Luxus und Befreiung
Diskussion Um die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden, muss die Klimabewegung auch die imperiale Lebensweise angehen
Von Florian Beins und Nico Mischewski
Im Mai 2016 kamen 4.000 Menschen aus mehr als 20 Ländern in der Lausitz zusammen, um die Braunkohleinfrastruktur zu blockieren. (ak 615 und ak 616) Das Kraftwerk Schwarze Pumpe wurde über 48 Stunden auf 20 Prozent gedrosselt. Dieses Jahr besetzten bereits mehrere Hundert Menschen in weißen Overalls zeitgleich den Kohlehafen in Amsterdam und einen Braunkohletagebau in der Nähe von Most, Tschechien. Viele von ihnen taten so etwas zum ersten Mal. Und im Rheinländischen Braunkohlerevier plant das Bündnis Ende Gelände! dieses Jahr noch zwei weitere Massenaktionen zivilen Ungehorsams. Kurz: Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat richtig Schwung.
Ein wichtiger Grund dafür ist ihre Ausrichtung auf die kollektiv organisierte, direkte Blockade der Infrastruktur des fossilen Kapitalismus wie Braunkohletagebau und -kraftwerke. Sie zielt damit direkt auf das Profitinteresse und den Wachstumszwang der kapitalistischen Produktionsweise. Anders als die oft mit ökologischen Themen verbundenen individuellen und appellativen Ansätze wie Fleischverzicht oder Unterschriftensammlungen schafft sie Momente, die wirksam in den öffentlichen Diskurs eingreifen, in denen Menschen ermächtigt werden und wo konkret Umweltzerstörung und Profitstreben blockiert werden. Diese Konzentration auf die kapitalistische Produktionsweise als Ursache von globaler Ungerechtigkeit zeichnet den Erfolg der Klimagerechtigkeitsbewegung aus. Und dennoch: Auch wenn die kapitalistische Produktionsweise der Hauptfeind eines klimagerechten guten Lebens für alle ist, muss unsere Verstricktheit mit ihr im alltäglichen Leben mit einbezogen werden. Eine Kritik an der herrschaftlichen Konsum- und Lebensweise muss Teil des Kampfes um Klimagerechtigkeit sein. Wer an einem Tag im weißen Overall auf dem Bagger tanzt, um am nächsten Tag im Badedress nach Teneriffa zu fliegen, reproduziert die Welt, gegen die er/sie kämpft. Das wollen wir mit sechs Thesen begründen:
1. Die imperiale Lebensweise ist Teil der kapitalistischen Produktionsweise
Der Kapitalismus in seiner aktuellen Ausformung stützt sich auf eine imperiale Lebensweise. Diese wird mit großer Mehrheit im globalen Norden praktiziert - und zunehmend von den Mittel- und Oberschichten im globalen Süden - und basiert darauf, die ökologischen und sozialen Kosten zulasten der Natur, der globalen Peripherie und teilweise der Zukunft auszulagern. Sie besteht dabei nicht nur aus dem konkreten materiellen Konsumakt, sondern auch aus Normen, Werten und Identitäten. Sie ist tief in die Alltagspraxis der Menschen im globalen Norden eingeschrieben.
Dabei werden viele Bedürfnisse erst durch die imperiale Lebensweise hervorgebracht, die wiederum weltweit in Form des westlich-nordamerikanischen Lebensstils (bei verschiedensten Abwandlungen) als anzustrebende Norm für ein gutes Leben gilt. Sie ist damit in sich widersprüchlich: Einerseits hat sie als global geltende Norm und Versprechung eines marktförmigen guten Lebens den Anspruch, sich auf alle Menschen und ihre Lebensweisen zu übertragen. Andererseits ist diese globale Verallgemeinerung unmöglich, da sie immer ein Außen billiger Arbeitskräfte und Naturressourcen benötigt, um für einige Wenige Realität zu sein. In ihrer Umsetzung und Verwaltung dieses Außen ist die imperiale Lebensweise auf Herrschaft, Ungleichheit und Gewalt angewiesen, auch wenn diese nicht im Konsumakt selber ersichtlich werden. Konsumkritik bzw. Kritik an der dominanten Lebensweise ist daher keine verkürzte Kritik, sondern notwendiger Teilaspekt einer umfassenden Kapitalismuskritik.
2. Die imperiale Lebensweise reproduziert globale Ungleichheiten auch jenseits von Klassen
Der individuelle ökologische Fußabdruck ist stark an das Einkommen und wenig an das ökologische Bewusstsein gekoppelt. Das Hauptproblem sind, trotz anderslautender Mythen von ungebildeten und ökologisch unverantwortlichen Unterschichten, die Reichen, da diese am meisten konsumieren. Trotzdem leben auch die allermeisten Lohnabhängigen in den Metropolen mit ihrem Ressourcenverbrauch über dem ökologisch Möglichen, wobei sie im Gegensatz zu den Reichen auch schlechtere Voraussetzungen für einen ökologischeren Lebensstil haben. In diesem Punkt ist die Ungleichverteilung zwischen Metropole und Peripherie stärker als die zwischen den Klassen innerhalb der Metropolen. Dies bedeutet, dass das Metropolenproletariat (auch) verzichten muss. Es hat mehr zu verlieren als seine Ketten. Eine Kernfrage für die Klimagerechtigkeitsbewegung innerhalb der Metropolen ist daher, wie wir die Lohnabhängigen hier davon überzeugen können, zu verzichten und gleichzeitig bei einem globalen Projekt der Klimagerechtigkeit mitzumachen. Denn ohne das Metropolenproletariat wird die Weltrevolution schwierig.
