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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 625 / 21.3.2017

Deutschland sperrt ein

Deutschland Unbeachtet von der Öffentlichkeit plant die Bundesregierung die radikale Entrechtung Asylsuchender

Von Carolin Wiedemann

Noch vor der Sommerpause soll das neue Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht verabschiedet werden. Dessen Entwurf wurde zwar Ende Februar in verschiedenen Zeitungen erwähnt, die große Empörung blieb jedoch aus. Dabei würde das Gesetz das Asylrecht in Deutschland so radikal einschränken wie keine andere Verschärfung zuvor.

Während die geplante Auslesung der Handys von Asylsuchenden und die Ausweitung der Abschiebehaft bereits in ein paar Artikeln skandalisiert wurden, blieb ein Punkt bislang völlig unbeleuchtet: Der Entwurf sieht vor, die Bundesländer dazu zu ermächtigen, Asylsuchende »ohne Bleibeperspektive« in Erstaufnahmeeinrichtungen festzuhalten, statt sie, wie bislang üblich, nach spätestens sechs Monaten in eine Gemeinschaftsunterkunft zu verlegen oder ihnen die Möglichkeit der freien Wohnungssuche zu geben. Dadurch soll laut Gesetzesbegründung »insbesondere vermieden werden, dass eine anstehende Aufenthaltsbeendigung durch einen nach dem Ende der Wohnverpflichtung erforderlichen Wohnortwechsel des Ausländers unnötig erschwert wird«. Heißt: Die Menschen sollen in der Erstaufnahme bleiben, weil sie von dort aus leichter abgeschoben werden können.

Und zwar alle »ohne Bleibeperspektive«. Das sind alle, deren Herkunftsländer als sicher erklärt wurden - und mehr. Eine »gute Bleibeperspektive« haben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aktuell nur Menschen aus Syrien, dem Irak, Eritrea, Somalia und dem Iran. Alle anderen, die in Deutschland Asyl suchen, könnten von nun an bis zur Abschiebung in den Erstaufnahmeeinrichtungen festgehalten werden - oder auf unbegrenzte Zeit, wenn sie nicht abgeschoben werden können. Wenn eine asylsuchende Person keine Papiere besitzt, was nach einer Flucht der Regelfall ist, ihr Herkunftsland ihr keinen Pass ausstellt und sie dann in der Bundesrepublik eine Duldung erhält - schließlich gehört sie nicht zur Gruppe mit der »guten Bleibeperspektive« -, könnte sie nach dem neuen Gesetz dazu verpflichtet werden, dauerhaft in der Erstaufnahme zu leben. Auch ein Kind, das diese Person bekommt, müsste dann dort aufwachsen.

Nach Berichten von Mitarbeiter_innen aus Erstaufnahmeeinrichtungen wird die Regelung zum Teil schon jetzt umgesetzt, obwohl das Gesetz noch nicht abgesegnet ist und obwohl es, selbst dann, den Bundesländern* die Wahl ließe. Um die Dramatik der Reform zu begreifen, muss man sich die Bedingungen in diesen Unterkünften vor Augen führen: Erstaufnahmeeinrichtungen sind Provisorien, in denen Menschen ohne Intimsphäre auf engstem Raum zusammengepfercht leben müssen. So sehr sich die Standards von Unterkunft zu Unterkunft unterscheiden: Alle gleichen von der Ausstattung her Gefängnissen, was noch dadurch unterstrichen wird, dass alle Bewohner_innen mit einer Chipkarte ihre Ein- und Ausgänge dokumentieren müssen. Auszuhalten ist es für die Menschen in diesen Unterkünften, von denen nicht wenige unter Traumata oder anderen besondern psychischen Belastungen leiden (laut der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer leiden zwischen 30 und 40 Prozent der Geflüchteten in Deutschland unter einer Traumafolgestörung), bislang überhaupt nur aufgrund der Perspektive, bald weiter verlegt zu werden, aufgrund der Hoffnung auf Schutz und ein Leben in Deutschland. Was wird es mit ihnen machen, wenn sie erfahren, dass sie dort - bis zu ihrer Abschiebung - nicht wieder rauskommen?

Wenn auch Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien in Deutschland Asyl suchen, zeitlich unbegrenzt in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, wäre vielen Kindern dauerhaft der Zugang zu Schulen verwehrt und der Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie zu Freizeitangeboten stark eingeschränkt.

Vor dem Hintergrund der Begründung des Gesetzesentwurfs wird diese Skizze noch problematischer: Das neue Gesetz sei notwendig, denn das BAMF werde in den nächsten Monaten »fortlaufend eine hohe Zahl von Asylanträgen von Personen ablehnen, die keines Schutzes in Deutschland bedürfen«. Das ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Erstens, weil der Zusammenhang, der hier aufgemacht wird, nicht stimmt: Das BAMF lehnt permanent Asylanträge von Personen ab, die sehr wohl des Schutzes in Deutschland bedürfen.

