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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 629 / 15.8.2017

Aufgeblättert

Rotes Bauhaus

Ab 1926 arbeiteten deutsche Architekt_innen und Stadtplaner_innen in der Sowjetunion. Ihre Geschichte erzählt Ursula Muscheler in ihrem Buch über das rote Bauhaus. Dazu gehörten Exponenten des sozialen Wohnungsbaus der Weimarer Republik wie Bruno Taut (Berlin), Ernst May (Frankfurt/Main) oder Angehörige der »Bauhaus-Brigade Rotfront« unter der Leitung von Hannes Meyer, 1928 bis 1930 Direktor des Bauhauses in Dessau. Wurden Prominente zuerst mit Freude empfangen, wendete sich spätestens ab 1932 das Blatt. Die Expert_innen gerieten immer mehr in die Kampagnen gegen Ausländer_innen und bekamen andere Auswirkungen des Stalinismus zu spüren. Alle waren mit einer tristen und bürokratischen Realität konfrontiert, die sie so nicht erwartet hatten - und die so in den zeitgenössischen Medien der kommunistischen Weltbewegung auch nicht vorkam. Ernüchterung und Enttäuschung waren die Folge. Viele verließen die Sowjetunion schnell wieder und emigrierten in die Schweiz, nach Mexiko oder in die USA. Ab 1933 wollte und konnte niemand mehr zurück nach Deutschland. Die von Idealismus angetriebenen Protagonist_innen des »Neuen Bauens« waren letztlich »Romantiker der Revolution« (Joseph Roth). Mehrere starben in sowjetischen Lagern. Ursula Muscheler erzählt eindrücklich deren von Hoffnung, Engagement und Scheitern, Überleben, Exil und Tod geprägte Geschichte in den Jahren von 1926 bis 1955 und stellt auch ihre Bauten vor, sofern sie realisiert wurden.

Bernd Hüttner

Ursula Muscheler: Das rote Bauhaus. Eine Geschichte von Hoffnung und Scheitern. Berenberg Verlag, Berlin 2016. 168 Seiten, 22 EUR.

Emanzipationskämpfe

Die Autor_innen des Sammelbandes arbeiten die Geschichte (homo-)sexueller Emanzipationsbewegungen heraus und diskutieren diese kritisch. Sie thematisieren die Ansätze, mit welchen jene versuchten, sich zu organisieren, politische Wirkung zu entfalten und so die eigene Marginalisierung zu überwinden. Die Texte basieren teils auf historischen Quellen, teils auch auf persönlichen Erfahrungen. Sie zeichnen nach, inwiefern sich heterogene Homosexualitätstheorien ausbildeten und mit welchen sehr verschiedenen geschlechtlichen Selbstbildnissen, Beziehungsmodellen sowie Emanzipationszielen und -strategien die Akteure operierten. Kleinster gemeinsamer Nenner war oftmals der Kampf gegen den Paragrafen 175. Der Umgang mit der eigenen Differenz ging jedoch nicht nur in emanzipatorischen Forderungen auf, sondern zeigte sich mitunter auch anschlussfähig für antifeministische und antisemitische Argumentationsmuster. Neben dem historischen Erkenntnisgewinn in Form eines umfangreichen sowie fundierten Überblicks über die verschiedenen Aspekte und Transformationen der Emanzipationsbestrebungen ermöglicht der Band auch Rückschlüsse für die Gegenwart. Die aufgeworfenen Fragen bezüglich politischer Organisierung, aber auch hinsichtlich der kritisierten Verabschiedung von gesellschaftskritischen Positionen hin zu Standpunkten, die auf eine Integration in den »bürgerlich-patriarchalen Rahmen« abzielen, sind nach wie vor relevant.

Moritz Strickert

Andreas Pretzel, Volker Weiß (Hg.): Politiken in Bewegung: Die Emanzipation Homosexueller im 20. Jahrhundert. Männerschwarm Verlag, Hamburg 2017. 330 Seiten, 24 EUR.

