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International Warum Bini Adamczaks kleines Buch über Kommunismus die US-Konservativen in Panik versetzt
Von Chad Kautzer
Seit der US-Wissenschaftsverlag MIT Press vor wenigen Wochen Bini Adamczaks »Communism for Kids« veröffentlichte, herrscht helle Aufregung im konservativen Spektrum der USA. Vom zeternden Radiomoderator Alex Jones und Breitbart News, dem Darling der »Alt-Right«, über etablierte Medien wie The National Review bis zu Gary Smith, Kongressabgeordneter aus South Carolina, sind sie alle auf den Barrikaden. Smith beschuldigte »Communism for Kids«, »eine mörderische Ideologie als Kindermärchen« zu präsentieren. Breitbart schreibt mit Blick auf Adamczaks Selbstbeschreibung als »queere Theoretikerin«, »diese spezielle Sorte Kommunisten« begreife nicht, »dass sie zu den ersten gehören, die an die Wand gestellt würden«. The National Review spricht von einem »gruseligen« Buch »aus den Fiebersümpfen der Occupy-Bewegung«.
Adamczaks Buch, das in Deutschland 2004 unter dem Titel »Kommunismus: Kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird« erschien, erkundet Alternativen zu kapitalistischer Ausbeutung und Klassenherrschaft in zugänglicher Sprache und charmanten Illustrationen. Trotz seiner sinnbildhaften Struktur war »Communism for Kids« nie als Kinderbuch gedacht. Der englische Titel geht auf die Kappe des Verlags, der mittlerweile einräumt, die kritischen Reaktionen ebenso unterschätzt zu haben wie die Mobilisierungskraft antikommunistischer Leidenschaften.
Antikommunistische Gefühle sind nach wie vor eine treibende Kraft innerhalb der extremen Rechten in den USA, wenngleich eher als rassifizierte Form inneramerikanischer Polemik. In diesem populären Diskurs fungieren »Kommunismus« oder »Sozialismus« als Codewörter für die Umverteilung weißen Reichtums (mittels Steuern) an People of Color. Private rassistische Ansichten werden im öffentlichen Diskurs als ökonomische Argumente formuliert. Diese »Privatmeinungen« erklären auch, warum manche weiße Angehörige der Arbeiterklasse so leidenschaftlich gegen ihre eigenen ökonomischen Interessen kämpfen. Sie identifizieren sich eher mit dem weißen Kapital - und daher mit Trump - als mit Gewerkschaften, öffentlichen Schulen und staatlicher Gesundheitsversorgung, die Nicht-Weißen ebenfalls zugute kommen könnten.
Dieses Gefühl reicht als Erklärung für die unzähligen hysterischen Reaktionen auf »Communism for Kids« aber nicht aus, denn Bücher über Kommunismus gibt es viele. Das Label »Kinderbuch« verschärft die Alarmstimmung bei Konservativen, ebenso der häufig zitierte Umstand, dass Bini Adamczak eine »queere Theoretikerin« ist (immer in Anführungszeichen). Dass das Massachusetts Institute of Technology (MIT) das Buch verlegt, bestätigt die Rechten außerdem in ihrem Misstrauen gegen Intellektuelle und Wissenschaftler_innen. Hinzu mischt sich das Gefühl, verraten worden zu sein. Das MIT ist im Prinzip ein Ableger des US-Verteidigungsministeriums - dessen Lincoln Laboratory, ein Forschungsinstitut des Verteidigungsministeriums, erhielt letztes Jahr fast eine Milliarde US-Dollar aus öffentlichen Mitteln -, weshalb ihm bislang selbst antiintellektuelle Konservative zähneknirschend Respekt zollten.
Auch die aktuelle Orientierungslosigkeit der Konservativen ist ein fruchtbarer Nährboden für die Kontroverse. Trotz der jüngsten Wahlerfolge durchziehen tiefe Gräben das konservative Lager. Neofaschist_innen, Evangelikale, Tea-Party-Anhänger_innen und Goldman-Sachs-Neoliberale kämpfen erbittert um die Macht, während die schrumpfende Gruppe der moderaten Konservativen sich mit ihrer Degradierung abfindet. In Zeiten der Opposition wurde dieser reaktionäre Flickenteppich durch das geteilte Gefühl des eigenen Opferstatus zusammengehalten, das autoritäre Persönlichkeiten auszeichnet. Die äußere Bedrohung, die diese zersplitterte Rechte stabilisierte, war die Obama-Regierung. Sie löste bei vielen weißen christlichen Männern das Gefühl aus, benachteiligt zu sein. Nun ist Obama fort, und Konservative sind auf der verzweifelten Suche nach einem neuen Anderen, gegen das sie sich selbst definieren können. Doch bislang ist ein Ersatz nicht in Sicht. China, das noch vor einem Monat »Amerika vergewaltigt« hatte, ist nun ein Verbündeter. Der Dauer-Widersacher Russland gilt einer Mehrheit der Konservativen inzwischen als Freund. In diesen verunsichernden Zeiten erfüllte »Communism for Kids« zumindest für einen Moment die alte Sehnsucht nach einem gemeinsamen Feind. Im Epilog zu ihrem Buch schreibt Bini Adamczak, Kommunismus müsse »als vorstellbar dargestellt werden, um wünschbar zu sein«. Genau das ist die große Leistung des Buches. Es verführt auf spielerische Weise zu neuen Sehnsüchten. In Zeiten, in denen der Autoritarismus einen steilen Aufstieg erlebt und der Neoliberalismus in einer schweren Legitimationskrise steckt, müssen wir unser Denken, Wünschen und Handeln dringend erneuern. Die Linke wäre also gut beraten, »Communism for Kids« ebenso viel Aufmerksamkeit zu schenken, wie es die Rechte bereits tut.
Chad Kautzer ist Professor für Philosophie an der Lehigh University in Bethlehem, Pennsylvania und Autor von »Radical Philosophy: An Introduction« (Routledge 2015).
Übersetzung: Jan Ole Arps
Bini Adamczak: Kommunismus. Kleine Geschichte wie endlich alles anders wird. Unrast Verlag, Münster 2017, 84 Seiten, 8 EUR.