes und wehrten deren Wunsch nach Eigenständigkeit zugunsten ihrer eigenen Bequemlichkeit ab.

Dass beim »Streik der Textilarbeiter«, die 1903/04 in Crimmtschau (Sachsen) den Zehnstundentag und eine Lohnerhöhung durchsetzen wollten, vor allem Frauen beteiligt waren, ist in der sozialdemokratischen Frauenzeitung »Die Gleichheit« Nr. 4/1904 nachzulesen. Auch die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Frauen in Crimmitschau übertraf die der Männer und im 29-köpfigen »großen Streikkomitee« von 1903 waren immerhin sechs Arbeiterinnen vertreten. Wer kennt nicht das Bild der 16 entschlossen dreinblickenden Textilarbeiterinnen mit der Unterschrift »Zehnstundentagkämpfer - Hoch die Solidarität«. In den Flugblättern wurden sie immer wieder dazu aufgerufen, sie sollten »zusammenstehen wie ein Mann«. Auch die Teilnehmer_innen des »sozialdemokratischen Parteitages« schrieben in ihrer »Sympathiekundgebung für die streikenden Textilarbeiter«, dass sie »den kämpfenden Brüdern... vollen Erfolg« wünschen. Ohne die Schwestern, die überall als Hauptaktivistinnen auftraten und nicht selten als Streikposten misshandelt und verhaftet wurden, hätten die (wenigen) Brüder gar nicht streiken können.

Was den Frauen fehlte, war die Unterstützung der anderen Gewerkschaften. Weil Frauen geringe Einkünfte hatten, hatte der Textilarbeiterverband wenig Geld aus ihren Beiträgen. Die Vorsitzenden männlich dominierter Gewerkschaften hatten kein Interesse daran, Gelder abzugeben und sich damit selbst zu schwächen. Das Interesse der Gewerkschaftsmänner am Kampf der Frauen war ohnehin gering, denn sie empfanden Frauen als Lohndrückerinnen: »Man befürchtete, es würde als Billigung der Frauenarbeit aufgefaßt werden, wenn man sich um die Organisierung der Frauen bemühte«, schrieb August Winning, stellvertretender Vorsitzender des Bauarbeiterverbandes 1917 in den »Sozialistischen Monatsheften«. Ihr vordringlichster Wunsch war es, »so viel zu verdienen, dass wir unsere Familien ehrlich und ordentlich ernähren können«, wie es der Bergarbeiter Siegel, einer der Wortführer und Organisatoren des großen Bergarbeiterstreiks im Mai 1889 an Kaiser Wilhelm II. geschrieben hatte.

Die vom Streik betroffenen Unternehmer beantworteten den Streik von Crimmitschau mit Aussperrungen. Sie konnten mit der Unterstützung durch Behörden und einflussreiche Kirchenvertreter rechnen. Fast fünf Jahre nach Ende des Streikes wurde der Normalarbeitstag der gewerblichen Arbeiterinnen in Sachsen auf zehn Stunden herabgesetzt.

Wien 1893: Die Arbeiterinnen verlassen die Fabrik

Schreibenden Arbeiterinnen ist es zu verdanken, dass wir Informationen über den ersten großen »reinen« Arbeiterinnenstreik in Wien 1893 besitzen. »Uns reicht's! Wir ertragen das nicht mehr!« war die Parole der 600 Appreturarbeiterinnen aus drei Frauenbetrieben in Wien. Auch sie wollten die langen Arbeitstage und die schlechten Arbeitsbedingungen nicht länger aushalten. Sie verließen die Fabrik. »Wie staunten die Leute der umliegenden Gassen, als eines Tages die Arbeiterinnen von den Fabriken um 10 Uhr vormittags aus den Fabriktoren herausströmten«, schrieb die Sozialistin Adelheid Popp 1915 in ihren Erinnerungen »Jugend einer Arbeiterin«. Der Streik erregte großes Aufsehen. Die bürgerliche Presse klagte darüber, dass nunmehr auch Arbeiterinnen aufgehetzt würden oder dass »die Streikenden die 14 Tage hauptsächlich zu ihrer Erholung in frischer Luft benützten«. So steht es im Bericht von Amalie Seidel, ebenfalls Textilarbeiterin und Sozialistin, die den Streik mit organisiert hatte.

Nach drei Wochen konnten die Frauen den Sieg feiern: Verkürzung der Arbeitszeit auf zehn Stunden und vier Gulden Mindestlohn in der Woche, sowie Freigabe des Ersten Mai als Feiertag der Arbeiter_innen und Wiedereinstellung der verhafteten Frauen. Sie hatten gelernt, dass man solidarisch kämpfen muss, um zu seinem Recht zu gelangen. Mit der Solidarität der Männer konnten auch sie kaum rechnen. Wohingegen Berichte von Frauen, die Männer bei ihren Streiks unterstützten, nicht selten sind.