Anarchismus

Die meisten Linken verbinden anarchistische Literatur wahrscheinlich mit ein paar Klassikern aus der Feder der grimmigen bärtigen Männer des 19. Jahrhunderts und der einen oder anderen Biografie. Das kommt wohl daher, dass man in den letzten Jahren den Eindruck gewinnen musste, dass die anarchistische Theorieproduktion selten über die Wiederholung und Adaptierung des ewig Gleichen hinausgegangen ist. Gabriel Kuhn stellt hier eine Ausnahme dar. Er bemüht sich, anarchistische Theorie auf Höhe der Zeit und in Auseinandersetzung mit anderen, beispielsweise poststrukturalistischen Ansätzen zu betreiben. Ein Teil seiner Gespräche und Aufsätze, die häufig nur online erschienen sind, kann nun in einem Sammelband nachgelesen werden. Das Buch gewährt einen Einblick in die »inner-anarchistischen« Auseinandersetzungen und Debatten, die vielen wahrscheinlich gänzlich unbekannt sind. Kuhns Aufsätze sind stets undogmatisch und mit teils beißender Kritik an individualanarchistischen Milieus versehen, insbesondere, wenn er betont, dass es auch für Anarchist_innen außer Streit steht, Organisationen aufzubauen, die in der Gesellschaft verankert sind. Damit formuliert er grundlegende Überlegungen zur politischen Praxis, die für die radikale Linke insgesamt von Bedeutung sind. Das einzige Manko ist, dass es - zwar nicht mehr grimmige und bärtige - aber doch ausschließlich Männer sind, die hier miteinander beziehungsweise über die Texte andere Männer reden.

Leo Kühberger

Gabriel Kuhn: Anarchismus und Revolution. Gespräche und Aufsätze. Unrast Verlag, Münster 2017. 200 Seiten, 14 EUR.

Antisemitismus

Der Titel des Buches »Verheerende Bilanz: der Antisemitismus der Linken« wird auf Seite 18 zurückgenommen - in einer Fußnote: »Es ist hinreichend bekannt, dass es die Linke nicht gibt ...« Es gibt sie nicht, aber antisemitisch ist sie schon, mal abgesehen von einer Minderheit, zu der auch die Herausgeber_innen gehören. Im Einleitungstext »Biografien als Seismografen« referieren Nina Röttgers und Johannes Spohr das bekannte Konstrukt des »strukturellen Antisemitismus«, ohne den Begriff zu verwenden. Zugleich legen sie nahe, dass Antizionismus letztlich nur eine Spielart von Antisemitismus sei. Es empfiehlt sich, diese knapp 20 Seiten zu überspringen und sich gleich dem lesenswerten Hauptteil zuzuwenden. Dort berichten zwei jüdische Linke, Klaus Rósza und Wolfgang Seibert, von ihren schmerzhaften Erfahrungen in der deutschen und der schweizerischen Linken. Wer die Blütejahre des »Antizionismus« und der schwärmerischen »Palästina-Solidarität« miterlebt hat, wird dort mit der eigenen kritikwürdigen Vergangenheit konfrontiert. Auch diese Berichte - Aufzeichnungen von einer Veranstaltungstour seit 2014 - sollten kritisch gelesen werden. So ist Klaus Rósza stolz darauf, am 1. Mai 2002 als Präsident des Zürcher Gewerkschaftsbundes einen Auftritt von Leila Khaled, der Ikone des palästinensischen Widerstands, verhindert zu haben: Sie sei »eine dieser Entebbe-Aktivsten« gewesen, »die also 1976 das Flugzeug entführt haben«. Reine Fantasie. Von den Entführer_innen überlebte niemand.

Jens Renner

Johannes Spohr: Verheerende Bilanz: der Antisemitismus der Linken. Klaus Rósza und Wolfgang Seibert zwischen Abkehr, kritischer Distanz und Aktivismus. Neofelis Verlag, Berlin 2017. 111 Seiten, 10 EUR.