Putting the Red back in Redneck
International Hillbillys und Rednecks gelten als rechte Hinterwäldler, doch in den USA organisieren sich immer mehr weiße Arbeiter_innen gegen Kapitalismus und Rassismus
Von Gabriel Kuhn
Zu Beginn der 1990er Jahre lebte ich in Phoenix, Arizona. Der Bundesstaat stand damals im Kreuzfeuer antirassistischer Kritik, weil Martin Luther King Day nicht als offizieller Feiertag galt. »Seeing people smile wild in the heat? (...) What's a smiling face when the whole state's racist?« (1) rappten Public Enemy in dem Song »By the time I get to Arizona«, dem Soundtrack meines Aufenthalts. Vor Ort passierte politisch wenig. Selbst eine vermeintlich progressive Bewegung wie Earth First! sprach sich gegen Einwanderung aus - schließlich galt es, die Wildnis zu verteidigen.
In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich in der Sonora-Wüste einiges getan. Der nicht enden wollende Zuzug in die Stadt mit 300 Sonnentagen im Jahr hat eine vielfältige Bevölkerung geschaffen. So wurde 2007 die Repeal Coalition gegründet, in der linke Aktivist_innen gemeinsam mit Betroffenen für die Aufenthalts- und Arbeitsrechte von Migrant_innen eintreten. Auch die Kaderorganisation Bring the Ruckus, die von 2002 bis 2012 existierte und den Kampf gegen White Supremacy als Schlüssel im Widerstand gegen den US-Kapitalismus betrachtete, hatte ihr Zentrum hier.
Dasselbe gilt für ein neues antikapitalistisches und antirassistisches Netzwerk, das zunehmend von sich reden macht. Redneck Revolt wurde im Sommer 2016 gegründet und beschreibt sich selbst als »antirassistische Organisation zur Befreiung der Arbeiterklasse«. Was als lokale Initiative mit einer Handvoll von Leuten begann, hat sich ein Jahr später zu einer landesweiten Organisation mit Ortsgruppen in 25 Bundesstaaten entwickelt.
Die Schwesterorganisation von Redneck Revolt ist der John Brown Gun Club, benannt nach dem weißen Anführer bewaffneter Aufstände gegen die Sklaverei, der 1859 hingerichtet wurde. Während sich Redneck Revolt politischer Öffentlichkeitsarbeit und Projekten wie Tafeln, Gemeinschaftsgärten und Polikliniken widmet, führt der John Brown Gun Club Waffentraining zur »kollektiven Selbstverteidigung« durch. In Bundesstaaten, in denen Waffen offen getragen werden dürfen, marschieren Mitglieder mit ihnen bei antirassistischen und antifaschistischen Demonstrationen.
Auf redneckrevolt.org wird die Absicht der Organisationen wie folgt zusammengefasst: »Wir wollen unter weißen Menschen eine Bewegung anstoßen, die für die Befreiung aller Arbeiter kämpft, ungeachtet ihrer Hautfarbe, Religion, sexuellen Orientierung, Nationalität, ihres Geschlechts oder jedweder anderen Kategorie, derer sich Bosse und Politiker bedienen, um Befreiungsbewegungen zu spalten.« Entscheidend sei, den Missmut von Mitgliedern der weißen Arbeiterklasse gegen den gemeinsamen Feind, die Reichen und Herrschenden, zu wenden, nicht gegen People of Color, Migrant_innen oder LGBTQ-Personen. (2)
Der heute negativ besetzte Begriff des redneck wird mit einem historischen Verweis auf die Schlacht am Blair Mountain im Jahre 1921 ins Positive gewendet: Die damals revoltierenden Bergarbeiter hätten rote Halstücher getragen, worin der wahre Ursprung des Begriffs liege, nicht in der negativen Verwendung des Begriffs durch »Liberale aus der städtischen Oberschicht«. »Für uns«, so ist auf redneckrevolt.org zu lesen, »symbolisiert der Begriff redneck den Stolz auf die Klasse und auf den Widerstand gegen Bosse, Politiker und alle Unterstützer von Herrschaft und Tyrannei.« Als Motto der Organisation dient das Wortspiel »Putting the red back in redneck«.
