Permanenter Angstzustand
International Der Aktivist Ahmed Said über die Repression in der ägyptischen Militärdiktatur
Interview: Matthias Monroy
Anfang 2011 gingen in Ägypten Hundertausende auf die Straßen gegen die Militärdiktatur Husni Mubaraks. Das Militär antwortete mit einer brutalen Konterrevolution, die alle staatlichen Bereiche erfasst. Noch immer werden die damaligen Revolutionär_innen von der Militärdiktatur verfolgt. Aktuell sitzen mehr als 65.000 politische Gefangene in ägyptischen Knästen. Bis vor Kurzem war Ahmed Said einer von ihnen. Er war wegen der Teilnahme an einer Demonstration für ein Jahr lang eingesperrt im berüchtigten »Skorpion«-Gefängnis. Der Arzt lebt nun in Berlin.
Im November vergangenen Jahres bist du aus dem Gefängnis in Ägypten entlassen worden, nachdem du dort ein Jahr absitzen musstest. Vorher hast du zwei Jahre in Frankfurt gelebt und wolltest im Oktober 2015 eigentlich nur kurz nach Kairo reisen. Was ist da passiert?
Ahmed Said: Zum Anlass des vierten Jahrestages der Straßenschlachten in der Mohamed Mahmoud Straße nahm ich an einer Kundgebung in Gedenken der Opfer der Polizeigewalt teil. Damals waren mindestens 47 Menschen getötet worden, Tausende wurden verletzt. Unsere kleine Versammlung war nicht angemeldet und verlief unauffällig. Einige Stunden später wurde ich mit einem Freund in einem Café in der Innenstadt von Kairo festgenommen. So haben sie mich identifiziert. Ich wurde auf eine Polizeistation verschleppt, wo ich von den dortigen Beamten, aber auch vom Staatssicherheitsdienst NSS verhört und gefoltert wurde. Schon zwei Tage später standen ich und andere Demonstranten vor dem Untersuchungsrichter - glücklicherweise, denn in Ägypten passiert es oft, dass Festgenommene monatelang verschwunden werden, bevor sie einen Richter sehen. Manche tauchen gar nicht wieder auf. Auch unser Prozess verlief ungewöhnlich kurz. Nach zwei Wochen wurde ich zusammen mit vier weiteren Personen zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.
Du wurdest verurteilt, weil du das 2013 erlassene ägyptische Anti-Protest-Gesetz verletzt haben sollst. Obwohl dir Terrorismus gar nicht zum Vorwurf gemacht wurde, musstest du deine Strafe im Hochsicherheitsgefängnis »Skorpion« absitzen. Wie sieht der Alltag dort aus, wer sitzt dort ein und wie kamst du mit den anderen Gefangenen klar?
Warum ich dort landete ist für mich bis heute ein großes Fragezeichen. Ich war der einzige Linke dort, fast alle übrigen Gefangenen waren entweder Islamisten oder verfolgten einen ideologischen Islam. Einige andere waren als Anhänger der Muslimbrüder verhaftet und verurteilt worden, politisch aktiv waren sie aber nicht. Der Gefängnisalltag war anfangs schlimm, natürlich. Um Konflikte zu vermeiden bat ich darum, nicht zusammen mit radikalen Islamisten eingesperrt zu werden. Natürlich haben sie es doch getan. Das brachte eine Menge Probleme. Ich durfte keine Nachrichten von draußen erhalten, keine Bücher oder Zeitungen, nicht einmal Papier und Stift waren erlaubt. Als mir ein Mitgefangener ein Buch auslieh, wurde er dafür bestraft, die anderen bedroht. Andere Häftlinge benötigten ärztliche Behandlung oder Medikamente, die ihnen verweigert wurden. Manche starben deshalb. Nach einer Weile geriet ich regelmäßig mit der Gefängnisleitung aneinander, wo ich meine Rechte einforderte. Ich glaube, das bekamen auch die Anderen mit, jedenfalls respektierten sie mich. Manche wollten, dass ich ihnen ebenfalls zu ihren Rechten verhelfe. Doch das brachte andere Probleme. Wenn nämlich die Mitgefangenen mir zu nahe kamen, wurde das natürlich registriert. Der Geheimdienst, der das Hochsicherheitsgefängnis leitet, hat die Leute dann dafür bestraft. Nach einer Weile entwickelten sich aber Freundschaften mit den wegen krimineller Delikte Verurteilten. Sie waren in der Regel unpolitisch.
Schätzungen von Amnesty International zufolge sind mehr als 60.000 Personen aus politischen Gründen inhaftiert. Deine Freilassung zusammen mit 81 anderen Gefangenen erfolgte im Rahmen einer Begnadigung des Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi. Wie erklärst du dir das?
