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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 627 / 16.5.2017

Produktive Panik

Kultur Der Film »Berlin Rebel High School« porträtiert die Schule für Erwachsenenbildung (SFE) - die selbstorganisierteste Schule weit und breit

Von Elisa Aseva

Bereits beim Betreten des Durchgangs von der befahrenen Gneisenaustraße zu dem ehemaligen Fabrikgelände lässt sich ahnen, dass die Uhren an der Schule für Erwachsenenbildung (SFE) in Berlin anders ticken müssen als an anderen deutschen Schulinstitutionen. Man könnte sogar sagen: gegenläufig.

Die Schule hat eine deutschlandweit einmalige Bildungsform hervorgebracht: Sie ermöglicht nicht nur Menschen mit bereits erworbener Berufsausbildung, sondern auch jungen und nicht mehr ganz jungen Schulabbrecher_innen den Zugang zur Mittleren Reife und dem Abitur - und das ohne Direktor, ohne Noten, ohne Sitzenbleiben, als Teil eines basisdemokratischen und selbstverwalteten Projekts. Entstanden ist sie in den frühen 1970er Jahren aus einem Schulstreik heraus. Angesiedelt ist die SFE (das Kürzel hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert) im Kreuzberger Mehringhof, einem mittlerweile recht einsam stehenden Bollwerk des alternativen Westberlins. Das scheint zwar unverändert durchweht vom Geist der Siebziger, beherbergt aber noch immer einen Teil der linkspolitischen Infrastruktur der Stadt: neben dem Buchladen Schwarze Risse, der nicht totzukriegenden Kneipe Clash, dem Mehringhoftheater und dem Verbrecher Verlag auch unzählige Initiativen wie etwa den Berliner Ermittlungsausschuss, das Medibüro und die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration.

Die Räumlichkeiten der Schule liegen in einem der oberen Geschosse des Klinkergebäudes. Dort verstärkt sich noch einmal das Gefühl, in eine anarcho-romantische Zeitreise geraten zu sein: Die Wände sind sympathisch geschmacklos bemalt und so ziemlich jeder erdenkliche Politslogan findet sich in irgendeiner Ecke verewigt.

Hausbesetzer_innen, Weirdos, Antifa-Nerds und Hippies

Der erste Schultag wird ehemaligen Schüler_innen der SFE wohl immer im Gedächtnis bleiben. Es ist der Zeitpunkt, an dem sich die eigene, meist ungerade Biografie mit diesem Ort verbindet. Im Versammlungsraum, der den Charakter einer offenen Kommunenküche hat, begegnet sich täglich eine Unordnung aus Hausbesetzerjugend und Dorfweirdos, Antifa-Nerds, Hippies und auch einigen, die dem streng codierten linksalternativen Spektrum nicht entsprechen. Mit dem staatlichen Regelschulsystem hat kaum jemand gute Erfahrungen gemacht. Hier trifft sich die Mischung, um sich in zweieinhalb bis drei Jahren gemeinsam auf das gesellschaftliche Nadelöhr des Abiturs zuzubewegen.

Der Dokumentarfilmer Alexander Kleider hat eine Klasse von Beginn an begleitet, ganze drei Jahre lang. Entstanden ist so der Film »Berlin Rebel High School« - und er ist so poppig emotional geraten, wie es der Titel vermuten lässt. Kleider war einst selbst Schüler der SFE und ist durch seine eigenen Erfahrungen während der drei Jahre, die er dort verbrachte, überzeugt und begeistert von dem selbstverwalteten Schulprojekt und den Menschen, die es tragen und gestalten. Nach seiner Motivation für diesen Film befragt, muss Kleider nicht lange überlegen. Gerade in Zeiten abhanden gekommener Utopien, sei es um so wichtiger, von jenen kleineren, aber tagtäglich umgesetzten zu erzählen. Solch eine »gelingende Utopie« sei die SFE.

Das sind große Worte für die kleine, in den letzten Jahren ums finanzielle Überleben kämpfende Schule. Doch dem Film gelingt es, sie mit Leben zu füllen. Das liegt vor allem an den Protagonist_innen, die Kleider begleitet - Schüler_innen, die in ihrer Unterschiedlichkeit und Typenschärfe ein eigenwilliges Ensemble bilden. In einer der ersten Szenen des Films erleben wir sie kurz vor dem Moment der Zeugnisvergabe, die Anspannung und Nervosität im Raum ist deutlich spürbar. Als die ersten Namen aufgerufen und Zeugnisse verteilt werden, friert das Bild ein. Zurück auf Anfang.

Das Gefühl etwas zu können

Die Erzählung nimmt nun Fahrt auf und lässt die Zuschauer_innen nah heran an die einzelnen Figuren. Rhythmisiert werden die kurzen Portraits durch schnelle Schnittfolgen und leuchtend bunte Bildern. Da ist die reif und bedächtig wirkende Lena, die es als Punkerin in ihrem kleinen Herkunftsort in Mecklenburg-Vorpommern schwer hatte - sei es in Auseinandersetzung mit den Schulverantwortlichen oder der Dorfpolizei. Die Abwesenheit von Zwang an der SFE lässt sie aufatmen. Und auch ihr Rauhaardackel ist herzlich willkommen.

