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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 629 / 15.8.2017

Der rote Schatten

Geschichte 30 Jahre nach ihren Anschlägen auf den Adlerkonzern ist die Geschichte der Roten Zora in der Linken wenig bekannt

Von Katharina Karcher

Der Südwestrundfunk ist eine von vielen Institutionen in der deutschen Medienlandschaft, die in diesem Jahr ausführlich über die Ereignisse von 1977 berichten werden. Als Teil einer Serie von Rückblicken und Analysen zum Themenschwerpunkt »Deutscher Herbst« hat der SWR unter anderem eine betrifft-Sendung zum Thema »Die Opfer von Mogadischu«, ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar und einen Tatort mit dem originellen Titel »Der Rote Schatten« geplant. Bei letzterem soll es weder um die RAF noch um den Deutschen Herbst, sondern um feministische Protestaktionen gehen, die so sehr im »roten Schatten« der RAF stehen, dass sie fast in Vergessenheit geraten sind.

Anfang Februar 1977 wurde in Berlin-Charlottenburg die 26-jährige Susanne Schmidtke vergewaltigt und so schwer misshandelt, dass sie wenig später ihren Verletzungen erlag. Aktivistinnen der Frauenbewegung wollten nicht hinnehmen, dass der brutale Mord in den Medien als »mutmaßliches Sittlichkeitsverbrechen« abgehandelt wurde. Am 1. März 1977 versammelten sich mehr als 1.500 Frauen zu einer Gedenk- und Protestveranstaltung in Westberlin. In einer bewegenden Rede brachte damals die deutsch-britische Künstlerin und Aktivistin Sarah Haffner zum Ausdruck, was viele Frauen fühlten: »Eine Frau ist missbraucht und misshandelt worden, aber nicht sie hat es getroffen, sondern die Sittlichkeit. Ich weiß nicht, was Sittlichkeit ist. Ich kenne sie nicht. Vergewaltigung und Misshandlung richten sich nicht gegen die Sittlichkeit, was auch immer das sein mag, sondern gegen Frauen. Gegen uns alle. Vergewaltigung und Misshandlung sind politische Akte, durch die Macht demonstriert und Macht aufrechterhalten wird. Susanne ist das Opfer eines politischen Verbrechens.«

Haffner betonte, dass Frauen sich selbst und andere Frauen vor solchen Übergriffen schützen müssten. In die Polizei und den Staat setzte sie dabei keine Hoffnung. Stattdessen rief sie Frauen dazu auf, Gruppen zu bilden, um gemeinsam gegen Gewalt und für Freiheit und Selbstbestimmung zu kämpfen. Den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen führten Haffner und andere radikale Feministinnen damals nicht nur auf der Straße. Sie gründeten Frauenhäuser, begleiteten Frauen auf ihrem schweren Weg durch die Institutionen, richteten Telefondienste ein und organisierten Selbstverteidigungskurse für Mädchen und Frauen. (1)

Der Beginn der Walpurgisnachtdemos

Ein paar Tage nach der Kundgebung in Westberlin trafen Hunderte von Frauen in München beim »Nationalen Frauenkongress der autonomen Frauenbewegung« zusammen. Die Teilnehmerinnen beschlossen, in der Nacht auf den 1. Mai einen bundesweiten Protest gegen sexualisierte Gewalt zu organisieren. Ein paar Frauen riefen in diesem Kontext zu feministischer Gegengewalt auf (unter anderem gegen Sexshops), aber die meisten Teilnehmerinnen lehnten diesen Vorschlag ab. Der Ton der Flyer für die ersten Walpurgisnachtdemonstrationen war dennoch ausgesprochen kämpferisch. »Frauen erobern wir uns die Nacht zurück!« hieß es auf einem Westberliner Flugblatt. »51 Prozent der Bevölkerung haben abends Ausgehsperre. Frauen, hören wir auf, dies als selbstverständlich hinzunehmen: schreien wir zurück, schlagen wir zurück, wehren wir uns gemeinsam!« In Westberlin nahmen 3.000 bis 4.000 Frauen an der ersten Walpurgisnachtdemonstration teil, und auch in Frankfurt am Main, München und vielen anderen Städten zogen in der Nacht auf den 1. Mai 1977 Tausende von Frauen durch die Straßen.

