Strategien gegen Vertreibung
Aktion Erin McElroy vom Anti Eviction Mapping Project aus San Francisco über neue Formen des Widerstands gegen Gentrifizierung
Interview: Ulf Treger
Das Anti Eviction Mapping Project (1) aus San Francisco dokumentiert in einer Vielzahl von digitalen Karten die Vertreibungen durch eine »Hypergentrifizierung« und kontrastiert diese Datenpunkte mit den Erzählungen der Betroffenen und ihrem Widerstand gegen Wohnungsräumungen und Marginalisierung.
In welchem Kontext steht euer Projekt? Wie ist die gegenwärtige Situation in San Francisco?
Erin McElroy: Viele Leute hier nehmen die Situation in San Francisco und in der gesamten Bay Area als eine Form beschleunigter Gentrifizierung wahr, einer Hypergentrifizierung. Die Zahl der Wohnungsräumungen und Vertreibungen durch verschiedene Methoden nimmt stetig zu. Die Mieten steigen, die Immobilienpreise ebenfalls, und unverhältnismäßig viele Menschen, die von Vertreibungen betroffen sind, gehören zur Klasse der Working Poor, sind People of Color, Ältere, Kinder oder Menschen, die Englisch nicht als ihre erste Sprache sprechen. Die Menschen wiederum, die diese Form der New Economy kapitalisieren, unterscheiden sich demografisch sehr stark von den Leuten, die vertrieben werden. Es gibt daher viel Spannung in der Stadt.
Aus der Distanz scheinen die IT-Firmen des Silicon Valley eine treibende Kraft zu sein, zum Beispiel, weil sie private Buslinien errichten, die ihre Mitarbeiter aus dem Valley in die gentrifzierten Stadtteile der Stadt bringen. Wie schätzt du die Rolle dieser Unternehmen ein?
Das Problem sind nicht die Technologiekonzerne, nicht die Immobilienfirmen und nicht die staatlichen Behörden, sondern die Art, wie die Handlungen dieser verschiedenen Akteure aufeinandertreffen und wie diese Stränge sich überschneiden, sodass einige Leute ihre Wohnungen verlassen müssen und andere eine Menge Geld daran verdienen. Wir sind der Meinungen, dass die IT-Industrie sich ihrer Mitverantwortung an diesen Prozessen stellen muss.
Diese Google-Busse sind vielleicht nur der sichtbarste Teil der Hypergentrifizierung. Aber in der täglichen Routine, mit der diese hochmodernen Busse mit abgedunkelten Fensterscheiben täglich auf der Hauptstraße der Mission (einem hauptsächlich von Latin@s bewohnten Stadtteil, der stark von Gentrifizierung betroffen ist) die IT-Pendler_innen ausspucken, wirkt wie ein brutales, wie routiniertes Eindringen in ein anderes Territorium.
Ja, diese Busse sind sehr symbolträchtig und zugleich doch auch sehr materiell. Wir haben herausgefunden, dass Wohnungsräumungen in der Nähe dieser Bus-Stops viel häufiger sind als anderswo. Auch die Immobilienwirtschaft ist verstärkt in der Nähe der Haltestellen mit Werbung präsent. Die Mission erfährt zudem eine Art von Neudefinition durch eine Konzentration von Neuansiedlungen durch »Techies«, Technikfreaks.
Ihr kombiniert in eurem Projekt Methoden der Datenvisualisierung mit Methoden des Geschichtenerzählens, der Wiedergabe von aufgezeichneten Narrativen. Diese Mischung ist für ein politisches Projekt eher ungewöhnlich. Wie seid ihr dazu gekommen?
Wir sind ein Kollektiv aus Freiwilligen und Aktivist_innen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten. Einige von uns verstehen sich vielleicht als IT-Menschen, einige als Wissenschaftler_innen, andere als Wohnrecht-Aktivist_innen. Wir sind als technologisches Projekt entstanden, wir sind also nicht gegen die Nutzung von Technologien. Wir glauben, dass Technologien verschiedene Bedeutungen und Effekte haben können. Wir sind daran interessiert, diese Technologien zu nutzen, um Informationen zu visualisieren und Analysen anzubieten, während wir als aktivistische Gruppierung auch die Auswirkungen der Aktionen von IT-Konzernen und Regierungen beobachten.
Eure Karten haben einen eigenen grafischen Stil. Sie sind farbig, dicht und laut. Ich würde sagen, dass sie wütend wirken. Wie diskutiert ihr solche ästhetischen Aspekte?
Visuelle Aspekte spielen eine sehr wichtige Rolle in unserer Arbeit. Wir machen Web-Design, digitale Mappings, Zeichnungen, Fotografie. Einige von uns sind fit in Grafik-Design, während andere eher Interesse an Data-Wissenschaft haben. Mit unseren Murals, den Wandgemälden, ist es uns gelungen, alle Aspekte unserer Interessen und unserer Arbeit anzusprechen.
Ihr habt ein solches »narrative mural« im Stadteil Mission erschaffen.
