Es rappelt in der Kiste
NoG20 Noch sind die USA der Hegemon des globalen Kapitalismus - doch die Machtverhältnisse verändern sich zunehmend
Von Ingar Solty
Die Welt ist in Bewegung geraten. Weltpolitische Ereignisse, die ansonsten in Jahrzehnten stattgefunden hätten, finden plötzlich in kürzester Abfolge statt: die Pulverisierung einer großen sozialdemokratischen Partei und der Sieg einer Linkspartei in Griechenland im Januar 2015 und deren anschließende Kreditknechtung durch die deutschdominierte Europäische Union, der allgemeine Aufstieg der extremen Rechten in den entwickelten kapitalistischen Staaten und ihr Griff zur Macht in den USA, Frankreich und Österreich, der »Brexit«. Zugleich steigt die Zustimmung für klassenkonfliktorientierte Linkssozialdemokrat_innen, die gezeigt haben, dass die Krise der Sozialdemokratie im »Westen« nicht naturwüchsig ist, sondern Resultat ihrer neoliberalen Politik ist.
Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass sich die Politik in den entwickelten Staaten in drei Lager spaltet: Die neoliberal-imperialen Parteien der ökonomisch und politisch herrschenden Klasse verlieren an Zustimmung und fransen im Zuge der Entfaltung der sozialen und politischen Widersprüche nach rechts und links aus. Rechtsautoritärem Nationalismus steht ein immer sichtbarer werdender dritter Pol gruppiert um ein solidarisch-inklusives Lager gegenüber. Dazu gehören etwa die Sanders-Demokraten in den USA, France Insoumisse um Jean-Luc Mélenchon in Frankreich, die Labour Party unter Jeremy Corbyn, Podemos und Izquierda Unida in Spanien, DIE LINKE in Deutschland.
Krisenbewältigung in den USA und in Europa
Zugleich gehört zu den beschleunigten Entwicklungen auch die Zunahme an sozialen Massenbewegungen und der neue Protestzyklus von 2011ff., der noch nicht abgeschlossen ist: vom Arabischen Frühling und den Sozialprotesten in Israel über die großen Antiausteritätsproteste von Portugal, Spanien bis Griechenland und den Ahornfrühling in Kanada sowie den »Aufstand von Wisconsin« und Occupy Wall Street in den US, den chilenischen Bildungs- und Demokratieprotesten und Occupy Nigeria bis zu den Nuit-Debout-Protesten gegen die neoliberalen Arbeitsmarktreformen in Frankreich.
Und schließlich zählt zu dieser beschleunigten Weltzeit auch die Zunahme an Staatszerstörungen und globalen, imperialen (Stellvertreter-)Kriegen, die sich wie ein Feuerring um Europa gelegt haben: von der Ukraine über Syrien und den Irak bis nach Libyen und Mali und zugleich die Bombardements der kurdischen Bevölkerungen durch den türkischen Staat, die Konflikte in Afghanistan oder der Krieg, den Saudi-Arabien mit deutschen Waffen gegen die arme, jemenitische Bevölkerung führt.
Der Unterbau dieser politischen Phänomene sind jedoch die Verschiebungen in der Plattentektonik des globalen Kapitalismus. Es sind die globale Krise seit 2007 und die Versuche der Staaten der Welt, diese Krise zu managen und unter Kontrolle zu bringen, die die Geschichte auf diese Weise beschleunigt. Der neue Protestzyklus von 2011ff. und die dreifache Polarisierung des politischen Spektrums in den entwickelten kapitalistischen Staaten ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund des Scheiterns all jener Kräfte, die den Kapitalismus von oben zu einem »grünen Kapitalismus« reformieren wollten. Die austeritätspolitische Wende vom Frühjahr/Sommer 2010, rund um den G20-Gipfel von Toronto, machte diesem Bemühen einen Strich durch die Rechnung. Die Vision, der Kapitalismus könne auf dem Weg der großen, staatlichen Konjunkturprogramme vergrünt und auf neue produktive Grundlagen (Windkraftanlagen, Solaranlagen, Hochgeschwindigkeitszüge etc.) gestellt und damit zugleich redynamisiert und entfinanzialisiert werden, ist vorläufig vom Tisch.
Stattdessen dominieren in den kapitalistischen Kernstaaten Krisenlösungsstrategien, die die Kosten dieser Krise den Volksmassen aufbürden. Die Regierungen in den USA und in Europa fahren die öffentliche Ausgaben für Gesundheit und Bildung zurück und schwächen im Namen der Wettbewerbsfähigkeit - besonders in Südeuropa - die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften, indem sie etwa Flächentarifvertragssysteme schreddern, die Mindestlöhne absenken, Einstellungsstops und Arbeitszeitverdichtungen im öffentlichen Sektor vorantreiben.
Mit diesen kurzsichtigen Strategien versuchen die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt - die USA und der Euroraum - sich einen größeren Stück von einem Kuchen zu sichern, der kaum noch wächst. Die globale Konkurrenz der Kapitalien um Absatzmärkte sowie die globale Konkurrenz der Staaten um ausländische Kapitalinvestitionen haben sich entsprechend verschärft. Die genannten politischen Erdbeben sind Ausdruck dieser wachsenden Konkurrenz.
