Kaffeetrinken im Krisenlabor
International Der Generalstreik in Griechenland blieb unbemerkt. Und dann kam auch noch die Documenta
von John Malamatinas
Dieser Tage wird auf den Straßen Athens viel deutsch gesprochen. Nein, es sind nicht Horden von deutschen Kapitalist_innen, die auf dem Parlamentsplatz ihren Freddo Espresso, erfolgreicher Nachfolger des bekannten Frappé, genießen, oder im linksalternativen Stadtteil Exarchia auf Erkundungstour gehen.
Es sind Tausende, vor allem deutsche, Kunsttourist_innen, die zur Documenta14, dem neuesten Exportprodukt aus Deutschland, pilgern. »Von Athen lernen« ist das Motto der diesjährigen prestigeträchtigen Kunstausstellung, die zum ersten Mal außerhalb Kassels stattfindet. Im Juni soll sie dann wieder zum Gründungsort zurückgekehrt und das Gelernte in gewohnter Umgebung präsentiert werden.
Ein Teil der »Indigenen« - Documentasprech für die »Einheimischen«, von denen mensch was lernen soll, so eines der Hauptthemen der Ausstellung - macht keinen Hehl daraus, was es vom deutschen Kunstimperialismus hält. An jedem Venue der Documenta14 und in den Hauptstraßen Athens hängen die mittlerweile weit verbreiteten »Fuck Documenta«-Plakate. Ein situationistisches Agitationsmittel, um die gern gesehenen Tourist_innen im Krisenland willkommen zu heißen. Es hätte in der Tat auch ein beliebiges Wort an der Stelle von Documenta stehen können - z.B. Troika, Schäuble oder sogar Lidl.
Nach sieben Jahren Krisenlabor Griechenland wundert so ein Plakat nicht - vor allem, wenn deutsche Medien in den letzten Jahren Athen als »das neue Berlin« betiteln. Vom kulturellen und wirtschaftlichen Aufstieg bekommt aber vor Ort niemand etwas mit - außer den Betreiber_innen und Besucher_innen von ein paar wirklich schick restaurierten Ausstellungsorten.
Tragödie und Komödie zugleich
Sieben Jahre Lohn- und Rentenkürzungen, Privatisierungen und 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit haben sieben Jahre Generalstreiks, Kämpfe und Selbstorganisierung hervorgebracht. Bisher ohne Ergebnis. Was bleibt: Eine zersplitterte Linke, der Rückzug in die Identitätspolitik oder zum allgeliebten Sofa: Mehrere Millionen Menschen nehmen an einer »Massenhypnose« namens Survivor teil - einer erfolgreichen Realityshow, importiert aus den USA, die dem deutschen Dschungelcamp ähnelt. Und es bleibt: Eine europäische Linke die - pardon - einfach die nächste Sau durchs Dorf treibt - Jean-Luc Mélenchon, Martin Schulz oder Jeremy Corbyn - anstatt wirkliche Schlüsse aus der Niederlage zu ziehen und in die Offensive zu gehen, zum Beispiel vor den deutschen Bundestagswahlen.
Am 18. Mai 2017 winkte das griechische Parlament das neue Sparpaket durch. Eine Neuheit neben den klassischen Kürzungen: Sonntagsshopping wird, trotz Protesten des Einzelhandels, auch außerhalb der touristischen Gegenden erweitert. Ministerpräsident Alexis Tsipras bezeichnete die Sparmaßnahmen in seiner Rede als »schwierig«, sie trügen jedoch zur Stabilisierung des Landes bei. Die Sparmaßnahmen sollen für die Jahre 2019 bis 2021 gelten; Tsipras hofft so den schwarzen Peter auf die nächste Regierung zu schieben.
Eigentlich sollte die erneute - erzwungene - Kapitulation Syrizas die nächste Welle frischen Kapitals freigeben, die Griechenland bitter braucht: bis zum Juli sieben Milliarden Euro. Aber der lange Kampf zwischen Deutschland und dem IWF verkompliziert die Angelegenheit. Der IWF machte beim dritten Memorandum nicht mit, vor allem, weil man hier der Meinung ist, dass das gesamte Prozedere ohne einen wirklichen Schuldenschnitt nichts bringt. Europas Supersparer, der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, blockiert derweil die nächste Zahlung, weil er als deren Vorbedingung die Beteiligung des IWF setzt.
Wahrscheinlich erscheint es vielen langweilig, diese erneuten Reformen und darin wiederholt die Zankerei zwischen IWF, EU und Deutschland zu beschreiben. Für Griechenland-Kenner_innen dürfte die laufende Berichterstattung zur elenden Qual geworden sein: Würden manche Artikel vom Mai 2010 und Mai 2017 ausgetauscht werden, niemand würde es merken.