Wir haben die Arbeit an unserem Aural History Projekt 2014 begonnen. Wir haben festgestellt, dass wichtige Aspekte durch die Kartierungen verloren gingen. Mit quantitativen Informationen allein konnten wir nicht alles erklären. Wir wollten daher mit Geschichten aus der Nachbarschaft, mit persönlichen Erzählungen eine emotionale Landschaft der Gentrifizierung sichtbar machen. Für das Aural History Project haben wir deshalb ein Werkzeug geschaffen, das uns hilft, ein tieferes geografisches Verständnis des Raums und seiner fortschreitenden Gentrifzierung zu entwickeln. 2015 haben wir unsere Karte im Web veröffentlicht, und gleichzeitig auch als Mural, als Wandgemälde. Wir haben eine Anruffunktion auf unserer Website und auf dem Mural eine Telefonnummer veröffentlicht, über die sich neun verschiedene Geschichten anhören lassen. Das Mural liegt in der Clarion Alley, gleich um die Ecke der Valencia Street - der am meisten gentrifizierten Straße der Mission. Das Mural ist auch in der direkten Nähe zur Mission Police Station. Eine der Geschichten, die wir dokumentieren, handelt von Alex Nieto. Alex wurde von Polizisten von genau dieser Polizeistation erschossen, nachdem jemand aus der Nachbarschaft die Polizei alarmiert hatte und diese Alex durch Racial Profiling als gefährlich einstufte. Wir haben dieses Mural auch erstellt, um einen intersektionalen Blick auf die Arten zu werfen, wie Polizeigewalt, rassistische Vorurteile und Vertreibungen zusammenwirken.
Wir haben auch ein Magazin produziert, in dem die Aural Histories transkribiert sind. Zusammen mit dem Mural und der digitalen Karte wollten wir Geschichten hervorheben, die inspirieren sollen, sich zu wehren. Wir wollten also nicht nur Geschichten von Verlusten und Niederlagen dokumentieren, sondern auch von Widerstand gegen Vertreibungen.
Du beschreibst die Auswirkungen der Gentrifizierung auf marginalisierte Gruppen. Ich würde dazu gerne über Datenvisualisierungen sprechen. Die Präsentation von Daten wird meist mit der Behauptung ihrer Wahrhaftigkeit begleitet. Dazu gibt es kritische Einwände. Laura Kurgan, eine Kartografin, weist darauf hin, dass Daten bereits eine Visualisierung sind, also bereits eine Interpretation erfahren. Flavia Dzodan beschreibt, wie »Big Data« schon seit den Anfängen der Kolonisation erhoben wird und seitdem zur Kontrolle und Marginalisierung bereits marginalisierter Gruppen beiträgt, insbesondere von People of Color. Die Frage für Projekte, die sich mit Mapping und Datenvisualisierungen beschäftigen, wäre daher, wie wir mit Daten umgehen und uns diese Aspekte bewusst machen können?
Das ist eine Frage, die wir die ganze Zeit diskutieren. Wir verstehen unsere Karten als Counter Mapping, eine Art kritischer Kartografie und auch als eine Art de-kolonialer Methodik. Wir betonen die Wichtigkeit, Daten nicht über bestimmte Menschen zu produzieren, sondern mit Menschen, die besonders von Gentrifizierung betroffen sind. Wir arbeiten immer auch mit anderen Gruppen zusammen. Wir nutzen dafür eine Art kollaborativer Methodologie, die Erkenntnisse aus den betroffenen Gemeinschaften heraus thematisiert. Die Datenprojekte der Industrie und auch der Stadt behaupten, »wahr« zu sein. Wir definieren uns dagegen als ein aktivistisches Projekt, das keine Objektivität produziert, sondern auf eine spezifische Art und Weise politisch ist.
Du erwähnst Daten, die von Stadtverwaltungen veröffentlicht werden. Was ist eure Meinung zu Open Data, also offenen Daten, die von Regierungen zur freien Verwendung herausgegeben werden?
Es ist vielleicht eine gute Idee, wenn Menschen diese Daten nutzen, sie zusammenfügen und daraus ein bestimmtes Verständnis über urbane Räume entwickeln können. Aber diese Datensätze werden immer auch Wertungen enthalten. Die Idee, diese Datensätze öffentlich zugänglich zu machen, um eine Stadt smart, also intelligenter zu machen, reflektiert den Smart-City-Trend oder die Idee, dass eine Stadt zu einem Computer werden kann. Es mag großartig sein, wenn Regierungen Daten online stellen. Du wirst aber viele Stellen finden, die fehlen, um zum Beispiel eine Analyse der verschiedenen Aspekte von Gentrifizierung vornehmen zu können.
Wie schätzt ihr die Wirkung eurer Arbeit für den Kampf gegen Hypergentrifizierung ein?
Wir sind pessimistisch und optimistisch zugleich. Es gibt viele Geschichten, wo Menschen sich mit direkten Aktionen gegen Vertreibungen gewehrt haben und so in ihren Wohnungen bleiben konnten. Blockaden, Besetzungen, Kampagnen zum Aufbau öffentlichen Drucks sowie das Bloßstellen von Spekulanten sind Methoden, die aber nicht für alle funktionieren. Andere Menschen denken über politische Initiativen nach, die über das Organisieren von Aktionen hinausgehen, andere über die Vermittlung zwischen den Interessensphären. Manche Ansätze scheitern an größeren, systemischen Problemen, andere können vielleicht nicht mehr als Schadensbegrenzung bewirken. Unsere Karten versuchen eine Analyse anzubieten, die ein Verständnis über die Vorgänge ermöglichen soll und die Schichten und Verbindungen in den betroffenen Nachbarschaften nachzeichnet. Über dieses Verständnis kann es gelingen, Strategien zu entwickeln. Wir können mit ihnen effektiver sein. Geschichten und Erinnerungen verwischen und verschwinden oft. Wir verstehen unsere Karten nicht nur als Speicher dieser Erinnerungen, sondern als aktive Sammlung von Auseinandersetzungen im urbanen Raum.
Ulf Treger schrieb zuletzt über den zyklischen Verschleiß von urbanen Aufwertungsprojekten (ak 595) und die Risiken einer Olympiabewerbung im Wettkampf zwischen den Metropolen. (ak 608)
Anmerkung:
1) Anti Eviction Mapping: mit (digitalen) Karten gegen Zwangsräumung/Vertreibung.