Erfahrungsberichte und Artikel über diese und andere Walpurgisnachtdemonstrationen zeigen, wie bunt, vielfältig und militant feministische Protestaktionen in den späten 1970ern und frühen 1980ern waren. Teilnehmerinnen verkleideten sich als Hexen und waren mit Besen und anderen Haushaltsgegenständen bewaffnet, einige trugen Fackeln oder Musikinstrumente. Es gab Straßentheater und Polizeiautos wurden mit feministischen Slogans dekoriert. Angeblich flogen auch Mehlbeutel und Eier - ein gefundenes Fressen für die Bild und andere Revolverblätter. »Statt Männerhiebe Frauenliebe« titelte die Bild 1978 und behauptete, dass Hexen »Freudenhäuser« mit faulen Eiern und Mehltüten angegriffen, männliche Passanten in den Unterleib getreten und mit Besenstielen auf Polizisten eingeschlagen hätten. Tatsächlich kam es zu einigen Konfrontationen zwischen Demonstrantinnen, Polizisten und Passanten. Diese wurden aber keineswegs immer von Hexen initiiert - viele Frauen berichteten von Polizeigewalt und Angriffen von männlichen Passanten.

Der Anschlag auf die Bundesärztekammer in Köln

In Köln kam es bereits in der Nacht auf den 28. April 1977 zu einer Protestaktion, deren Militanz die der geplanten feministischen Aktivitäten für den 1. Mai deutlich überstieg. Eine radikale Frauengruppe, die sich »Rote Zora« nannte, legte eine Bombe in der Geschäftsstelle der Bundesärztekammer in Köln, die explodierte, als niemand im Gebäude war. In einem Bekennerschreiben präsentierte die Gruppe den Anschlag als ihren »Beitrag zur Walpurgisnacht«. Die Autorinnen erklärten: »Wir verstehen die Bundesärztekammer als Vertreter der Vergewaltiger in weißen Kitteln, die sich über unser Selbstbestimmungsrecht hinwegsetzen und mit unseren Körpern Profit machen wie die großen Chemiekonzerne«. In ihrem Schreiben bezogen sich die Zoras explizit auf zwei zentrale Themen der neuen Frauenbewegung: den Paragraph 218 (das Abtreibungsverbot) und Gewalt gegen Frauen. Der Titel des Flyers - »frauen erhebt euch und die welt erlebt euch!« - war nicht nur ein Querverweis auf ein Banner beim ersten Bundesfrauenkongress 1972, sondern auch auf einen Song der ersten deutschen Frauenrockband »Flying Lesbians«. Bereits in ihrer ersten Erklärung versuchte die Rote Zora zu zeigen, dass sie sich als militanter Teil der Frauenbewegung verstand.

Zwischen 1977 und 1995 bekannte sich die Rote Zora zu mehr als 40 Brandanschlägen, Bombenangriffen und anderen Anschlägen. Obwohl dabei im Unterschied zu den Anschlägen der RAF, der Bewegung 2. Juni und anderen bewaffneten linken Gruppen in der BRD nie Menschen verletzt oder getötet wurden, galt die Rote Zora als terroristische Vereinigung und wurde dementsprechend verfolgt. Das hat auch damit zu tun, dass die Rote Zora bis Mitte der 1980er als Teil des linksmilitanten Netzwerks »Revolutionäre Zellen« (RZ) operierte. Bereits in der ersten Ausgabe der RZ-Zeitung Revolutionärer Zorn 1975 erklärte die Revolutionäre Zelle (damals noch im Singular) »Aktionen, die den Kämpfen von Arbeitern, Jugendlichen, Frauen weiterhelfen sollen« zu einer ihrer Prioritäten. Als radikale Feministinnen forderten die Gründungsmitglieder der Roten Zora, patriarchale Strukturen auf jeder Ebene des bewaffneten Kampfes in Frage zu stellen. Da das manchen Genossen (und Genossinnen) in den RZ dann doch zu weit ging, entschieden sich die Zoras, sich als »unabhängige Frauenguerilla« zu organisieren. Ihre Hoffnung war dabei stets, dass andere Frauen ähnliche Gruppen bilden würden. In einem Interview in der Emma erklärten zwei Gruppenmitglieder 1984: »Unser Traum ist, daß es überall kleine Frauenbanden gibt - wenn in jeder Stadt ein Vergewaltiger, ein Frauenhändler, ein prügelnder Ehemann, ein frauenfeindlicher Zeitungsverleger, ein Pornohändler, ein schweinischer Frauenarzt damit rechnen und sich davor fürchten müßte, daß eine Bande Frauen ihn aufspürt, ihn angreift, ihn öffentlich bekannt und lächerlich macht«.

