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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 626 / 18.4.2017

Und nun zum Sport

Eine leichte Entscheidung

Manchmal ist es leicht, eindeutige Urteile zu fällen: Die Entscheidung der ak-Redaktion, eine Sportkolumne einzurichten, ist blendend. Nun ist es für einen Sportliebhaber wie mich ein Leichtes, das zu sagen. Aber es geht hier nicht um irrationale Leidenschaften. Die politische Auseinandersetzung mit dem Sport erfordert nicht, Sport zu mögen. Schließlich gibt es gute Gründe dafür, das nicht zu tun: von entwürdigenden Ausleseverfahren im Schulsport und der Vermittlung unheilbringender Körpernormen bis zur Kommerzialisierung und dem Chauvinismus des heutigen Profisport-Spektakels.

Der Marxist Terry Eagleton meint, »wenn ein rechter Thinktank den Auftrag erhielte, eine besonders effektive Methode zu entwerfen, um Menschen für politische Ungerechtigkeit blind zu machen, könnte er nichts Wirksameres erfinden als den Fußball«. Und für den Anarchisten Noam Chomsky ist der Sport »ein gesellschaftlicher Bereich, der keine Bedeutung hat und wahrscheinlich deshalb so populär ist, um von den wirklichen Problemen abzulenken, die wir nicht beeinflussen können, weil uns die Macht dazu fehlt«.

Mag alles sein. Aber: Wenig begeistert die Massen so wie der Sport. Der Sport macht ungeahnte Emotionen frei, versetzt Phlegmatiker in Energiebündel und schafft Kollektivsubjekte der besonderen Art. All das mag unbehaglich sein, unterstreicht aber gerade deshalb die Wichtigkeit der politischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen. Davor die Augen zu verschließen und es als per se reaktionär abzukanzeln, hilft niemandem - außer den Reaktionären.

Wer politische Intervention nicht auf eitel behütete Subkulturen beschränken will, kann den Sport nicht ignorieren. Es gibt keine Orte, an denen so regelmäßig so viele Menschen zusammenkommen wie in Sportstadien. Alleine darin liegt ungeheures politisches Potenzial. Natürlich ist das, was auf den Rängen dieser Stadien geschieht, für den Rest der Gesellschaft von Bedeutung. Und welche Bühne für Proteste große Sportereignisse zur Verfügung stellen, beweist nicht zuletzt der vielleicht berühmteste Black-Power-Gruß aller Zeiten: Auch wenn wenige die Namen von Tommie Smith und John Carlos kennen, haben praktisch alle ein Bild ihres ikonischen Protests auf dem Siegerpodium des 200-Meter-Laufs der Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-Stadt im Kopf - Olympische Spiele, die im Übrigen von sozialen Massenprotesten begleitet waren.

Vieles, was aus linker Sicht am Sport negativ ist - seine Vereinnahmung durch die Herrschenden, seine Rolle als Katalysator konservativer Ressentiments, seine ökonomische Ausschlachtung durch widerwärtige Sponsoren - hat seinen Grund darin, dass wir uns auf einem hochpolitischen Terrain bewegen. Der Sport spiegelt die Gesellschaft wider und beeinflusst sie. Wenn es der Linken gelingt, in dieses Wechselspiel einzugreifen, kann er zu einem wichtigen Mittel im Kampf um gesellschaftliche Veränderung werden.

Es ist bemerkenswert, dass viele Linke dies dem Sport nicht zutrauen. Hier kommen nicht zuletzt kulturelitäre Vorurteile zum Tragen. Kritik an Hollywood führt nicht zu einer Infragestellung der Filmkunst. Das von den Kastelruther Spatzen ausgelöste Grauen lässt Element of Crime in umso helleren Licht erstrahlen. Und nur weil es die Bild-Zeitung gibt, hören die Leute nicht auf, ak zu lesen. Beim Sport scheint etwas Besseres als martialische Kriegsrhetorik und Nationalflaggenwahnsinn undenkbar. Sport ist gleich Sport ist gleich Scheiße.

Dabei gibt es antifaschistische Fangruppierungen, Sportvereine, die auf Solidarität statt Konkurrenz setzen, und Sportveranstaltungen, die wichtige kulturelle Treffpunkte und soziale Lernstätten sind. In der historischen Arbeitersportbewegung, deren Kritik an den marktschreierischen, wettbewerbsorientierten und nationalistischen Zügen dessen, was als »bürgerlicher« Sport denunziert wurde, erstaunliche Aktualität besitzt, waren Millionen von Arbeiter_innen organisiert.

Es ist wichtig für die Linke, Initiativen dieser Art zu unterstützen, und von großem Nutzen, die politischen Strukturen und gesellschaftlichen Implikationen des (geliebten oder gehassten) Sports zu analysieren. Zudem ist es ausgesprochen hilfreich, gesellschaftspolitische Probleme anhand exemplarischer Geschichten aus dem sportlichen Alltag zu diskutieren. So gibt es wenige Beispiele, an denen sich konventionelle Konzeptionen von Geschlechtsidentität besser illustrieren lassen, als anhand der beschämenden Debatten um Sportler_innen wie Caster Semenya. Anstatt die Leistungen der südafrikanischen Olympiasiegerin im 800-Meter-Lauf gebührend zu honorieren, wird sie seit Jahren als »richtige Frau« infrage gestellt.

All das - und mehr - soll von nun an dieser Stelle Gegenstand der Betrachtung sein. Freuen wir uns darauf!

Gabriel Kuhn