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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 629 / 15.8.2017

Suggestiv, dramatisierend, einseitig

Aktion Wie das ZDF im Kampf gegen links auf journalistische Standards verzichtet

Von Kim Wilken

Wer oder was ist der schwarze Block, und wie genau zogen die »Extremisten« eigentlich durch Altona? Das fragte sich die ebenso besorgte wie voyeuristische Presse nach dem G20-Gipfel. Das bekannte aus einem Bus aufgenommene Video, das eine Gruppe schwarz vermummter Menschen zeigt, die durch Altona ziehen, fehlte auf keiner News-Webseite, in keinem Fernsehbeitrag. Denn: Brennende Autos klicken, lodernde Barrikaden und vermeintliche Molotow-Cocktails machen Quote. Die damit einhergehende mediale Schelte gegen Linke klang aber nach nur wenigen Tagen wieder ab. Stattdessen richtete sich der Fokus der Presse wieder auf die Polizeigewalt sowie die Kritik an der Taktik der Polizei.

Das ZDF war also ein bisschen spät dran, als es am 19. Juli seine Dokumentation »autonom, radikal, militant?« ausstrahlte. Die Doku von Rainer Fromm, der sich bisher in vielen seiner Beiträge mit der extremen Rechten beschäftigt hat, erschien im Format ZDFzoom, das sich selbst als »investigativ« beschreibt. Beim Thema »Linksextremismus« hat Autor Fromm aber einfach mal alle journalistischen Standards, auf die sich die bürgerliche Presse geeinigt hat, über Bord geworfen.

Der Gipfel der Suggestion

Dramatisch kommt bereits der Titel der Dokumentation daher: »autonom, radikal, militant? Inside linke Szene«. Ob die Assoziation mit der Dokumentation »Inside IS« wohl beabsichtig ist? Der Autor scheint jedenfalls ganz tief in die »linke Szene« vorgedrungen zu sein, er war offenbar »inside«. Doch im Laufe des Films wird klar: Fromm hat lediglich an öffentlichen Demonstrationen und einem öffentlichen Blockadetraining teilgenommen. In Kiel hat er einen für alle zugänglichen linken Laden besucht, gesprochen hat er mit Pressesprecher_innen der Interventionistischen Linken, dem bekannten Antifa-Buchautor Bernd Langer und mit Musikern der Punkband Slime. Dabei fand er heraus, was sowieso schon alle wissen: Linke sind links und sagen linke Sachen. Überhaupt steht die Antwort auf die im Titel gestellte Frage bereits zu Beginn des Beitrags fest: Dass das Fragezeichen in »autonom, radikal, militant?« eigentlich ein Ausrufezeichen ist, erzählt der Autor seinem Publikum bereits in der zweiten Minute der Dokumentation, wenn er das eigentliche Thema des Films vorstellt: »ZDFzoom fragt, woher kommt die linke Gewalt«. Was linke Gewalt ist, steht nicht mehr zur Debatte, jetzt geht es bereits um die Ursachen.

Also hinein in die investigative Recherche. Die allgegenwärtige Gefahr hat der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer schon vorher im O-Ton beschworen: »Es geht jetzt um Leben und Tod«. Diese Gefahr ist unterschwellig immer mit dabei - und um die unspektakuläre Recherche wenigstens etwas spektakulärer erscheinen zu lassen, wird ab jetzt mit düsterer Musik gearbeitet. Die etwa 50 bis 100 Teilnehmer_innen des von Fromm besuchten Blockadetrainings kommen nicht gefährlich genug rüber? Kein Problem, die Thriller-Musik wird es richten. Die den Bildern der Welcome-to-Hell-Demo unterlegte Musik wird aufmerksame Zuschauer_innen an den Film »Terminator« erinnern. Der Hamburger Fischmarkt als Postapokalypse im Hier und Jetzt. Aber Fromm reicht der stimmungsvolle Musikteppich nicht.

Um eine allgemeine Gewaltbereitschaft zu belegen, bedient er sich durchgehend der Suggestion. Bei ihm wird das Uneindeutige zum Eindeutigen. Die Bilder zeigen die sich formierende Welcome-to-Hell-Demo, der Sprecher kommentiert: »Die Stimmung ist aggressiv, Polizisten werden beleidigt.« Zu sehen ist dabei ein Schild mit der Parole »Polizei weder Freund noch Helfer«. Fromm findet das offenbar aufwieglerisch: »Die Eskalation der Gipfelproteste geht in die erste Runde«, schallt es drohend aus dem Off. Dass die erste Runde der Eskalation längst gelaufen ist, ignoriert Fromm: Kein Wort verliert er zu den Campverboten im Vorfeld der Gipfeltage, keines zur massiven Gewaltausübung der Polizei während der Demonstration. Alles was in den Tagen der Demonstrationen eigentlich alle großen Medien thematisiert haben, fällt hier unter den Tisch. Stattdessen übernimmt die Doku durchgehend die Perspektive der Polizei.