Waffenmessen, Rodeos und Autorennen
Vorläuferorganisationen von Redneck Revolt und dem John Brown Gun Club existierten unter gleichen Namen bereits Anfang der 2000er Jahre in Kansas. Sie wurden von Dave Strano gegründet, der auch in den Aufbau der landesweiten Organisation involviert ist. Um diese voranzutreiben, ist es ihm zufolge erforderlich, »dort auf die Menschen zuzugehen, wo sie sich befinden«. Sich von den »Demokraten der Mittel- und Oberschicht« zu distanzieren, hält Strano für wesentlich, sagte er in einem Interview. Es gelte, die Menschen und ihre Probleme ernst zu nehmen und auf akademische Belehrungen zu verzichten. »Es gibt Arbeiter, die Angst davor haben müssen, aus ihrem heruntergekommenen Trailer zu fliegen, weil sie die Miete nicht bezahlen können. Das Letzte, was sie brauchen, ist ein College-Kid, das ihnen erklärt, dass sie gerade ein anstößiges Wort gebraucht haben.«
Während sich Redneck Revolt und der John Brown Gun Club nicht als exklusiv weiße Organisationen begreifen, ist ihre Arbeit primär auf die weiße Arbeiterklasse ausgerichtet. Aus dieser rekrutiert sich auch der Großteil ihrer Mitglieder. Diese zeigen sich bei Christopher Street Days und betonen die Solidarität mit antirassistischen Bewegungen wie Black Lives Matter.
Ein besonders wichtiger Teil der politischen Arbeit ist das sogenannte counter-recruitment, der Versuch, weiße Arbeiter_innen aus den Fängen rechter Politik zu befreien und für antirassistische und antifaschistische Projekte zu gewinnen. Mitglieder von Redneck Revolt suchen gezielt Treffpunkte der weißen Arbeiterklasse auf, um über ihre Organisation zu informieren: Waffenmessen, Rodeos, Country-Musik-Festivals oder NASCAR-Rennen - Orte, die ihrer Ansicht nach von der Linken aufgegeben wurden.
Dementsprechend sind auch einige der bekanntesten Dokumente der Bewegung adressiert: 2009 verfasste Dave Strano einen offenen Brief an die Tea-Party-Bewegung; in dem Text »Perspective from a Veteran« appelliert ein ehemaliger Soldat an Angehörige der US-Streitkräfte, für eine gerechte Gesellschaft zu kämpfen, anstatt den Befehlen korrupter Politiker zu folgen; und in einer »Message to the Patriot Movement« schwört ein früheres Mitglied rechter Milizen diesen ab und ruft zur Unterstützung von Redneck Revolt auf.
Gegen weiße Macho-Kultur und linken Moralismus
Redneck Revolt ist der aufsehenerregendste, aber nicht der einzige Versuch, die weiße Arbeiterklasse aus antirassistischer und antifaschistischer Perspektive zu radikalisieren. In South Carolina stört der fotogene Bastards Motorcycle Club seit 2015 rechte Veranstaltungen und Demonstrationen. Auch die Young Patriots Organization hat sich wieder formiert; sie wurde ursprünglich in den 1960er Jahren von weißen Migrant_innen aus den Appalachen in Chicago gegründet und arbeitete eng mit den Black Panthers und den puertorikanischen Young Lords zusammen. (ak 618)
Es ist die breite Unterstützung Donald Trumps durch die weiße Arbeiterklasse, die Initiativen dieser Art eine neue Dringlichkeit verleiht. Dies spiegelt sich auch auf diskursiver Ebene wider. So wurde vor kurzem J. Sakais »Settlers: The Mythology of the White Proletariat« neu aufgelegt, und eine Neuausgabe von David Gilberts »Looking at the White Working Class Historically« ist in Vorbereitung. Gilbert, ein ehemaliges Mitglied des Weather Underground, verbüßt nach einer fehlgeschlagenen Aktion der Black Liberation Army, an der er sich 1981 beteiligte, eine lebenslange Haftstrafe im Bundesstaat New York.
