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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 627 / 16.5.2017

Aufgeblättert

Krieg dem Krieg

Vor 100 Jahren stand Friedrich Adler, ein linker österreichischer Sozialdemokrat, vor Gericht. Er hatte Österreichs Ministerpräsidenten Graf Stürgkh erschossen - aus Protest gegen den Weltkrieg. Adler wollte mit dem Attentat die »psychologische Voraussetzung für eine künftige Massenaktion schaffen«. Michaela Maier und Georg Spitaler zeigen die Zusammenhänge der Tat und die Rezeption dieser in der Geschichte der Sozialdemokratie einzigartigen politischen Intervention: Die Reaktionen reichten von Verständnis politischer Weggefährten wie Otto Bauer für »eine sittliche Tat« über Hetze von rechts bis hin zur Psychologisierung der Tat in den 1970er Jahren. Zu Zeiten der RAF konnte es keine politische begründeten Attentate geben; für den Wiener Historiker Gerhard Botz handelte es sich allenfalls um einen »verschobenen Vatermord«, wie er 1976 schrieb. Heute, da Formeln von den 1914 agierenden europäischen »Schlafwandlern« (Christopher Clark) das vergangenheitspolitische Feld beherrschen, kann »das Gedenken an den radikalen politischen Einspruch Adlers als notweniges Korrektiv dienen«, schreiben Maier/Spitaler. Und so lohnt die Lektüre, auch wenn Lenin gar nicht so falsch lag, als er von der »Verzweiflungstat eines Kautzkyaners« sprach. Adler wurde trotzdem Ehrenmitglied im Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat. Am 19. Mai 1917 wurde er zum Tode verurteilt und später begnadigt. Das Buch enthält neben einer ausführlichen Einleitung ein Wortprotokoll des Prozesses.

Wilhelm Achelpöhler

Friedrich Adler: Vor dem Ausnahmegericht. Herausgegeben von Michaela Maier und Georg Spitaler. Promedia Verlag, Wien 2016. 248 Seiten 17,90 EUR.

Vier Freunde

Malcolm, J.B., Willem und Jude ziehen nach dem College nach New York. Alle haben ähnliche Probleme wie J.B.: »seine Karriere (stagnierend), sein Liebesleben (nicht existent), seine sexuelle Orientierung (unklar), seine Zukunft (ungewiss)«. Doch als Jude sich eines Nachts selbst schwer verletzt und Willem ihn zum Arzt fahren muss, werden ganz andere Probleme essentiell. Zwischen Jude und seinen Freunden hatte sich eine Beziehung entwickelt, »in der über die ersten 15 Jahre seines Lebens geschwiegen wurde, ... als hätte man ihn auf dem College frisch ausgepackt und einen Schalter an seinem Halsansatz umgelegt, woraufhin er zappelnd zum Leben erwacht wäre«. Trotz seiner Schweigsamkeit ist Jude das Zentrum der Vier. Doch er hält nur zögerlich am Leben fest. Hanya Yanagihara beschreibt aus unterschiedlichen Perspektiven, aber immer mit großer Sensibilität die jahrzehntelange Geschichte dieser Freundschaft. Der Umgang mit den erlittenen Traumata ist Kern der Erzählung. Dass diese fast ausschließlich mit männlichen Figuren besetzt ist, gerät schnell in Vergessenheit, da die Beziehung zwischen den vier Freunden völlig anders funktioniert als eine gewöhnliche »Männerfreundschaft«. Yanagihara schafft es an vielen Stellen, extreme Nähe zu ihren Charakteren herzustellen. Ein aufwühlendes und mitreißendes Buch. Ständig ist man versucht, es wegzulegen, um sich eine Pause von den Emotionen zu gönnen - und eine halbe Stunde später hält man es immer noch in der Hand.

Markus Berg

Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben. Hanser, Berlin 2017. 960 Seiten, 28 EUR.