Zeitgenössischen Berichten zufolge strömten während der Bergarbeiterstreiks von 1904/05 »unerschrockene Frauen zu Tausenden in die Frauenversammlungen« und hielten feurige Reden, mit denen sie die Kumpels und sich selbst zum Durchhalten aufmunterten. Sie sollen mit den Worten »Kampf bis zum Letzten. Gott und Kaiser sorgen für uns« geendet haben. Ob dieses Gott- und Kaiservertrauen echt war oder ob ihnen die Geschicht(en)schreiber diese Worte später in den Mund legten, kann heute nicht mehr festgestellt werden. Möglicherweise haben sie ebenso »fürchterliche« Worte wie »Zusammenhalten, Kämpfen um höheren Lohn, Abschaffen der Ausbeutung« gebraucht, wegen derer die Wiener Arbeiterinnen angezeigt worden waren. Ähnliche Aktionen übernahmen in den 1970er und 80er Jahren Frauen in Zusammenhang mit der Schließung der Erwitter Zementfabrik, der Hoesch-Werke in Dortmund und anderswo.

Aus dem Blick in die Geschichte von streikenden Frauen wird deutlich, dass ihr Kampf um bessere Arbeitsbedingungen immer auch die übrigen Lebensbereiche mit einschloss. Gewerkschaften unterscheiden hingegen zwischen Arbeitskampf und politischen Kampf. Deshalb hatten sie auch Schwierigkeiten mit dem Aufruf zum Frauenstreik 1994 für die gesamte gerade wiedervereinigte Bundesrepublik. Unter dem Motto »Jetzt ist Schluss! - Uns reicht's!« richtete er sich gegen die vielfältig bestehende Frauendiskriminierung nach der »Wende« und auf eine Verweigerung der bezahlt und unbezahlt geleisteten Arbeit in Produktion und Reproduktion. Ein solcher Streik war ein Novum. Zwei Streikkomitees (eines in Köln/Bonn und eines in Berlin/Ost) und viele organisierte und autonome Frauen entwickelten Formen des Protests über den traditionellen Streikbegriff hinaus. Schließlich waren auf der Unterschriftenliste Gewerkschafterinnen, Kirchenfrauen, autonome Feministinnen und viele andere vertreten.

Zu betrieblichen Streiks riefen die Gewerkschaften leider nicht auf, machten jedoch, wie viele andere, Vorschläge für vielfältige Aktionen in Betrieben, Verwaltungen und auf der Straße. Lokale und regionale Streikkomitees schossen wie Pilze aus dem Boden. Es kam zu einem seltenen Schulterschluss. Mehr als eine Million Frauen teilten die Position der damaligen Frauenministerin Angela Merkel nicht. Sie hatte geschrieben: »Als Frauenministerin setze ich mich täglich für die Belange der Frauen ein... Der Frauenstreiktag ist ein spektakuläres Ereignis... Ich werde jedenfalls nicht streiken, sondern die geplante Kabinettsitzung besuchen.« Vom Fenster aus konnte sie die vielfältigen Aktionen beobachten, an denen sich auch Frauen beteiligten, die zuvor noch nie für ein politisches Anliegen auf die Straße gegangen waren. Leider wurde daran zu wenig angeknüpft. Die Forderungen haben sich auch 23 Jahre später nicht erledigt.

Gisela Notz, Sozialwissenschaftlerin und Historikerin, lebt und arbeitet in Berlin zur historischen Frauenforschung, alternativen Ökonomie sowie Sozial-, Familien- und Frauenpolitik.

8. März: Aufrufe zum Frauenstreik

Am 21. Januar gingen weltweit schätzungsweise drei Millionen Menschen unter dem Banner der »Women's Marches« gegen Trump auf die Straße. Anfang Februar schrieben in einem Beitrag auf der Website viewpointmag.com acht bekannte US-amerikanische Feministinnen, darunter Angela Davis und Nancy Fraser, es brauche am 8. März einen »kämpferischen internationalen Streik«: »Die Idee ist, Frauen, inklusive Transfrauen, und alle, die sie unterstützen zu einem internationalen Kampftag zu mobilisieren - ein Tag des Streikens, Demonstrierens, der Blockade von Straßen, Brücken und Plätzen, des Verzichts auf Haus-, Fürsorge- und Sexarbeit, des Boykotts, der Anklage frauenfeindlicher Politiker_innen und Unternehmen, des Streikens in Bildungseinrichtungen.« Die neue Welle der Mobilisierung müsse ein »Feminismus der 99 Prozent« werden, »antirassistisch, antiimperialistisch, antiheterosexistisch und antineoliberal«.

Aktuelle feministische Kämpfe seien Vorboten einer solchen internationalen feministischen Bewegung: »vom Frauenstreik in Polen gegen das Abtreibungsverbot zu den Frauenstreiks und -demonstrationen in Lateinamerika gegen männliche Gewalt; von den massiven Frauendemonstrationen im letzten November in Italien zu den Protesten und dem Frauenstreik in Verteidigung reproduktiver Rechte in Südkorea und Irland«. Die Idee ist nicht neu: Bereits 2000 gründete sich eine Kampagne internationaler feministischer Organisationen aus 60 Ländern mit dem Namen Global Women's Strike.

Die internationale Plattform Transnational Social Strike zählte in ihrem unterstützenden Aufruf mehr als 20 Länder, in denen am 8. März gestreikt werden solle. Unter dem Motto »Nimm dir Zeit für deine Rechte!« ruft in Österreich die Plattform Frauen wollen mehr zum Streik auf. Mit dem Slogan »Strike4Repeal« (Streik für Aufhebung) werben Feminist_innen für ein Referendum über den Achten Zusatzartikel der Verfassung der Republik Irland. Das irische Abtreibungsrecht gilt als das strengste Europas.