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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 626 / 18.4.2017

Essenz und Ersatzteil

Kultur Woher kommt der Cyborg? Die Whitewashing-Debatte um den Film »Ghost in the Shell«

Von Toby Ashraf

Es war einmal eine Frau, die war ein Ersatzteillager. Ihr wurde mit einem menschlichen Gehirn ein Geist gegeben, dieser mit einer elektromechanischen Körperprothese als »Hülle« verbunden - und fertig war der »Ghost in the Shell«. Rupert Sanders' kürzlich in den deutschen Kinos gestarteter Science-Fiction-Film wartet keine fünf Minuten, um den nicht allzu mysteriösen Titel restlos zu klären und dieses Geschöpf aus den Kabel-, Wasser- und Lackbecken der Zukunftslabore wie einen Phönix aus der Asche aufsteigen zu lassen. Denn tatsächlich gehörte das Gehirn der Neuschöpfung »Major« einmal einem Menschen, tatsächlich auch einer Frau. Es ist ein visuell beindruckender Prolog, in dem leuchtende Dioden tentakelgleich an die Nervenstränge des Hirns anzudocken suchen und eine gegossene Körperschale langsam aus einem Becken mit weißer, dickflüssiger Chemie auftaucht wie aus einer frankensteinschen Manufaktur für Edelkarossen.

Hier könnte es anfangen, schön kompliziert zu werden, denn was ist diese zur Geheimagentin programmierte Kampfmaschine eigentlich nach ihrer Werdung? Hat ihr Gehirn ein Geschlecht? Hat ihr Gehirn eine »Race«? Major ist die erste ihrer Art - ein Prototyp, wie wir im Laufe des Film erfahren, denn alle vorherigen Experimente blieben erfolglos. Zum anderen ist Major natürlich ein Cyborg, ein kybernetischer Organismus, ein Produkt und ein Mischwesen. Halb Mensch ohne Unterleib, halb Maschine, eben mit Brüsten, aber ohne Brustwarzen.

Major wird durch die Physiognomie ihrer gebauten Hülle klar vergeschlechtlicht, obwohl man nach dem kurzen Prolog bereits genüsslich den Semesterapparat eines Grundkurses in Gender Studies an ihr abrollen könnte - und das wäre auch alles andere als ertraglos. Der Widerspruch zwischen der Liebe der Kamera zum schaufensterpuppengleichen Körper ihrer Hauptfigur (mal eben in Slow Motion das Hochhaus herunterfallen) und Majors Funktion als hyperharte Elektrokillerin in einer Männerwelt werden bis zum Ende nicht gelöst.

Kommt alles so bekannt vor

Nach knappen zwei Stunden filmischem Futurismus fragt man sich tatsächlich, in welcher Zeit man lebt, denn irgendwie bedient »Ghost in the Shell« ein Bild- und Ideenprogramm, dass filmgeschichtlich schon reichlich abgefrühstückt scheint. Von der »neuen Frau« in »Metropolis« zu den Straßenschluchten aus »Blade Runner« (und später »Das fünfte Element«, inklusive Hochhaus-Dive), von den zerfetzten Cyborgkörpern aus »Aliens« zu den Welten aus virtuellen Datenstrudeln des »Matrix«-Franchise (inklusive Geburtsszenen), von den alptraumhaften Parallelweltausflügen aus »The Cell« zur visuellen Freude, Figuren unsichtbar zu machen (»Hollow Man«), bis kürzlich zur Frage nach der Seele des female Cyborgs in Alex Garlands »Ex Machina« - been there, seen that, been more impressed.

Und siehe da: »Ghost in the Shell« geht selbst auf einen japanischen Animefilm aus dem Jahr 1995 zurück (Regie: Mamoru Oshii), der wiederum auf die Mangaserie von Masamune Shirow aus dem Jahr 1989 zurückgreift. Die Geschichte wurde diesmal im Vergleich zum Originalfilm modifiziert, die Hauptfigur Major in den Vordergrund gerückt und ihr eine Entstehungsgeschichte gegeben. In Teilen gleichen sich beide Filme allerdings bis in einzelne Einstellungen.