Felix Weil

25 Jahre lang war er der Finanzier des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt/Main. Der 1898 geborene Felix Weil ist der Erbe des Weizenimperiums seines 1890 nach Argentinien ausgewanderten Vaters. 1907 wird er nach Deutschland geschickt, um dort in Frankfurt die Schule zu besuchen. Als junger Erwachsener begeistert er sich für die Arbeiterbewegung und den parteiunabhängigen Sozialismus. Jeanette Erazo Heufelder hat nun eine beeindruckende Biografie dieses Mäzens vorgelegt. Sie gründet sich auf Archivstudien und Weils unredigierten Lebenserinnerungen. Das Buch berichtet von politischen und finanziellen Interna und Details des Instituts, aber auch über Hintergründe der argentinischen Regierungspolitik oder der globalen Getreideproduktion. Es bietet ein eindrückliches Panorama jener Jahrzehnte: Weil unterstützt auch linke Kulturproduzenten, hat Kontakt zu Willi Münzenberg, zur Kommunistischen Internationale und zur Kommunistischen Partei Argentiniens, wie später zur US-Air Force, für die er im fortgeschrittenen Alter arbeitet. Die finanziellen Verhältnisse werden ebenso ausführlich geschildert wie familiäre Verwicklungen und Weils von fünf Ehen geprägtes Privatleben. Erbstreitereien in Buenos Aires gefährden Mitte der 1930er Jahre die Existenz des Instituts. Auch nach der Emigration des Instituts in die USA gibt er große Summen. 1969 kehrt er ein letztes Mal nach Deutschland zurück und verstirbt 1975. Er hatte sein ganzes Vermögen aufgebraucht.

Bernd Hüttner

Jeanette Erazo Heufelder: Der argentinische Krösus. Eine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule. Berenberg Verlag, Berlin 2017. 208 Seiten, 24 EUR.

Primo Levi

Der Band »So war Auschwitz. Zeugnisse 1945 - 1986« enthält Texte des Schriftstellers Primo Levi (ak 626) und des Arztes Leonardo De Benedetti. Die beiden jüdischen Überlebenden hatten bereits im Frühjahr 1945, kurz nach ihrer Befreiung, für das sowjetische Kommando in Kattowitz einen Bericht verfasst »über die hygienische-medizinische Organisation des Konzentrationslagers für Juden in Monowitz (Auschwitz - Oberschlesien)«. Auch in den meisten anderen dokumentierten Texten geht es um das Lager in Monowitz - »Auschwitz III«, acht Kilometer vom »Stammlager« entfernt. Monowitz war kein Vernichtungslager im engeren Sinne: Die meisten Häftlinge starben völlig entkräftet, nachdem sie ein paar Monate lang Zwangsarbeit geleistet hatten. In dem Band enthalten sind auch Zeugenaussagen Levis und De Benedettis für Prozesse gegen den Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, und andere führende Nazis; Levis »Brief an die Tochter eines Faschisten, die nach der Wahrheit fragt«, veröffentlicht 1959 in der Turiner Tageszeitung La Stampa; ein Essay über »Das Europa der Lager« und der titelgebende Aufsatz »So war Auschwitz«. Nicht nur hier wird deutlich, dass Levis Zeugnisse immer auch auf die Gegenwart bezogen sind - als Appelle, den Anfängen zu wehren. So auch der letzte Text aus dem Jahr 1986, gewidmet »Unserer Generation ...«, den wenigen Zeitzeug_innen. Im zweiten Teil des Buches ordnen die Herausgeber die dokumentierten Texte ein und erläutern sie mit detaillierten Anmerkungen.

Jens Renner

Primo Levi: So war Auschwitz. Zeugnisse 1945-1986. Mit Leonardo De Benedetti. Herausgegeben von Domenico Scarpa und Fabio Levi. Carl Hanser Verlag, München 2017. 303 Seiten, 24 EUR.