Die Masken sind längst gefallen. Es ging den europäischen Politiker_innen nie darum, die griechische Wirtschaft auf Erfolgskurs zu bringen. Was sich abspielt, ist eine epische Tragödie und Komödie zugleich. Eine Tragödie, weil Griechenland wie Odysseus von Insel zu Insel getrieben wird und dabei immer wieder auf verschiedene Ungeheuer oder listige Götter trifft. Eine Komödie, weil das Szenario am oberen Ende sich zum x-ten Mal wiederholt. Aristophanes hätte es nicht besser entwerfen können, allerdings noch mit einen Schuss Zizek-Zynismus.
Unterwegs zum gemeinsamen Suchprozess
»Vor der Abstimmung protestierten nach Polizeiangaben mehr als 10.000, zumeist linke Demonstrant_innen vor dem Parlament in Athen. Einige Protestteilnehmer_innen schleuderten Molotowcocktails auf Polizist_innen; die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein. Gegen die Sparmaßnahmen haben abermals Tausende Griechen mit einem 24-stündigen Generalstreik protestiert.« So oder so ähnlich stand es in jeder beliebigen Tageszeitung.
Nur waren es bei weitem nicht so viele Demonstrant_innen wie im Mai 2010 oder Juni 2011 oder Februar 2012, als Hunderttausende das Parlament stürmten. Die Generalstreiks, so sieht es auch ein Großteil der griechischen Linken, haben ihre Wirkung entfaltet: genau in die entgegengesetzte Richtung. So etwas kann sich in der deutschsprachigen Linken sicherlich kaum jemand vorstellen: Sind Generalstreiks nicht der stärkste Ausdruck von Protest der Welt? Das kann gut sein, wenn der Generalstreik nicht ein Marionettenparlament vor sich hat. Viele erinnern sich an die Jahr 2006 und 2007, an die Kämpfe gegen die Neoliberalisierung der Universitäten. Damals gelang es, mit Tausenden die Reformversuche der damaligen konservativen Bildungsministerin zu blockieren. Diese Zeiten sind aber passé. Politische Entscheidungen werden losgelöst vom öffentlichen Druck getroffen. Generalstreiks haben nur noch die Funktion, aus einem Kessel Dampf abzulassen.
Wer in den letzten Jahren kontinuierlich Genoss_innen in Griechenland getroffen hat, wird die Verdüsterung ihrer Gesichter von Besuch zu Besuch bemerkt haben. Tatsächlich sind viele unserer Freund_innen, die wir in den letzten Jahren unterstützt haben, am Limit: politisch, körperlich und vor allem psychisch. Lohnarbeit bedeutet für viele, wenn sie nicht auswandern, für 2,50 Euro Stundenlohn im Café zu arbeiten oder in das »traute Heim der Familie« zurückzukehren. Einige machen tapfer weiter: in der Selbstorganisierung für und mit Geflüchteten, in Kollektiven und sozialen Zentren, in kleineren alltäglichen Kämpfen um Brot und Überleben.
Eine neue Welle der Kreativität ist bisher nicht eingetreten. Für die meisten ist die rituelle Randale an den Grenzen Exarchias keine Lösung und auch nicht das Warten auf den nächsten Messias, wie etwa Dimitris Varoufakis, der mit Diem25 sich nun erstmals getraut hat, in Griechenland Veranstaltungen zu organisieren. Die anarchistische Gruppe Rouvikonas ist gerade die meistgehandelte Aktie am Horizont der linksradikalen Szene. Mit spektakulären Besetzungsaktionen vermitteln sie den Eindruck eines einsamen Robin Hoods, der als letzte Instanz die Rechte der Armen und Ausgeschlossenen verteidigt. Viele schauen nach Frankreich. »Wir sind unregierbar« war das Motto des diesjährigen Festivals des antiautoritären Magazins Babylonia.
Die kulturelle und politische Hegemonie der Linken vor dem Syriza-Wahlsieg ist nur noch ein zersplitterter Spiegel in der Ecke des übersichtslosen Kampffelds. Das Scheinwerferlicht sucht interessantere Schauplätze - Trump, Terror und Technologieboom. Bei den organisierten Zusammenhängen in Griechenland sucht man derweil nach einer Möglichkeit, offensive Kampfzusammenhänge aufzubauen, die wieder ein Faktor in der Stadt und von der Öffentlichkeit ernst genommen werden und mit denen sich die Menschen identifizieren können: vom kollektivem Sichwehren zum Aufbau einer Vision, die allerdings bisher niemand in Griechenland (re)präsentieren kann. Dann, aber auch nur dann, könnten Generalstreiks in Kombination mit einer wirklichen europäischen Solidarität noch einmal anders wirken.
John Malamatinas lebt in Köln und Thessaloniki. Er ist in verschiedenen antikapitalistischen Gruppen aktiv.