Mamoru Oshii zeichnete damals ein hartes, trostloses und in seinen philosophischen Momenten zivilisationskritisches Bild eines Landes, das Japan sein könnte. Existenzialistische Fragen nach dem Selbst, dem Sein und dem Bewusstsein wurden anhand seines Cyborgs immer wieder in melancholischen Sequenzen verhandelt. Vor allem aber skizzierte Oshii eine globalisierte Dystopie anhand der fiktiven Megalopolis »New Port City«, für die Hongkongs Straßenschluchten Pate standen. In den städtischen Flüssen schwamm der Müll einer übersättigten Konsumgesellschaft, deren Straßenreklamen schon längst nicht mehr nur asiatische Schriftzeichen zeigten. Die Moden und Frisuren der animierten Figuren sprachen oft eine deutlich westliche Sprache, und der sphärische Soundtrack des Komponisten Kenji Kawai mischte japanische mit kantonesischen Stimmen; ursprünglich war sogar geplant, einen bulgarischen Chor zu benutzen. Wer die für den US-Markt synchronisierte »Ghost-in-the-Shell«-Version von 1995 guckte, erlebte ohnehin einen vollkommen anderen Film und konnte sich mit einigem Recht fragen, ob es in dieser Zukunftsfiktion überhaupt noch um etwas genuin Japanisches oder Asiatisches oder um das genaue Gegenteil gehen sollte.

Hier könnte jetzt eine Debatte einsetzen, die bereits zu Drehbeginn der Realverfilmung mit argumentativen Schlaghämmern virtuell ausgetragen wurde und - wie eigentlich immer - vor allem die Schauspieler_innen, weniger aber die Regisseure, Caster_innen und vor allem Produzent_innen trifft: Major, die einmal Motoko Kusanagi war, wird von der weißen US-amerikanischen Schauspielerin Scarlett Johansson verkörpert. Die erst seit kurzem medial so intensiv und nun auch am Beispiel von »Ghost in the Shell« geführten Diskussionen um »Whitewashing«, »Blackfacing« und »Yellowfacing« sind politisch notwendig und verweisen zu Recht darauf, dass es Schauspieler_innen, die nicht weiß sind, im Filmbusiness schon immer schwerer hatten als ihre kaukasischen Kolleg_innen, selbst dann, wenn es um die Verkörperung zum Beispiel asiatischer Frauen geht.

Whitewashing-Debatte und globalisierte Filmindustrie

Mittlerweile sind die Strukturen der Filmwelt recht unübersichtlich, die großen Hollywoodstudios sind längst zu Global Playern geworden, die nicht mehr nur das US-Publikum im Auge haben. Paramount Pictures ist Teil des Viacom-Medienkonglomerats und vereint unter anderem die Shanghai Film Group und Huahua Media unter sich, die »Ghost in the Shell« kofinanziert haben. Das führt unter anderem dazu, dass sich im Film neben Johansson auch die Französin Juliette Binoche, die Rumänin Anamaria Marinca, die japanische Regielegende Takeshi Kitano, der Australier Lasarus Ratuere, der Däne Pilou Asbæk oder die kurdisch-polnische Britin Danusia Samal tummeln. Viele von ihnen wirken wie Fremdkörper in einem Film, der aber einen Fremdkörper zum Filmthema macht.

Wer behauptet, dass eben dieser Fremdkörper eine klar als asiatisch zu lesende Frau sein soll, muss sich fragen lassen, ob eine Debatte über mangelnde Rollenangebote für asiatische Schauspielerinnen ausgerechnet am Beispiel von »Ghost in the Shell« viel Sinn ergibt. Ein Film, der dem Existenzialismus des Originalfilms das Schlusszitat »Humanity is our virtue« aus dem Munde eines Cyborgs entgegensetzt. Ist dieser lieblos zusammenglobalisierte und unoriginelle Neuaufguss einer ursprünglich visionären Geschichte über Globalisierung in seiner strukturellen Unentschiedenheit und in all seiner unfreiwilligen Komik nicht schlichtweg der falsche Kampfplatz? Müssen wir zudem den hypersexualisierten und ins Extreme gedehnten Mangakörper einer Cyborgfigur aus feministischer Perspektive verteidigen und aus antirassistischer Perspektive als »asiatisch« markieren, um über die Unsichtbarkeit asiatischer Schauspieler_innen zu diskutieren? Übernehmen wir damit nicht am Beispiel eines kybernetischen Ersatzteillagers selbst die Definitionsmacht für etwas eigentlich nicht zu Ende Definiertes?

Toby Ashraf ist Filmkritiker, Kurator, Film- und Festivalarbeiter. In ak 606 schrieb er über »Mad Max: Fury Road«.