Ebenfalls in Vorbereitung ist ein Sammelband mit dem Titel »Setting Sights: Histories and Reflections on Community Armed Self-Defense«. Dieser soll Texte von Redneck Revolt und verwandten Organisationen in einen historischen Zusammenhang stellen. Der Herausgeber scott crow meint gegenüber ak: »Redneck Revolt inspiriert viele von uns Weiße, die am Land oder in Arbeitervierteln aufgewachsen sind. Die Aktivisten der Großstädte ignorieren uns, und wenn sie das nicht tun, machen sie sich über uns lustig. Redneck Revolt wendet sich genauso gegen die weiße Macho-Kultur rechter Waffenenthusiasten wie gegen den Moralismus linker Pazifisten.«
Auch Hy Thurman, Mitglied der ursprünglichen Young Patriots Organization und am Neuaufbau der Organisation in Alabama beteiligt, betrachtet Redneck Revolt im ak-Gespräch als Inspiration: »Gerade im Süden der USA kann Redneck Revolt großen Einfluss nehmen. Waffen sind hier ein Teil des Alltags, viele von uns sind mit ihnen aufgewachsen. Redneck Revolt und die Young Patriots Organization haben eine Menge gemeinsam. Wir verstehen, dass die Herrschenden alle Bevölkerungsgruppen ausbeuten und dass wir uns nur gemeinsam befreien können.«
Die Omnipräsenz von Schusswaffen
Zweifelsohne sind es vor allem die Waffen, die Redneck Revolt auch in Mainstream-Medien Aufmerksamkeit bescheren. Im Guardian wurde die Organisation vor kurzem als »die bewaffnete Linke, die den Faschismus zerschlagen will« präsentiert. Viele - den Autor dieser Zeilen eingeschlossen - mag die Omnipräsenz von Schusswaffen in der öffentlichen Darstellung der Organisation irritieren. Dass dabei unterschiedliche kulturelle und gesellschaftliche Kontexte zu bedenken sind, ist richtig, hilft aber nicht viel.
Wenigstens bleibt der Waffenfetisch nicht unreflektiert. So wird im ersten Abschnitt des Redneck-Revolt-Podcasts die »Sensationalisierung« bewaffneter Demonstrationszüge seitens der Mainstream-Medien thematisiert, und Dave Strano gesteht zu, dass es sich um »schwierige Fragen« handelt. Aber: »Wenn Rednecks ihre Waffen auf Politiker und nicht auf Migranten richten, wenn Crips sie auf CEOs und nicht auf Bloods richten, und wenn arme Menschen sie auf den gemeinsamen Klassenfeind und nicht auf andere Arme richten, dann wird die kapitalistische Welt, die zu diesen Feindseligkeiten führt, vielleicht ein Ende nehmen.«
Die Zukunft wird mehrere Sachen weisen: Wird es gelingen, Redneck Revolt zu einer bleibenden und schlagkräftigen Organisation aufzubauen, oder handelt es sich um einen Hype, der bald verschwinden wird? Kann eine primär auf die weiße Arbeiterklasse ausgerichtete Organisation zu einer entscheidenden Kraft in einer breiten antirassistischen und antifaschistischen Bewegung werden? Wird sich die ideologische Vagheit der Organisation als Stärke oder als Schwäche erweisen? Dienen die Waffen der Einschüchterung des Gegners oder leisten sie aufgesetzter Militanz und entsprechenden Aktionsformen Vorschub? Was Redneck Revolt und verwandte Organisationen allemal belegen, ist die Notwendigkeit, auch die weiße Arbeiterklasse aus linker Perspektive zu mobilisieren - und die Bereitschaft vieler Menschen, dies zu tun.
Gabriel Kuhn berichtete über die Young Patriots Organization in der ak 618 und interviewte J. Sakai für die ak 624.
Anmerkungen:
1) Übersetzung: »Siehst du Menschen wie wild in der Hitze lächeln? (...) Aber was nützt dir ein Lächeln, wenn der ganze Staat rassistisch ist?«
2) LGBTQ steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender & Queer.