Dann ist da Alex. Er hat bereits eine längere Schul- und Heimkarriere hinter sich, den wiederkehrenden Mobbingattacken seiner Mitschüler_innen entzog er sich durch Nichtanwesenheit. An der SFE will er es noch einmal versuchen. Alex wirkt verträumt, verletzlich - und schließt im Laufe des Films nicht nur echte Freundschaften mit seinen Mitschüler_innen, sondern auch mit sich selbst. Immer wieder werden die Schüler_innen in ihrem Leben außerhalb der Schule gezeigt, wie sie sich durch die noch fremde Stadt bewegen, gemeinsam Musik machen oder einsam im Plattenbauzimmer sitzen, während draußen die U-Bahn rattert.

Bei allem vorherrschenden Feel-Good-Drive gelingen Kleider viele unaufgeregte und berührende Szenen. Etwa wenn die Kamera Alex und den stets lockeren Marvin beim Besuch von Marvins alter Schule begleitet und die beiden ständig zwischen Flapsigkeit und nachdenklichem Gespräch changieren, bis Marvin von einer Demütigung durch den Schulleiter erzählt. Ein Moment, der die wachsende Intimität zwischen ihnen einfängt - und sich gleich darauf wieder heiter auflöst.

Konflikte mit unnachgiebigen Autoritätsinhaber_innen ziehen sich durch die einzelnen Biografien. Auch Hanil, ein eher stiller, zurückhaltender Junge, hat so einen erlebt. Nachdem er beim Kiffen erwischt wurde, war er in den Fokus des Schulleiters geraten, einige angesammelte Fehltage später war sein Rauswurf besiegelt. Hanils Vater stammt aus der Türkei, seine Mutter aus Südkorea und beim Besuch des Elternhauses in Aachen schwingen auf ihn gerichtete Hoffnungen wie auch die Angst vor Enttäuschung mit. Wie Alex erlebt er während seiner Zeit an der SFE einen Wandel an sich selbst - und entwickelt das Gefühl, etwas zu können.

Schule als Entdeckungs- und nicht als Konkurrenzraum

Seine Schüler_innen genau darin zu unterstützen und zu bestärken, darin sieht Deutsch- und Kunstlehrer Klaus Trappmann seine eigentliche Aufgabe. Er möchte Schule als Entdeckungs- und nicht als Konkurrenzraum verstanden wissen. Das sei mit ein Grund, weshalb die Lehrer_innen der SFE nicht selbst Prüfungen abnehmen, sondern die Schüler_innen partnerschaftlich durch die finale Prüfungssituation begleiten. Und vielleicht auch, weshalb er bei gutem Wetter die Klasse schon mal in sein idyllisches Gärtchen lädt, schließlich lässt sich auch dort etwas über Exilerfahrungen von Irmgard Keun und Bertolt Brecht erfahren. Der studierte Theaterwissenschaftler ist Gründungsmitglied der SFE und erhält noch nach 44 Jahren Lehrtätigkeit den SFE-üblichen Bruttostundenlohn von 12,50 Euro. Immerhin ist er im Besitz einer tiefen und klangvollen Stimme, die neben der eigens komponierten Filmmusik den Sound von »Berlin Rebel High School« maßgeblich prägt.

Man hört ihm gerne zu, wenn er vom einstigen Gang in die Fabriken zur Agitation der Arbeiterklasse berichtet - und wie schief der ihm geraten ist. Überhaupt hätte er ja eher Angst vor diesen sehr maskulinen Arbeitern gehabt und sich viel mehr für die Vagabunden, Rocker, Herumtreiber interessiert - also jene, die am Rande der Gesellschaft stehen und sich dort ganz wohlfühlen.

Nicht nur an der SFE selbst, sondern auch an ihrem menschlichen Inventar bildet sich linke Westberliner Historie ab. Beate Ulreich, die das Projekt organisatorisch zusammenhält, war Teil der Hausbesetzerszene und ist ebenfalls ehemalige Schülerin. Sie ist eine glühende Verfechterin des selbstverwalteten Konzepts und betont ein ums andere Mal das hohe Maß an Eigenverantwortlichkeit, das alle Beteiligten einbringen - und doch werden ihre zielgerichteten Ansagen als strukturgebend geschätzt. So bildet auch ihre Definition der drei Phasen, die alle Schüler_innen durchlaufen, die Gliederung des Films: Begeisterung, Resignation, produktive Panik.

So wie die dritte Phase den Abschluss der Schulzeit der Protagonist_innen einläutet, so findet »Berlin Rebel High School« mit Ablauf und Ergebnis der Prüfungen sein Ende.

Nach all der geäußerten Kritik am staatlichen Bildungsverständnis und der Emphase auf die Freiheit des Lernens ist es ein Wermutstropfen, dass Alexander Kleider seinen Dokumentarfilm auf eine Weise in Form setzt, die das lineare Erfolgsstreben abbildet. Natürlich kann man sich dem Spannungsbogen überhaupt nicht entziehen. Es ist fast erstaunlich, wie sehr man das Bestehen der Protagonist_innen herbeisehnt.

Und vielleicht ist das auch ein ganz schöner Dreh am Ende dieses Film - dass nun ein Kinopublikum sich gemeinsam mit den Lehrer_innen der SFE etwas wünscht für diese jungen Leute, wozu das deutsche Bildungswesen nicht in der Lage war. Nämlich alles Gute.

Elisa Aseva ist Absolventin der SFE und Sachverständige zwischen den Orten.