Titelseite ak
ak Newsletter
ak bei Diaspora *
ak bei facebookak bei Facebook
Twitter Logoak bei Twitter
Linksnet.de
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 628 / 20.6.2017

»Der größte Zuhälter ist der Staat«

Gender Der Protest gegen repressive Prostitutionsgesetze hat eine bewegte Geschichte

Von Mareen Heying

Am 1. Juli 2017 wird in Deutschland ein Gesetz eingeführt, dessen Umsetzung noch unklar ist und dessen Inhalte mehr als fragwürdig sind; es nennt sich »Prostituiertenschutzgesetz«. Seit den 1980er Jahren setzen sich Prostituierte in Deutschland öffentlich in einer Hurenbewegung für eine Anerkennung ihres Berufes und gegen Diskriminierungen von Sexarbeiterinnen ein. Nachdem 2002 ein Gesetz eingeführt wurde, das ihre rechtliche und soziale Situation stärken sollte, ist das neue Gesetz ein Schlag ins Gesicht aller politisch aktiven Sexarbeiterinnen. (1)

Die Geburtsstunde der Hurenbewegung

Am 2. Juni 1975 besetzten über 150 Prostituierte zehn Tage lang die Kirche Saint-Nizier im französischen Lyon. Weil Morde an Kolleginnen unaufgeklärt blieben, die polizeiliche Repression zunahm und die Regierung ein Gesetz plante, das wiederholtes öffentliches Anwerben von Kunden mit Gefängnis bestrafen sollte, riefen die Besetzerinnen einen Streik aus. Die Sprecherinnen dieses Arbeitskampfes bezichtigten den Staat, der »größte Zuhälter« zu sein, da Prostituierte zahlreiche Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten zu zahlen hatten. Außerdem wurden von einigen Prostituierten Steuerrückzahlungen gefordert, basierend auf sehr hohen Schätzungen ihres Einkommens. Auch ihre gesellschaftliche Stigmatisierung und Abwertung prangerten die Sexarbeiterinnen an. Ihre Aktion stieß in der internationalen Öffentlichkeit auf große Resonanz.

Als Folge des öffentlich präsenten Streiks legten auch in anderen Städten Frankreichs Prostituierte die Arbeit nieder und besetzten aus Protest und Solidarität mit den Kolleginnen in Lyon weitere Kirchen im Land. Sie waren der Meinung, dass Prostitution existiere, weil ein mangelndes sexuelles Gleichgewicht in der Gesellschaft herrsche, und verlangten ihre Anerkennung als vollwertige Bürgerinnen mit allen Rechten. Die Sexarbeiterinnen forderten gute Arbeitsbedingungen, solange es Prostitution gebe.

Die Kirchen wurden schließlich geräumt, ohne dass die Forderungen der Sexarbeiterinnen umgesetzt wurden. Zwar waren die Ziele nicht erreicht, doch das Schweigen durchbrochen. Auf internationaler Ebene war dieser Streik von großer Bedeutung. Fortan formierten sich Prostituiertenbewegungen in Europa: Sexarbeiterinnen schlossen sich zusammen, um für eine Anerkennung ihrer Person und ihres Berufes einzutreten. Sie machten deutlich, dass sie ihren Beruf nicht aufgeben wollten, weil er ihren Lebensunterhalt sicherte, prangerten die Verfolgung durch Polizei und andere staatliche Autoritäten an und argumentierten gegen herrschende Vorstellungen von Prostitution. Prostituierte schlugen Reformideen vor und unterstrichen damit, dass sie selbst über sich und ihre Arbeit entscheiden wollten und keine Opfer waren.

Für die in Frankfurt aktive Sexarbeiterin Cora Molloy war der Streik in Lyon eine an der Arbeiterbewegung orientierte Emanzipationsstrategie und der »Keim einer europäischen Hurenbewegung«. Auch die Berliner Hurenaktivistin Pieke Biermann hat die Kirchenbesetzung als Geburtsstunde einer Hurenbewegung bezeichnet. Dies galt allerdings nur für die BRD; in der DDR war Prostitution illegal, eine Bewegung formierte sich dort nie.

1980 gründete sich in West-Berlin Hydra, 1984 in Frankfurt am Main HWG - Huren wehren sich gemeinsam. In den folgenden Jahren entstanden weitere Selbsthilfegruppen von Prostituierten, die sich miteinander vernetzten. Hydra und HWG brachten die Bewegungszeitschriften Nachtexpress (1980-1995) und die Zeitschrift für leichte und schwere Mädchen (1984-1998) heraus.

Selbsthilfe, »Hurenkongresse« und »Bockscheine«

Zwar waren einige Sexarbeiterinnen auch zuvor bereits politisch aktiv und hatten sich für ihre Rechte eingesetzt, doch eine kontinuierliche Zusammenarbeit begann erst mit der Gründung der ersten Selbsthilfeprojekte. Die »Schwesternorganisationen« trafen sich ab 1985 alle sechs Monate bei »Hurenkongressen«, auf denen sie ihre politischen Strategien besprachen. Zu den »Hurenkongressen« kamen meist um die 50 Teilnehmerinnen als Delegierte aus unterschiedlichen Städten.

Politisch aktive Sexarbeiterinnen bezeichneten sich selbst mit dem Schmähwort Hure; der Begriff sollte in eine positive Selbstbezeichnung umgewandelt werden. Die Bewegung wollte rechtliche, aber auch gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen: Kurzfristiges Ziel waren Gesetzesänderungen, perspektivisches Ziel die Abschaffung kapitalistischer und patriarchaler Gesellschaftsstrukturen.