Obwohl dieser Traum nie in Erfüllung ging, stießen manche Aktionen der Roten Zora auch nach dem »Deutschen Herbst« in Teilen der Frauenbewegung auf Sympathie und Zustimmung. Ein Beispiel: Anfang 1978 verübte die Gruppe eine Serie von Anschlägen gegen Sexshops in Köln und Koblenz. In einem Bekennerschreiben erklärten die Zoras: »Diese Läden stinken uns schon lange, denn was dort als freie Liebe angeboten wird, heißt nichts anderes, als dass die Männer dort ihren gewalttätigen Phantasien freien Lauf lassen können.« In der März-Ausgabe der Emma erschien ein Auszug des Schreibens nebst einer kleinen Cartoonfigur im Suffragetten-Kleid, die »klammheimliche Freude« über die Anschlagsserie äußerte. Es gab jedoch auch kritischere Reaktionen, und einige Mitglieder der Roten Zora bekannten später, dass ihre Aktionen und Analysen in den 1970er Jahren Prostituierte und die in der Sexindustrie arbeitenden Frauen als wehrlose Opfer des Patriarchats betrachteten - anstatt mit ihnen gemeinsam zu kämpfen. Der Kommentar der Emma ist allerdings insofern interessant, als er zeigt, dass die Rote Zora nicht so isoliert war, wie manche Studien suggerieren.

Militante Solidarität mit koreanischen Arbeiterinnen

Die wohl bekannteste Anschlagsserie der Roten Zora ereignete sich vor exakt 30 Jahren. Im August 1987 versuchte die Rote Zora, mit einer Serie von Brandanschlägen gegen Filialen des deutschen Textilkonzerns Adler den Arbeitskampf von Frauen in der Fabrik Flair Fashion in der südkoreanischen Freihandelszone Iri zu unterstützen. Dort ließ Adler seit 1978 Kleider produzieren, die der Konzern dann in seinen europäischen Märkten verkaufte. 1986 waren 60 bis 80 Prozent der Adler-Textilien »made in Korea«. Der Anteil von Frauen in der südkoreanischen Textilindustrie war mit 70 Prozent ohnehin sehr hoch, bei Flair Fashion war er mit 85 Prozent noch höher. In einer internen Publikation behauptete ein Manager von Adler deshalb auch dreist: »Ohne die schwarzhaarigen, mandeläugigen Koreanerinnen wäre der steile Aufstieg des ADLER-Unternehmens nicht möglich gewesen«.

Während die Konzernleitung Flair Fashion als eine »Modellfabrik« pries, kritisierten Gewerkschaftsaktivist_innen die Arbeitsbedingungen dort als »unmenschlich«. Wie in anderen Fabriken verdienten Flair-Fashion-Arbeiterinnen 40 bis 50 Prozent weniger als Männer in den gleichen Positionen. Darüber hinaus sahen sie sich sexuellen Übergriffen, Disziplinierungsmaßnahmen und anderen Schikanen durch deutsche Aufseher ausgesetzt. Da Protest jeder Form von der Fabrikleitung unterbunden wurde, wandten sich einige Arbeiterinnen im Mai 1986 mit einer Bitte um »schwesterliche Hilfe« an die Koreanische Frauengruppe in der BRD. Eine der ersten deutschen Gruppen, die auf den Hilferuf reagierte, war die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, die eine zentrale Rolle in der bunten Solidaritätskampagne spielen sollte, die in den folgenden Monaten in Schwung kam. Neben Terre des Femmes beteiligten sich an dieser Kampagne Kirchenorganisationen in Südkorea und der BRD, radikale Gruppen aus dem linken und feministischen Spektrum, Dritte-Welt-Aktivist_innen, Gewerkschaften und viele weitere Akteure.