As-Sisi ist ein Militärfaschist. Derzeit braucht er aber die Unterstützung des Westens. Ich glaube, unsere Entlassung war ein Signal an Europa. In der gleichen Zeit, als unsere Entlassung bevorstand, hatten sie aber 300 neue Häftlinge in das »Skorpion« gebracht. Sie waren in Zivilkleidung, die Augen verbunden. Junge Menschen, die für zwei Monate entführt und gefoltert wurden. Acht von ihnen wurden später in erster Instanz zum Tode verurteilt, viele andere erhielten lebenslänglich. Diese Urteile werden von einem Militärgericht verhängt. Ägypten ist bekannt dafür, dass dort Jugendliche und sogar Kinder verurteilt werden. Bekannt für die Todesurteile ist der Militärrichter Nagy Shehata. Allein an einem Tag hatte er 183 Personen zum Tode verurteilt. Er hasst die Revolution. Wegen ihm gibt es in Ägypten eine Kampagne zur Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit.
Bei deinem Prozess waren Delegationen der deutschen Botschaft und der Europäischen Union anwesend. Trotz der öffentlichen Beobachtung wurde die lange Haftstrafe schließlich bestätigt. Deine Freundinnen und Freunde gaben aber nicht auf, deinen Fall bekannt zu machen. Glaubst du, diese Aufmerksamkeit half in deinem Fall? Zwischenzeitlich sorgte auch der bestialische Mord an dem italienischen Studenten und Journalisten Giulio Regeni international für Schlagzeilen.
Das war ein wichtiges Signal, damit im Westen klar wird, was dort wirklich geschieht, und die Propaganda des Regimes in Kairo gebrochen wird. Ägypten ist abhängig von Europa und der westlichen Welt, deshalb sind der Druck und die Solidarität sehr hilfreich. Und für mich persönlich war das wichtig. Meinen Freundinnen und Freunden schilderte ich es damals so: »Es hilft mir nicht raus aus dem Knast, aber es schützt mich hier drin.« Doch auf der anderen Seite war das, was dem wundervollen linken Aktivisten Giulio Regeni geschah, ebenfalls ein Signal, das diesmal die Regierung an den Westen richtete. In Deutschland hatte der ägyptische Außenminister über meinen Fall gesagt, es habe sich um einen Fehler gehandelt und man kümmere sich darum. Damit wollte er den Anschein erwecken, so etwas sei die Ausnahme. Dabei gehört die Repression zur Strategie: Alle auf der Straße sollen Angst bekommen, jederzeit verhaftet zu werden. Dieses System nennen wir den »Angstzustand«. Dazu gehört, dass auch alle Aktiven der Aufstände von 2011 immer noch bestraft werden.
Du lebst jetzt wieder in Deutschland, einem Land, das Ägypten mit der Ausbildung von Polizei und Geheimdiensten kräftig unterstützt. Das Bundeskriminalamt arbeitetet dabei eng mit dem Staatssicherheitsdienst zusammen, der im »Skorpion« foltert und misshandelt. Wie können wir gegen die Polizeiwillkür in Ägypten kämpfen?
Es ist ein gemeinsamer Kampf. Ich selbst will den Faschismus bekämpfen, hier und dort, mit all seinen Unterstützerinnen und Unterstützern. Was Ägypten angeht, müssen wir die Leute hier in Deutschland wissen lassen, was die beiden Länder miteinander zu tun haben. Die deutsche Bundespolizei trainiert dieselbe ägyptische Polizei, die ihre eigene Bevölkerung foltert und ermordet. Die deutsche Regierung liefert Waffen und unterstützt das faschistische Militärregime mit milliardenschweren Wirtschaftsbeziehungen. Warum?
Ägypten soll für Deutschland den Terrorismus klein halten. Aber die Politik der ägyptischen Regierung hat die Radikalisierung und Gewaltförmigkeit selbst befördert. Das deutsche Außenministerium weiß das natürlich. As-Sisi ließ beispielsweise den Sinai komplett zerstören, Hunderte Zivilistinnen und Zivilisten starben dabei. Ich sage nicht, dass er islamistische Gruppen wie al-Kaida oder den Islamischen Staat selbst geschaffen hätte. Aber das Militär und seine Politik profitieren davon und haben ein Interesse daran, dass diese Gruppen bestehen bleiben. Das Gleiche passiert jetzt mit Geflüchteten. Wie kann die Europäische Union allen Ernstes mit einem Diktator bei der Kontrolle und Abwehr von Migration zusammenarbeiten?
Matthias Monroy ist Wissensarbeiter, Aktivist und Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP sowie in Teilzeit Mitarbeiter des MdB Andrej Hunko.