Hetze gegen Seenotrettung
International Über die Schließung der Fluchtrouten im zentralen Mittelmeer und den Ausbau der »Festung Europa« in Afrika
Von Britta Rabe
Die Zahl der Geflüchteten, die von Libyen aus den Weg über das Mittelmeer nach Italien nehmen, ist seit August 2016 innerhalb eines Jahres um mehr als die Hälfte gesunken. Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich: Der wichtigste Startpunkt der Route, die libysche Hafenstadt Sabrata, wird derzeit von bewaffneten Einheiten kontrolliert, die die Menschen von ihrer Flucht abhalten und sie in Auffanglager bringen. Italien zahlte fünf Millionen Dollar an lokale Milizen, um die Abfahrten vom Küstenstreifen rund um die Stadt az-Zawiya im Nordwesten Libyens für einen einzigen Monat zu verhindern. Die Regierung in Rom streitet dies jedoch ab - offiziell unterstützt Italien libysche Kommunen lediglich beim wirtschaftlichen Aufbau. Eine eigenmächtige »libysche Küstenwache«, die selbst im Schleppergeschäft aktiv ist und von der EU ausgebildet wurde, zeigt vor der Küste verstärkte Präsenz. Libyen wird inzwischen von zwei italienischen Schiffen unterstützt, die bis in nationale Gewässer hinein agieren. Da Italien rechtlich dazu verpflichtet ist, Gerettete nicht an Staaten auszuliefern, wo schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden, lässt es dies nun einfach durch Libyen selbst erledigen.
Solange das - fragile - politische Netzwerk in Libyen kontinuierlich finanzielle und logistische Unterstützung von der EU erhält, wird es weiter in deren Interesse handeln. Dazu gehört auch, die EU-Außengrenzen nach Afrika zu verlegen. Bei der Migrationskonferenz in Paris Ende August verabredete die EU mit den Machthabern von Niger und dem Tschad sowie mit libyschen Vertretern den verstärkten Schutz der Südgrenzen der betreffenden Länder durch den Ausbau der Grenzkontrollen sowie die Aufrüstung der Militär- und Polizeikräfte. Über Asylanträge soll unter Beihilfe des UNHCR künftig schon in Afrika entschieden werden. Schon längst ist unter Führung der deutschen Bundesregierung im Rahmen des Khartum-Prozesses der Erhalt von Entwicklungsgeldern für Länder wie Eritrea und Sudan an den Stopp von Fluchtbewegungen gekoppelt.
Die geringeren Ankunftszahlen in Italien und die damit verbundene sinkende Zahl an Ertrunkenen werden als humanitärer Erfolg bezeichnet. Doch in den libyschen Lagern setzen sich das Sterben und das Leid unvermindert fort. Wie viele Menschen bereits auf dem Weg durch die Sahara verdursten, ist unbekannt - es dürften aber mindestens doppelt so viele sein wie jene, die im Zentralen Mittelmeer ums Leben kommen. Doch anders als das Sterben auf See geschieht all dies abseits der Medienöffentlichkeit.
Angriffe gegen NGOs
Das politische Ziel lautet: die Kriminalisierung der zivilen Rettungsflotte als »Schlepper« und die möglichst vollständige Entsolidarisierung der Öffentlichkeit von der Seenotrettung Geflüchteter. Ende Juli verlangte Italien die Unterzeichnung eines Verhaltenskodex (Code of Conduct): Der Vorstoß kam inmitten erneuter Anschuldigungen, die NGOs im Mittelmeer würden mit Schleppern zusammenarbeiten - ein Vorwurf, den zuletzt auch der deutsche Innenminister de Maizière wiederholte. Von den NGO-Rettungsschiffen fordert Italien nun, bewaffnete Polizei an Bord mitzuführen und die Geretteten selbst nach Italien zu bringen, sodass weniger Schiffe in der Rettungszone präsent sind. Einige beugten sich dem Druck, andere Schiffe wie die »Sea-Watch« oder die »Iuventa« weigern sich jedoch.
Nur wenige Tage später wurden dann mehrere Schiffe in ihren Missionen behindert. Die »Iuventa«, die für die Berliner NGO Jugend Rettet auf See ist, war am 2. August für einen Rettungseinsatz zwischen Sfax und Lampedusa unterwegs, als von der Leitstelle der italienischen Küstenwache der Befehl kam, unverzüglich den Hafen von Lampedusa anzusteuern. Das Schiff wurde konfisziert und durchsucht, gegen Mitglieder der Crew wird derzeit wegen der Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt. Ermittlungen laufen auch gegen Ärzte ohne Grenzen sowie gegen den in der Schweiz lebenden Priester Mussie Zerai, der Hilferufe von eritreischen Geflüchteten in Seenot an die Küstenwache in Rom weiterleitet.