Das Gruselkabinett aus der Expertenkiste

Linke sind also böse, das hat das Publikum bis hierhin verinnerlicht. Diese Einseitigkeit schlägt sich auch bei der Wahl der Interviewpartner_innen nieder. Linke werden lediglich zur Veranschaulichung interviewt. Die Auswahl der vermeintlich unabhängigen Experten wirkt merkwürdig. So wird zum Beispiel ein Anwohner als Experte für Protestkultur eingespannt, weil er zufällig gefilmt hat, wie Schwarzgekleidete Autos anzündeten. Die Frage, die Fromm dem jungen Mann stellt, könnte in jedem Interviewseminar als Paradebeispiel für Suggestivfragen fungieren: »Hat das für Sie was mit politischem Widerstand zu tun gegen einen Gipfel, gegen den man ja was haben kann?« Der Zeuge antwortet wunschgemäß: »Für mich sind das Leute, die nur randalieren wollen. Kann ich mir nicht vorstellen, was hat das für 'ne politische Aussage, wenn man Privatpersonen denen das Auto ausbrennen lässt?« Was man sich allerdings sehr gut vorstellen kann: wie Fromm hinter der Kamera zufrieden über diesen perfekten O-Ton lächelt.

Die Beweiskette läuft gerade so gut, also schnell den nächsten Experten nachschieben. Der findet: »Hier geht es einfach darum, Schaden zu produzieren, Gegenstände wirklich zu vernichten. Und hat mit zivilem Protest, mit bürgerlichem Protest rein gar nichts zu tun.« Wer mag das gesagt haben? Ein Bewegungsforscher vielleicht? Falsch: Hier wird ein beliebiger Feuerwehrsprecher zum Experten gemacht. Bewegungsforscher_innen kommen an keiner Stelle zu Wort. Dafür trifft sich Fromm mit drei ehemaligen und aktuellen Vertretern des Verfassungsschutzes (VS), die sich ausführlich äußern dürfen. Einer von ihnen ist der langjährige VS-Mitarbeiter und Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber. Fromm stellt ihn als Extremismusexperten vor, der 2014 ein Buch zum Linksextremismus vorgelegt habe. Im O-Ton fordert dieser dann, dass der Staat doch bitte mehr Geld in die Hand nehmen solle, um Studien zum Thema linke Szene in Auftrag zu geben. Das ist ungefähr so, als würde der Audi-Chef in einer Dokumentation fordern dürfen, der Staat müsse den Bau von Autos subventionieren. Fordern kann er das, aber senden sollte das ein Investigativjournalist besser nicht.

Die Polizei hat immer recht

Auf seinem Feldzug gegen links nimmt es Fromm auch mit den Fakten nicht so genau. Am Freitagabend in der Schanze hätte es »Brandfallen für die Polizei« gegeben, behauptet er. Mit dieser Legende arbeitete die Polizei in den Tagen danach, um den Einsatz ihres schwer bewaffneten SEK zu legitimieren. Doch nur wenig später erhärteten sich die Zweifel an den Aussagen der Polizei. Dennoch übernimmt Fromm diese Erzählung, ohne an ihrer Richtigkeit zu zweifeln - ganz anders als seine Kolleg_innen von NDR, Süddeutscher Zeitung und WDR: Diese veröffentlichten am Tag der Ausstrahlung der ZDF-Doku einen Beitrag, in dem sie die Theorie eines Hinterhalts entschieden anzweifeln. Sogar die Hamburger Morgenpost, die nicht gerade im Verdacht steht, Linksextremismus gut zu heißen, veröffentlichte bereits am 13. Juli - also sechs Tage vor dem Sendedatum von Fromms Dokumentation - einen Artikel mit Zweifeln: »Dann wird laut Polizei-Analyse sogar ein Molotow-Cocktail auf einen Wasserwerfer geschmissen. Zwei Experten sagen jetzt: Das war wohl eher ein Böller.«

Am Ende seiner Doku zieht Fromm ein Fazit für alle, die es trotz unzähliger Suggestionen noch nicht kapiert haben. Der Autor, der sich bis ak-Redaktionsschluss auf Anfrage leider nicht zu Fragen bezüglich seiner Dokumentation geäußert hat, appelliert eindringlich an Polizei und Behörden, ein stärkeres Augenmerk auf linke Gewalt zu legen. Schließlich habe es Anzeichen gegeben, die man eigentlich nicht übersehen konnte. Das Banale wird zur Sensation. Dass sich die Sicherheitsbehörden im Vorfeld des Gipfels auf eben diese »Anzeichen« berufen haben und damit ihre unzähligen Rechtsbrüche zu legitimieren versuchten, wird verschwiegen.

Wer es geschafft hat, diese mehr als fragwürdige »Dokumentation« bis zum Ende anzusehen, behält einen faden Nachgeschmack zurück: Die ZDF-Doku ist ein Musterexemplar für antilinke Propaganda - zusammengestellt von einem Autor, der jahrelang als Kenner der rechten Szene auftrat. Wie schnell man doch zum wutschnaubenden Vorkämpfer gegen links werden kann, wenn man davon ausgeht, der Wind könnte sich gedreht haben.

Kim Wilken ist Journalistin, sie lebt in Hamburg und war ganz investigativ während des G20-Treffens auf der Straße, um von den Protesten gegen den Gipfel zu berichten.