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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 628 / 20.6.2017

Zwei Seiten der Gewalt

International Die Bundesregierung ist mitschuldig an der katastrophalen Situation in Afghanistan

Von Claudia Krieg

Am 30. Mai 2017 werden 20 afghanische Jugendliche aus Schweden abgeschoben, einer von ihnen stirbt kurz darauf bei einem Bombenanschlag. Am 31. Mai 2017 explodiert unweit der deutschen Botschaft in Kabul eine Autobombe, mindestens 90 Menschen sterben. Zum selben Zeitpunkt landet ein Abschiebeflieger aus Wien und Stockholm in der afghanischen Hauptstadt. In den darauffolgenden drei Tagen gibt es allein dort mindestens vier weitere Anschläge, bei denen 40 Menschen ums Leben kommen. Bis zum 7. Juni sterben bei erneuten Attacken und bei Demonstrationen für mehr Sicherheit im Land insgesamt 50 Menschen. Am 15. Juni 2017 tötet ein IS-Selbstmordanschlag in einer schiitischen Moschee in Kabul mindestens vier Menschen.

Die unvollständige Chronik tödlicher Anschläge in Kabul zeigt einen winzigen Ausschnitt der fortlaufend eskalierenden Gewalt in Afghanistan. Sie verweist aber auch auf die andere Seite dieser Gewalt - die Abschiebepolitik europäischer Regierungen in ein Land, dessen Zerstörung durch innere und äußere Interessen immer weiter voranschreitet. In dieser Situation setzt die deutsche Bundesregierung stur das Abkommen um, dass sie der afghanischen Regierung im vergangenen Oktober aufgezwungen hat - maßgeblich vorangetrieben von Innenminister Thomas de Maizière. Erklärtes Ziel dieser Vereinbarung ist es, ein Zeichen der Abschreckung zu setzen und die mehr als 120.000 Menschen afghanischer Herkunft ohne Bleiberecht in der Bundesrepublik unter Ausreisedruck zu setzen.

Mit vier Sammelabschiebungen sind seit Dezember 2016 bereits 106 Menschen abgeschoben worden. Die Bundesregierung beruft sich darauf, dass es sich dabei um »mindestens ein Drittel« Straftäter handele und um alleinstehende Männer. Die LINKEN-Politikerin Ulla Jelpke erklärt nach einer Anfrage, dass man ihr »nicht einmal Auskunft geben (konnte), ob es hier um aufenthaltsrechtliche Straftaten, Fahren ohne Fahrschein oder andere Delikte geht.« Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung fordert schon lange einen Abschiebestopp, auch für angebliche Straftäter und Gefährder. Pro Asyl kritisiert, bereits die Bezeichnungen erweckten den Eindruck, dass es sich um schwerwiegende Delikte handele. Die Kategorien haben außerdem den folgenschweren Nebeneffekt eines Generalverdachts in Afghanistan selbst. Egal, für was Menschen in Deutschland verurteilt werden, in Afghanistan sind sie damit als Kriminelle stigmatisiert. Viele der »freiwilligen Rückkehrer«, gab der Minister für Migration bereits im Zuge der Verhandlungen zum Rücknahmeabkommen zu Bedenken, fielen aus jeglichen Unterstützungsstrukturen heraus.

Am 2. Juni 2017 fordert die afghanische Regierung erneut von der Bundesregierung einen Stopp aller Abschiebungen von Afghan_innen. In einem Interview mit der Deutschen Welle sagte die stellvertretende Flüchtlingsministerin noch einmal klipp und klar, dass es in Afghanistan keine sicheren Regionen gibt: »Afghanistan befindet sich im Krieg mit 20 terroristischen Gruppierungen, und die Sicherheitslage hat sich sehr verschlechtert.« Die Warnung bleibt folgenlos - auch für die bundesdeutsche Asylpraxis. 42.000 Ablehnungen hat das Bundesamt für Migration (BAMF) in den ersten fünf Monaten dieses Jahres an afghanische Asylbewerber_innen verteilt. Die Menschen, so Pro Asyl, werden in mängelbehafteten Schnellverfahren durch die Anhörungen geschleust, die Gerichte haben 97.000 Klagen gegen das BAMF anhängig, die Betroffenen sind größter Unsicherheit ausgesetzt. Der Anfang Juni ausgerufene Abschiebestopp gilt bis Ende Juli. Was sich bis dahin ganz sicher nicht verändern wird, ist die Lage in Afghanistan. Solange es in der Abschiebepolitik der deutschen, aber auch der österreichischen oder der schwedischen Regierungen keinen Richtungswechsel gibt, sind tatkräftige Aktionen der Solidarität gefragt. Die verhinderte Abschiebung des Berufsschülers Asef in Nürnberg gibt dafür ein gutes Beispiel, ebenso die Kundgebungen, die in den vergangenen Monaten die Sammelabschiebungen von deutschen Flughäfen begleitet haben. Der Einsatz von Asefs Mitschüler_innen hat Anfang Juni den politischen Druck, die Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen, erhöht. Von Nürnberg lernen heißt Abschiebungen verhindern lernen.