Nachdem Adler auf eine Welle von Briefen, kreativen Protestaktionen und kritischen Medienberichten mit tauben Ohren reagierte, legte die Rote Zora eine Bombe im Hauptsitz von Adler in Haibach, um »einen Teil ihres Verwaltungsapparates zu zerstören«. Aufgrund eines technischen Problems versagte der Zündmechanismus, und der Anschlag erhielt nur wenig Aufmerksamkeit. Im August 1987 legte die Gruppe dann nach: In der Nacht auf den 16. August wurden Brandanschläge auf Adler-Filialen in Hamburg, Bremen, Oldenburg, Isernhagen, Holzwickede, Kassel, Neuss, Aachen und Frankfurt am Main gemeldet. In acht von den neun Märkten richteten die Feuer und die durch die Brände aktivierten Sprinkleranlagen hohen Sachschaden an. Die Konzernführung bezifferte den Schaden auf 30 bis 35 Millionen DM. In einem Bekennerschreiben, das die tageszeitung (taz) wenige Tage später veröffentlichte, wiederholte die Rote Zora die Forderungen der Flair-Fashion-Arbeiterinnen: Wiederaufnahme der Tarifverhandlungen, Wiedereinstellung entlassener Gewerkschaftsaktivist_innen und Lohnerhöhungen.

Obwohl Terre des Femmes die Anschläge verurteilte, lehnte die Führung von Adler jede weitere Zusammenarbeit mit der Frauenrechtsorganisation ab, weil sie »den Boden fruchtbar ... für Gewaltakte« gemacht habe. Nachdem am 11. September die Berliner Frauengruppe Amazonen einen weiteren Brandschlag gegen eine Adler-Filiale verübt hatte, um die Forderungen der Arbeiterinnen bei Flair Fashion zu unterstützen, machte der Konzern eine überaschende Kehrtwende. Ein Sprecher des Unternehmens gab bekannt, dass Adler sich aus Angst vor weiteren Anschlägen entschieden habe, die Forderungen der Arbeiterinnen zu erfüllen. Ein Erfolg für die Rote Zora und andere militante Feministinnen? Darüber wurde in den Wochen nach der Entscheidung von Adler heftig diskutiert.

Die feministische Aktivistin und Soziologin Christa Wichterich kritisierte in der taz, dass die Anschläge »dem Versuch, in einer einzelnen Widerstandsaktion ein solidarisches Dreieck zwischen Arbeiterinnen in der Dritten Welt, Konsumentinnen hier und Arbeiterinnen hier aufzubauen, einen Bärendienst erwiesen« hätten. Tatsächlich verschob sich das Medieninteresse nach der Anschlagsserie eindeutig vom Arbeitskampf in Südkorea auf die feministischen Anschläge in der BRD. Andere Feministinnen gratulierten der Roten Zora zu ihrem Erfolg und kritisierten die Kritik von Wichterich, Terre des Femmes und anderen Aktivistinnen als naiv und spalterisch. Eine radikale Frauengruppe aus Reutlingen erklärte: »Es ist eure Sache, welche Widerstandsformen ihr als Gruppe wählt und wie ihr eure Vorstellungen von Veränderung dieser Gesellschaft umsetzen wollt«, aber es könne »nicht unwidersprochen bleiben, wenn ihr von euch aus eine Spaltungstaktik betreibt, die den Herrschenden zuarbeitet und wenn ihr (andere; Anm. K.K.) Widerstandsformen denunziert«.

Die Arbeiterinnen in Iri konnten sich an dieser Diskussion nicht beteiligen. Sie wurden von ihren Vorgesetzten über die Ereignisse in Deutschland informiert. Adler betrieb die Fabrik ein paar Jahre unter besseren Konditionen für die Arbeiterinnen weiter und verlegte die Produktion dann nach Sri Lanka und in andere billigere Produktionsländer. Trotz aller berechtigter Kritik hat die Rote Zora mit ihrer Anschlagsserie gegen Adler gezeigt, dass militante Aktionsformen als Teil von breit angelegten und dezentralisiert organisierten Solidaritätskampagnen zum Erfolg von feministischen Kämpfen beitragen können. In der Adler-Historie werden weder der Arbeitskampf der Arbeiterinnen in Iri noch die Brandanschläge erwähnt, aber es ist bemerkenswert, dass Adler 2010 als erste deutsche Textilhandelskette die Entscheidung traf, dauerhaft Kleidung mit dem Fairtrade-Siegel ins Sortiment aufzunehmen.

Katharina Karcher forscht und lehrt an der Universität Cambridge.

Anmerkung:

1) Zunächst richteten sich diese und andere Projekte in der Neuen Frauenbewegung fast ausschließlich an Frauen, denen bei Geburt das Geschlecht weiblich zugewiesen wurde und die sich als Frauen identifizierten (wenn auch häufig anders, als von ihnen erwartet wurde). Allerdings wurde auch bereits in den 1970er Jahren der normative Begriff Frau kritisch hinterfragt (zum Beispiel von lesbischen Aktivistinnen).