Moderne Rassenkunde
Deutschland Die polizeilichen Befugnisse bei der DNA-Analyse sollen drastisch erweitert werden
Von Tino Plümecke und Susanne Schultz
Anfang April dieses Jahres lud die Berliner Polizei 1.600 Frauen zu einem Massen-DNA-Test, weil in einem Park in Lichtenberg ein totes Neugeborenes gefunden worden war. Die Anordnung ging allerdings nicht an alle Bewohnerinnen der umliegenden Straßen, sondern lediglich an Mädchen und Frauen zwischen zwölf bis 55 Jahren aus 14 südosteuropäischen Ländern - neben Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Moldawien und Griechenland alle Länder Ex-Jugoslawiens. Die Polizei leitete diese Auswahl aus einem Isotopengutachten ab; aus der Häufigkeit bestimmter Elemente im Körpergewebe seien Rückschlüsse auf den bisherigen Aufenthaltsort der Mutter gezogen worden. Außerdem vermuteten die Berliner Ermittler_innen auch gleich noch eine Täterschaft in der nahen Notunterkunft für Geflüchtete und nutzten für die DNA-Probenentnahme auch deren Räume.
Amaro Foro, ein Berliner Jugendverband von Roma und Nicht-Roma, wertet das Vorgehen der Polizei als Diskriminierung von Roma. Mitarbeiterin Diana Botescu dazu: »Wir fragen uns, wie diese Zusammenstellung von Ländern zustande kommt, und können uns dies nur so erklären, dass es sich hier um eine typische Form der antiziganistischen Kriminalisierung handelt. Seit geraumer Zeit werden Menschen aus diesen Ländern sowohl in der Politik, als auch in der medialen Berichterstattung unter Generalverdacht gestellt und institutioneller Diskriminierung ausgesetzt.« Empört ist Botescu auch darüber, wie die Polizei Frauen in ihrem Beiblatt der Polizei informiert hat: »Das war sehr missverständlich formuliert. Statt klar zu sagen, dass der Test freiwillig ist, wurde in dem Blatt mit einer richterlichen Anordnung gedroht, wenn die Frauen Nein sagen zum Test. Das würde bei Massengentests in der deutschen Bevölkerung nicht so gemacht.«
Sicherheitspolitische Aufrüstung via DNA
Das Vorgehen der Berliner Polizei gibt einen Vorgeschmack darauf, was es bedeutet, wenn Ermittlungsbehörden aus biologischen Differenzen vermeintlich eindeutige Zuordnungen zu bisherigen Aufenthaltsorten, Herkunft oder gar »Ethnizität« herleiten. Genau darauf aber zielen aktuelle sicherheitspolitische Gesetzesentwürfe für die Erweiterung polizeilicher DNA-Analysen ab. Bisher darf die Polizei nach einer Straftat DNA-Spuren lediglich auf das chromosomale Geschlecht und auf sogenannte nicht-kodierende Identifizierungsmuster untersuchen. Anders als Fernsehsendungen wie etwa CSI oder Tatort nahelegen, ist es bisher keinesfalls erlaubt, die DNA nach körperlichen Eigenschaften oder Herkunft zu durchsuchen. Diese Beschränkungen der Ermittlungsbehörden begründen sich aus dem Persönlichkeitsschutz und daraus, dass es sich bei DNA um sehr sensible Daten handelt, die etwa auch auf mögliche Erkrankungsrisiken oder Verwandtschaftsverhältnisse hinweisen können. Dieser Schutz könnte in den nächsten Wochen aufgegeben werden.
Aus Baden-Württemberg und Bayern kommt der Vorschlag, in Zukunft DNA-Analysen von körperlichen Eigenschaften wie Augen-, Haar- und Hautfarbe in laufenden Ermittlungen zu legalisieren. Bayern fordert darüber hinaus die Analyse sogenannter biogeographischer Herkunftsmarker. Die Bundesregierung will zudem erlauben, bei Massengentests Rückschlüsse auf Verwandte der Probengeber_innen ziehen zu können. Der Plan ist es, diese Befugniserweiterungen noch vor den Wahlen in dem »Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens«, ein unübersichtliches Sammelsurium von Reformen, zu bündeln und durchzuwinken. Wie sehr sicherheitspolitische Wunschszenarien derzeit ihre Blüte treiben, machte jüngst auch der Direktor des Hamburger Instituts für Rechtsmedizin, Klaus Püschel, deutlich. Er forderte gleich die Totalerfassung von DNA-Profilen der gesamten Bevölkerung.