Trumps Außenpolitik
Die Nervosität der politischen Klasse, die die Krise des globalen Kapitalismus staatlich managen muss, ist entsprechend mit den Händen zu greifen. Sie manifestierte sich anhand der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA, dem nach wie vor politisch und militärisch mächtigsten Staat der Welt. Die Wahl von Trump war aus der Perspektive des transnational-imperialen Machtblocks, der dieses System am Leben hält, ein Super-GAU. Dies lag allerdings nicht am Radaurassismus und Radausexismus Trumps, sondern vor allem daran, dass er drohte, den Konsens dieses Machtblocks zu durchbrechen, indem er den »Freihandel« (TPP, TTIP, NAFTA) und die imperiale Politik - einschließlich der militärischen Strukturen der NATO - infrage stellte. Als Trump gewählt wurde, sorgten sich die Herrschenden, ein unberechenbarer Donald Trump könnte die Bedingungen der Politik im Rest der Welt verändern.
Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Trumps Rücknahme der Entspannungspolitik gegenüber dem Iran und möglicherweise auch gegenüber Kuba. Es gilt aber besonders im Hinblick auf die aggressive Haltung gegenüber China. Diesbezüglich gilt jedoch, dass Trump im Grunde Obamas »Schwenk nach Asien«, d.h. eine aggressive Seemachtpolitik, bloß fortsetzt. Dabei geht es darum, regionale Konflikte um das Südchinesische Meer anzuheizen und sich so - mit bilateralen Militärverträgen und lokaler Aufrüstung - als Ordnungsmacht ins Spiel zu bringen. Die USA verfolgen dabei das Ziel einer Seemachtkontrolle und einer militärischen Drohkulisse, Chinas Wirtschaftsentwicklung durch eine maritime Kontinentalblockade abzuwürgen, was in China wiederum selbstverständlich registriert worden ist und der Hintergrund für die »neue Seidenstraße« ist. So steht Trump hier durchaus in einer Kontinuitätslinie mit Obamas Politik der Einbindung Chinas in die US- und westlich dominierte, neoliberale Weltordnung durch Eindämmung. Eine kurskorrigierende Aussöhnung mit Russland könnte entsprechend Teil dieser Politik sein, um - vor dem Hintergrund geschmälerter Staatsressourcen der USA - die geschwächten politischen Kräfte auf die Konfrontation mit China zu konzentrieren. Eine solche Aussöhnung wäre eine Umkehrung der Politik Nixons, der sich 1972 mit China aussöhnte, um mit mehr Ressourcen gegen die Sowjetunion vorgehen zu können.
Zugleich jedoch ist, wenn Trump Chinas Exportpolitik kritisiert, eigentlich Deutschland gemeint, insofern die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse höher und für die USA noch gravierender sind als die von China. Ein etwaiger (selektiver) Protektionismus seitens der USA würde das gesamte Krisenmanagement des deutschen Staates und damit auch des Euroraums plötzlich infrage stellen. Aus Perspektive der deutschen Bourgeoisie steht es außer Frage, dass der Euro um jeden Preis zu retten ist, weil eine Rückkehr zur D-Mark eine massive Aufwertung zur Folge hätte. Der billige Euro ermöglicht die deutschen Exporte in die Welt. Das wurde offensichtlich, als die europäischen Politeliten zahlreiche ihrer selbstauferlegten Regeln aus den EU-Primärverträgen brachen und keine Kosten scheuten, dieses System zu retten.
»Weltmacht« Deutschland und die USA
Zugleich ist die Europäische Union auch das politisch-militärische Sprungbrett in die Welt, weil es Deutschland in einem heute deutschdominierten Europa ermöglicht, global die Stimme zu erheben. Das deutsche, exportorientierte Wirtschafts- und Wachstumsmodell steht jedoch auf wackligen Beinen. Die Austeritätspolitik in Südeuropa hat zwar neokoloniale Praktiken ermöglicht, wie etwa die Privatisierung der griechischen Flughäfen zugunsten des deutschen Fraport-Konzerns zeigt. Zugleich aber hat sie die nahen, binneneuropäischen Exportmärkte geschwächt, weshalb sich mit der Krise die deutsche Exportabhängigkeit massiv nach Übersee verschoben hat, insbesondere in die USA und nach China. Diese plattentektonische Verschiebung hilft auch die neue deutsche Außenpolitik seit 2012/2013 erklären. Erstmals seit 1945 fordert Deutschland offen eine Weltmachtrolle für sich ein, formuliert die deutsche Außenpolitik in der Sprache der Interessen des »globalisierungsabhängigen Deutschlands«. Im September 2014 vollzog die Bundesregierung einen außenpolitischen Tabubruch, indem man jetzt mit Waffenexporten in Kriegsgebiete des Mittleren Ostens ganz offen das Recht auf gezieltes Eingreifen in äußere Kriege für sich reklamiert. Außerdem plant das Verteidigungsministerium eine annähernde Verdopplung der Rüstungsausgaben bis 2024, während in der Bildung, Gesundheit und bei der Rente gleichzeitig die »Schwarze Null« regiert.
Dennoch: Die deutschen Kapitalinteressen im Ausland werden noch sehr lange auf die USA und ihre politisch-militärische Macht angewiesen sein. Gleichzeitig muss die Bundesregierung alles daran setzen, eine selektive Protektionismuspolitik Trumps um jeden Preis zu verhindern, weil Strafzölle auf deutsche Exporte in die USA das exportorientierte Wachstums- und Wettbewerbsmodell grundsätzlich infrage stellen würden. Und dies wäre auch das Ende für die politisch-soziale Basis dieses Projekts: für den prekären Burgfrieden zwischen Kapital und Arbeit im deutschen Krisenkorporatismus.
Ingar Solty ist Referent für Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.