Die Vorwürfe beruhen auf Angaben von Mitarbeitern der Firma IMI Security Service, die einige Zeit auf dem Schiff »Vos Hestia« der NGO Save the Children arbeiteten. Die Männer sollen ehemalige Polizeibeamte sein, das Unternehmen - von einem früheren Offizier der italienischen Küstenwache gegründet - pflegt direkte Kontakte zu Mitgliedern und Sympathisanten der neuen Rechten. Mit »Beweisen« für die angebliche Zusammenarbeit mit Schleppern nahmen die IMI-Mitarbeiter Kontakt zur Lega Nord sowie der rassistischen 5-Sterne-Bewegung auf und gaben Foto- und Tonaufnahmen an den italienischen Auslandsgeheimdienst AISE weiter. Die Informationen erreichten die Ermittlungsbehörden bereits im Oktober 2016, aber noch im April ergab eine Untersuchung des italienischen Senats, dass keine belastbaren Hinweise für Aktivitäten zwischen NGOs und Schleppern existieren.
Rechte »Retter« stoppen
Ebenfalls aus dem Umfeld der Sicherheitsfirma IMI stammt Gian Marco Concas, Sprecher des italienischen Ablegers der Identitären Bewegung (IB) - er war im Zuge der Aktion »Defend Europe« als Techniker auf der »C-Star« tätig. Wäre das Identitärenschiff nicht mehrfach erfolgreich durch die Intervention von antirassistischen und antifaschistischen Netzwerken aufgehalten worden, wäre die »C-Star« bereits im Zentralen Mittelmeer unterwegs gewesen und hätte die Festsetzung der »Iuventa« propagandawirksam für sich nutzen können.
Am 15. August wurde das Schiff »Golfo Azzuro« der spanischen NGO Proactiva Open Arms von der libyschen Küstenwache in internationalen Gewässern beschossen, nachdem sie dem Befehl, dieser nach Tripolis zu folgen, nicht nachgekommen war. Erst nach einigen Stunden gelang es der »Golfo Azzuro«, nach Malta zu entkommen. Die Schüsse fielen von einem Schiff, das Italien zuvor der libyschen Regierung übergeben hatte und deren Besatzung in Italien trainiert worden war. Kurz darauf erklärte Tripolis, die libysche Rettungszone auf 75 Seemeilen zu erweitern und darin keine Schiffe unter fremder Flagge zu dulden. Diese Erweiterung stellt einen Bruch des Völkerrechts dar, wird aber von der EU akzeptiert.
Für sichere Fluchtwege
Die neue Situation, in der das Recht auf Aufnahme Geretteter in sichere Häfen ausgehebelt wird, veranlassten die »Sea-Eye« und zuletzt die »MOAS« (Migrant Offshore Aid Station), ihre Missionen einzustellen. Andere zivile Rettungsschiffe sind weiterhin vor Libyen aktiv, halten sich jedoch aus Sicherheitsgründen außerhalb der libyschen Rettungszone auf - und weit entfernt von den seeuntüchtigen Booten. Trotzdem stechen demnächst zwei neue Schiffe in See: die größere »Sea-Watch 3« und die Dresdener »Lifeline«. Mittlerweile stellte sich der römische Verhaltenskodex auf EU-Ebene als nicht rechtsbindend heraus, sodass seine zukünftige Bedeutung abzuwarten bleibt.
Während die Überfahrten aus Libyen gegenwärtig zurückgehen, haben jene von Marokko nach Spanien sowie von der Türkei nach Griechenland wieder zugenommen. Flucht und Migration lassen sich nicht aufhalten, sie finden nur neue Wege und der Preis dafür steigt. Es kostet mehr Geld und immer öfter das eigene Leben.
De Mazière ließ jüngst verlauten, dass allen per Schlepper eingereisten Flüchtlingen der EU-Aufenthalt verweigert werden solle. Die Identitären-»Mission« der »C-Star« bewegte sich also ganz im Fahrwasser der aktuellen Debatte, die sich längst von rechts in den Mainstream verschoben hat. Politiker_innen aller Couleur bedienen Forderungen aus dem rechten Lager, nicht nur im Wahlkampf. Die Identitären verkaufen ihren Trip als Erfolg, dabei ist ihnen die aktuelle Politik stets um einen Schritt voraus. Dennoch: Die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Interventionen, die gegen die Einfahrt der »C-Star« in die Häfen von Catania, Suez, Zypern, Kreta, Tunesien oder Malta protestierten oder sie gar verhinderten - und sich damit gegen die Idee einer »Festung Europa« richten -, machen denjenigen Mut, deren Ziel es weiterhin bleibt, für sichere Fluchtwege zu kämpfen.
Britta Rabe führte das Interview »Der tödliche Graben um die Festung Europa« aus ak 627.