Genetisches Racial Profiling
Ausgangspunkt der aktuellen Debatte war der Mord an Maria L. im Oktober vergangenen Jahres in Freiburg. Der Täter konnte hier aufgrund des Fundes eines blondierten Haares und durch Videoüberwachungsdaten ermittelt werden. Dennoch nutzten Sicherheitspolitiker_innen die mediale Stimmungsmache, um die Ausweitungen der polizeilichen Befugnisse für die DNA-Analyse zu fordern. Wer bei »biogeographischer Herkunft« unwillkürlich an »Rasse« denkt, liegt damit nicht ganz falsch. In Freiburg hatte eine obskure rassistische Sekte namens »Bund gegen Anpassung« die Debatte zu DNA-Analysen angeheizt und moniert, »die Justiz« decke den Täter »wegen seiner Rasse«. Die »biogeografische Herkunft« ermittelt sich, indem aus der Häufigkeitsverteilung spezifischer DNA-Marker auf die mutmaßliche regionale Herkunft bzw. auch die »Ethnizität« geschlossen wird. Zwar beruhen solche Analysen immer nur auf vagen und fehleranfälligen Wahrscheinlichkeitsberechnungen; da sie aber auf biologisches und statistisches Wissen verweisen, umgibt sie eine Aura der Faktizität. Letztendlich handelt es sich bei dem Konzept der »biogeographischen Herkunft« um einen Euphemismus für rassifizierte Zuordnungen. (1)
Problematisch sind die anvisierten DNA-Analysemethoden auch, weil es in der Praxis der Ermittlungen selbst zu rassifizierenden und rassistischen Effekten kommen kann. So kann die Bestimmung der wahrscheinlichen Augen-, Haar- oder Haarfarbe sowie der Herkunft nur dann einen Erkenntnisgewinn bringen, wenn Merkmale ermittelt werden, die in der Gesamtbevölkerung nicht häufig sind. Das Ergebnis, der oder die Täter_in habe wahrscheinlich braunes Haar und helle Haut lässt sich kaum in weitere Ermittlungsschritte übersetzen, während eine vermeintliche asiatische Herkunft oder eine dunkle Hautfarbe eine pauschale Kriminalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen befürchten lässt. Zudem braucht es entsprechende Datenbanken und Register, um auf die entsprechenden Gruppen überhaupt zugreifen zu können.
Proteste von Wissenschaftler_innen und NGOs
Inzwischen hat sich Protest gegen diese Gesetzesvorhaben formiert. Die offizielle Darstellung, »DNA-Analysen in der polizeilichen Ermittlungsarbeit seien einfach, trivial, zuverlässig und unproblematisch« halten Wissenschaftler_innen aus Deutschland und Großbritannien für »unverantwortlich«. In einem offenen Brief erklären sie, dass die »technische Zuverlässigkeit für forensisches Arbeiten im Polizeidienst keinesfalls einwandfrei geklärt ist«. (2) Und sie warnen vor »rechtlichen, ethischen und sozialen Risiken«, denn es stehe »nichts Geringeres als das Verhältnis von Staat und Mensch auf dem Spiel«.
Außerdem unterstützen 25 medizinische, antirassistische und datenschutzpolitische Organisationen eine kritische Stellungnahme des Gen-ethischen Netzwerks. (3) Sie weisen auf die Gefahren rassistischer Stimmungsmache hin und problematisieren die »fehlgeleitete politische und mediale Darstellung dieser Methoden«. Dass sich auch die Betroffenen selbst solche polizeilichen Vorgehensweisen nicht einfach gefallen lassen, machte der Berliner Massengentest deutlich. Nur etwas mehr als die Hälfte der vorgeladenen Frauen und Mädchen kam der polizeilichen Aufforderung zum DNA-Test nach.
Tino Plümecke ist Wissenschaftssoziologe und forscht derzeit zu Racial Profiling in der Schweiz. Susanne Schultz ist Politologin, forscht an der Goethe-Universität Frankfurt zu Demografiepolitik in Deutschland und ist Vorstand im Gen-ethischen Netzwerk.
Anmerkungen:
1) Lisa Gannett: Biogeographical ancestry and race. In: Studies in History and Philosophy of Science Nr. 47 (2014), Seite 173-184.
2) Offener Brief zum kritischen Umgang mit erweiterten DNA-Analysen in der Forensik vom 8. Dezember 2016. Online: stsfreiburg.wordpress.com/offener-brief.
3) »Gegen die Erweiterung polizeilicher Befugnisse in der DNA-Analyse« - Stellungnahme des Gen-ethischen Netzwerks vom 25.04.2017. Online: gen-ethisches-netzwerk.de/files/2017_04_25-Stellungnahme-DNA.pdf.