3. Verzicht statt Technikgläubigkeit
Technischer Fortschritt alleine wird die ökologischen Probleme nicht lösen. Die Hoffnung auf technische Innovationen, die eine naturkompatible Verallgemeinerung der imperialen Lebensweise ermöglichen sollen, ist illusionär, da immer ein neues Außen produziert werden muss. Individuelle Elektromobilität wird beim Bau der zahlreich notwendigen neuen Fahrzeuge mehr Ressourcen verbrauchen, als für ein gutes Leben für alle tragbar ist. Dementsprechend wird eine befreite Gesellschaft bei bestimmten Formen des Konsums - wie Fernreisen, Ernährung oder motorisiertem Individualverkehr - Verzicht benötigen. Dies schließt einen gleichzeitigen Gewinn an Lebensqualität zum Beispiel durch mehr Freizeit oder eine bedürfnisorientierte Wohnraumversorgung natürlich nicht aus.
4. Wer Auto fährt, blockiert keine Autobahnen
Die imperiale Lebensweise ist in unsere Alltagspraxen, in unsere Bedürfnisse und Identitäten eingeschrieben. Diese Verankerung in unserem Alltag ist eine zentrale Stütze für die Herrschaft des Kapitals. Denn wir sind gehemmt, die Verhältnisse radikal anzugreifen, solange wir unseren Alltag nach ihnen leben und von ihnen profitieren. Wenn wir die herrschenden Verhältnisse angreifen wollen, müssen wir diese Stütze ins Wanken bringen. Eine praktische Infragestellung der imperialen Lebensweise in unserer Alltagspraxis ist also ein strategischer Hebel, um die Verhältnisse angreifbarer zu machen. Konkret heißt das: Massenbewegungen gegen Flughäfen sind tendenziell erst dann möglich, wenn Flugreisen keine Massenpraxis mehr sind.
5. Heute den Hunger im befreiten Morgen verhindern
Ökologische Zerstörung ruft nicht nur konkretes Leid im Hier (bzw. in der Peripherie) und Jetzt hervor, sondern beeinflusst auch die Möglichkeit und Ausgestaltung einer befreiten Gesellschaft in der Zukunft. Es braucht ein Mindestmaß an intakter Natur, um zu verhindern, dass die kommende Welt lediglich eine Form egalitärer Desasterverwaltung wird. Diese Verteidigung der ökologischen Grundlagen des guten Lebens für alle muss aber schon heute geschehen, später ist es zu spät. Sonst wird selbst das »Alles« von der Forderung »Alles für alle!« nicht mehr genug für alle sein.
6. Eine solidarische Lebensweise gemeinsam entwickeln und leben
Es gilt, im Hier und Jetzt Formen einer solidarischen Lebensweise zu entwickeln und möglichst massenhaft zu leben - eine Lebensweise, die möglichst wenig zulasten von globalem Süden und Natur geht, global verallgemeinerbar ist und trotzdem ein gutes Leben darstellt und nicht subkulturell-abgrenzend, sondern attraktiv-anschlussfähig wirkt. Dies muss auch und gerade auf individueller Ebene umgesetzt werden bzw. in die Alltagspraxis einfließen, auch wenn eine solidarische Lebensweise innerhalb des Kapitalismus immer nur begrenzt möglich ist. Ziel dieser solidarischen Lebensweise ist dabei, erstens die ökosoziale Zerstörung abzuschwächen, zweitens die Alltagsstützen des Kapitalismus zu destabilisieren und drittens das gute Leben zu üben und die Welt, die es zu gewinnen gilt, zu entwickeln.
Doch auch wenn diese Lebensweise individuell umgesetzt werden muss - genauso wie wir uns letztendlich individuell dafür entscheiden müssen, uns auf die Schienen zu setzen - muss sie kollektiv entwickelt werden, da eben nicht nur die Entscheidung vor dem Supermarktregal zählt, sondern umkämpfte Normen, Identitäten und Werte. Die Frage ist, wie wir gemeinsam alternative und vor allem breit anschlussfähige Lebensweisen schaffen. Es geht nicht so sehr darum, nicht zu fliegen, sondern gemeinsam eine Lebensweise zu entwickeln, in der Fliegen nicht mehr normal und schon gar nicht notwendig ist.
Wenn im August im Rheinland wieder Tausende den Ablauf der kapitalistischen Produktionsweise stören werden, werden sie in den verschiedenen Camps auch an einer anderen Lebensweise basteln. Auch das ist Klimagerechtigkeit. Und das sollten wir nicht nur einmal im Jahr im Sommer tun.
Florian Beins und Nico Mischewski sind aktiv bei Ende Gelände! und der Interventionistischen Linken.
Ende Gelände
kehrt 2017 ins Rheinland zurück. Im August und November sollen durch Aktionen des massenhaften zivilen Ungehorsams die Braunkohletagebaue im rheinischen Kohlerevier blockiert werden: vom 24. bis zum 29. August im Rahmen der Aktionstage im Rheinland und vom 3. bis zum 5. November während der UN-Klimaverhandlungen in Bonn.
-> ende-gelaende.org