Planziel: Ablehnung

Gerade erst hat ein breites Bündnis, an dem etwa Pro Asyl und Amnesty International beteiligt sind, ein »Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfahren in Deutschland« veröffentlicht, in dem die Art, wie das Bundesamt für Migration über Asylanträge entscheidet, massiv kritisiert wird. Dass fast 70 Prozent derer, deren Asylanträge das BAMF ablehnt und die daraufhin vor Gericht ziehen, schließlich doch das Recht bekommen, in Deutschland zu bleiben, zeigt, wie unzureichend die erste Prüfung der Asylanträge ist. Zweitens liest sich diese Begründung, wie Pro Asyl treffend formuliert, »nicht wie ein Bekenntnis zu fairen und qualitativ hochwertigen Asylverfahren, sondern wie die programmatische Ankündigung einer verschärften Ablehnungspolitik«. Dazu passen wiederum die neuen Ankunftszentren, in denen über Asylanträge innerhalb von 48 Stunden entschieden werden soll.

Wenn die Entscheidung positiv ausfällt, sollen die Menschen gleich von den Ankunftszentren aus in Folgeunterkünfte verlegt werden. In die Erstaufnahmen kämen dann all diejenigen, deren Anträge abgelehnt werden, diejenigen »ohne Bleibeperspektive«. Die Erstaufnahmen wären damit nichts anderes mehr als Abschiebelager. Wenn immer weniger Menschen als schutzbedürftig anerkannt werden sollen, wird automatisch die Gruppe derer, die eine »gute Bleibeperspektive« haben, kleiner - ganz unabhängig von den Umständen, aus denen sie jeweils geflohen sind. Auch all jene, die aktuell erfolgreich in Revision gehen, können nach dem Gesetzentwurf bis zu einer gerichtlichen Entscheidung in der Erstaufnahme festgehalten werden. Solche Revisionsprozesse gegen den ersten Asylentscheid können sich über Jahre ziehen.

Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass Menschen, die abgeschoben werden sollen, aber ihrer »Mitwirkungspflicht« nicht nachgekommen sind, sich nur noch in einem bestimmten Umkreis um die Ausländerbehörde bewegen dürfen. Dazu würde das BAMF, so Stefan Keßler, Rechtsreferent des jesuitischen Flüchtlingsdienstes, auch Menschen zählen, die keinen Pass besitzen und von der Botschaft ihres Herkunftslandes auch keinen bekommen. Die Menschen könnten dann also nicht nur zum Verbleib in der Erstaufnahme gezwungen werden, ihnen wäre auch untersagt, sich überhaupt aus deren direkter Umgebung heraus zu bewegen.

Die große Inhaftierung

Damit würden sich die Bedingungen in der Erstaufnahme immer weniger von denen in der Abschiebehaft unterscheiden. Die soll ohnehin auch ausgeweitet werden. Sogenannte »Gefährder« sollen einfach weggesperrt werden - egal, wann die Abschiebung stattfinden kann. Was unter »Gefährdern« zu verstehen ist, wird im Entwurf nicht weiter ausgeführt. »Die Haftbeschlüsse, die wir kriegen, sind jetzt schon fürchterlich, und dann sollen nun noch die Leute, die solche Haftbeschlüsse verfassen, definieren, was eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist«, sagt Rechtsexperte Stefan Keßler, dessen Kollegen beim Flüchtlingsdienst der Jesuiten Menschen in Abschiebehaft betreuen und seit Jahren für deren Abschaffung kämpfen. Der Zweck, den die Bundesregierung mit der Ausweitung der Abschiebehaft zu verfolgen scheint: Abschreckung. Ihre Bereitschaft, die Situation für Asylsuchende dafür zu verschlimmern, scheint grenzenlos.

Den Menschen, die seit Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen ausharren, wurde anfangs gesagt, sie müssten dort drei Monate bleiben, dann hörten sie, es seien doch sechs Monate. Jetzt sagt man ihnen: Ihr kommt hier gar nicht mehr raus. Und wenn dann jemand ausflippt, wird diese Person als »Gefährder« in Haft verlegt. Wenn auch noch die Dublin-Reform auf europäischer Ebene gemäß den aktuellen Vorschlägen beschlossen wird (siehe Artikel von Maximilian Pichl auf Seite 5), wird zudem die Zahl derer, die aus Deutschland in andere europäische Länder abgeschoben werden können, massiv ansteigen. Im Abschiebeknast Eisenhüttenstadt in Brandenburg, mit 200 Plätzen der größte Deutschlands, waren in den letzten Jahren kaum mehr als drei Menschen gleichzeitig inhaftiert. Er sollte eigentlich geschlossen werden. Jetzt hat sich die Berliner Polizei vorsorglich umgesehen, ob die Kapazitäten in Zukunft reichen werden.

Carolin Wiedemann ist freie Journalistin und schreibt in ak regelmäßig über Asylpolitik und Geflüchtetenproteste.


* In der Printausgabe steht fälschlicherweise, dass das Gesetz »den Betreiber_innen der Unterkünfte die Wahl ließe«.