Protest regte sich aus der Bewegung insbesondere gegen den Zwang, dass Prostituierte sich in den meisten deutschen Städten bis 1995 regelmäßig auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen mussten, wofür sie ein Gesundheitszeugnis, den sogenannten »Bockschein«, erhielten. Aus der Bewegung wurde daher die Forderung laut, »Bockscheine« für Kunden einzufordern und auch diese zu Untersuchungen zu schicken. Aktivistinnen von Hydra luden am 2. Juni 1989 Männer in ein vor einem Berliner Gesundheitsamt aufgebautes »Gesundheitshaus« ein, um sich unter Aufsicht der Ärztin »Frau Dr. Gesund«, einer Aktiven von Hydra, über Geschlechtskrankheiten beraten, aufklären und vor Ort untersuchen zu lassen. Im Gegenzug erhielten sie einen »Bockschein« ausgehändigt. Die Aktivistinnen von HW) besetzten am 2. Juni 1989 in Gedenken an die Frauen aus Lyon den Justitia-Brunnen vor dem Römer - dabei machten sie auch ihrem Unmut über Sperrgebietsverordnungen Luft. Durch die Prostituiertenbewegungen wurde der 2. Juni zum »Internationalen Hurentag« erklärt, Sexarbeiterinnen in Deutschland betonen auch heute noch die Bedeutung des Arbeitskampfes der Kolleginnen aus Lyon.

Kern der politischen Praxis in Deutschland war anfangs die Selbsthilfe, aber bereits ab 1986 führte die Hurenbewegung Gespräche mit der Partei Die Grünen; erste Gesetzesentwürfe der Partei und auch der Bewegung gab es schon Ende der 1980er Jahre. Im Jahr 2002 wurde mit dem »Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten« Sexarbeit formal als Beruf anerkannt. Prostitution galt fortan nicht mehr als sittenwidrig: Sexarbeiterinnen konnten nun beispielsweise ihren Lohn einklagen, wenn ein Kunde die Zahlung verweigerte. Das Bereitstellen von Kondomen und Handtüchern galt nicht mehr als Förderung der Prostitution, was bessere Arbeitsbedingungen ermöglichte, und der Zugang zur Kranken- und Rentenversicherung wurde vereinfacht. Zwar berücksichtigte das Gesetz nicht alle Realitäten des Berufes: Seit 2002 ist es auch möglich, Arbeitsverträge in der Prostitution abzuschließen, was de facto aber nicht praktiziert wird. Dennoch wurden mit dem Gesetz einige Forderungen der Hurenbewegung umgesetzt.

Die Bewegung hat sich institutionalisiert

Über 20 Jahre gab es eine starke Bewegung von Prostituierten. Sie löste sich nie offiziell auf, ging aber zunehmend in institutionalisierte Beratungsstellen über. Im März 2002 wurde der Bundesverband sexuelle Dienstleistungen e.V. (BsD) in Berlin gegründet, in dem sich sowohl selbstständige Prostituierte als auch Inhaber_innen von bordellartigen Betrieben engagieren. Die noch bestehenden Hurenprojekte in Deutschland, die öffentlich geförderte Beratungsstellen unterhalten, sind seit 2009 zusammen mit anderen Fachberatungsstellen für Sexarbeiter_innen im Bündnis-Dachverband Bufas e.V. zusammengeschlossen; aktuell sind darin 24 Beratungsstellen Mitglied. Seit 2013 gibt es den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleitungen (BesD), in dem sich ausschließlich Sexarbeiter_innen organisieren. Bufas, BsD und BesD beziehen sich nicht nur auf die Forderungen der Hurenbewegung; einige in den Verbänden Aktive sind auch schon seit deren Anfängen in der Bewegung aktiv.

Das in wenigen Wochen in Kraft tretende »Prostituiertenschutzgesetz« fordert nun, dass Prostituierte sich mit ihrem vollen Namen behördlich anmelden und sich regelmäßig gesundheitlich beraten lassen. Damit wird eine Kontrollinstanz geschaffen, die unter anderem von den politisch aktiven Sexarbeiterinnen, den Beratungsstellen und vom Deutschen Juristinnenbund e.V. abgelehnt wird. Die in den 1980er Jahren noch gängigen Zwangsuntersuchungen von Prostituierten führten lediglich dazu, dass diese sich gedemütigt fühlten. Dass durch das neue Gesetz eine Gesundheitskontrolle durch die Hintertür geschaffen wird, ist kein »Schutz«, wie es der Gesetzestitel vermuten lässt, sondern ein Skandal und eine Entmündigung der Frauen in der Prostitution. Stimmen von Prostituierten, die in den 1980er und 1990er Jahren noch Eingang in Gesetzesänderungen fanden, wurden in den jüngsten Diskussionen um die Gesetzgebung nicht berücksichtigt.

Der 2. Juni wird noch immer von vielen Sexarbeiterinnen weltweit jährlich mit politischen oder kulturellen Aktionen begangen. So veranstaltet die Beratungsstelle Madonna in Bochum jedes Jahr um den 2. Juni herum einen Gottesdienst. Passend zum neuen Gesetz wurde dieses Jahr thematisiert, wie Frauen zum Schweigen gebracht werden - vor allem Sexarbeiterinnen. Am 2. Juni 2017 startete auch die deutschlandweite Kampagne »Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!«, die an die Forderungen der Hurenbewegung anknüpft und für eine Entstigmatisierung von Sexarbeit und eine Gleichstellung mit anderen Berufen kämpft.

Mareen Heying ist Historikerin und promoviert zu Prostituiertenbewegungen im deutsch-italienischen Vergleich.

www.sexarbeit-ist-arbeit.de

Anmerkung:

1) Die Worte Sexarbeit und Prostitution werden synonym gebraucht. Gemeint ist eine freiwillig erbrachte sexuelle Dienstleistung zwischen erwachsenen Personen, für die ein vereinbartes Entgelt gezahlt wird.