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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 630 / 19.9.2017

Antifa? Wir waren auch noch vieles anderes

Diskussion Ein Gespräch in Rostock über Subkultur, Theorieferne und Zivilgesellschaft

Interview: Claudia Krieg

Rostock, August 2017. 25 Jahre nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen gegen Roma und ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter_innen hat die Erinnerung daran in der Hansestadt einen festen Platz. Anlässlich der Erinnerung an die Gewalt in Rostock treffen wir uns mit Aktivist_innen, um darüber zu sprechen, wie sich 1992 und die darauf folgenden Jahre in ihre Biografien eingeschrieben haben. Lars, geboren Mitte der 1970er Jahre, kommt aus einer kleineren Stadt in Mecklenburg-Vorpommern (M-V). Stefan und Chris, aufgewachsen in M-V, sind beide Ende 20 und leben seit etwa zehn Jahren in Rostock. Corinna ist Mitte 30, in Westdeutschland aufgewachsen und lebt seit Mitte der 2000er Jahre in Rostock. Alle engagieren sich auf unterschiedliche Weise im Kampf gegen Nazis und rechte Gewalt.

Im Mai dieses Jahres ist der Sammelband »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland« herausgekommen. (1) Wir wollten das zum Anlass nehmen, hier in Rostock in diesen Tagen nachzufragen: Gibt es für euch eine spezifisch ostdeutsche antifaschistische Bewegung, gibt es sie noch? Das Buch scheint die Sache als abgeschlossen zu betrachten.

Lars: Für mich ist die Frage nach dem Ostdeutschen klar zu beantworten. Ich habe den Wechsel von der DDR in die BRD erlebt. Und diese Erfahrung ist, was ich als ostdeutsch bezeichnen würde und die mich bis heute beeinflusst.

Chris: Ich kenne gar nichts anderes. Ich bin in M-V aufgewachsen. Was ich hier erlebt habe und mache, ist meine Idee von Antifa. Was Antifagruppen in Westdeutschland machen, dazu kann ich nicht viel sagen, da habe ich keinen Vergleich. Mir fällt der Bezug zu antifaschistischen Bewegungen in osteuropäischen Ländern leichter.

Stefan: Ich habe nie den Stempel ostdeutsch für mich in Anspruch genommen, außer, ich bin in Lübeck und bin dann eben der Ossi. Meine politischen Verbindungen sind eher die nach Schleswig-Holstein als nach Brandenburg oder eben Süddeutschland. Mir ist, als ich nach Rostock kam, nur aufgefallen, dass die Szene hier sehr theoriearm ist.

Corinna: Ich habe eine andere Perspektive. Ich bin vor über zehn Jahren hierher gezogen, im Westen aufgewachsen und hatte da schon als Jugendliche Erfahrung mit Antifa. Aber es gab immer auch noch andere Themenfelder, wie Hausbesetzungen und Globalisierungskritik. Hier war alles anders. Der Fokus lag auf dem Kampf gegen Nazis. Aber mir wurde auch schnell klar: Da, wo ich herkomme, gab es kaum Nazis, und man konnte sich den anderen Themen auch zuwenden. Speziell ostdeutsch ist die Antifa hier für mich nicht mehr. Vieles hat sich in meinen Augen im Osten und im Westen deutlich hin zu einer Subkultur verschoben: Die Zugehörigkeit zur Szene steht im Vordergrund, die politische Auseinandersetzung im Hintergrund. Für Rostock heißt das für mich: Es gab wahrscheinlich noch nie so viele Menschen, die sich der »Szene« zugehörig gefühlt haben wie jetzt. Als ich hierher kam, war der Einstieg schwieriger, der Kreis von Leuten, die politisch aktiv waren, sehr überschaubar. Der Protest gegen das G8-Treffen im Jahr 2007 hat das verändert, ebenso die Ultra Fankultur.

Chris: Für viele hier gilt, was ich in meiner eigenen Biografie auch erfahren habe: Ich wachse auf, habe Probleme mit Nazis, bin geprägt von einer linken Weltsicht meiner Eltern, und aus all diesem ergibt sich, ich bin Antifa und Nazis sind scheiße, und ich muss mich gemeinsam mit anderen gegen sie wehren. Ich habe mich nie nur einer linken Subkultur zugehörig gefühlt, sondern vielen. Antifaschismus war das verbindende Element. Es gab deshalb Zeiten, da haben andere linke Themen eine nachgeordnete Rolle gespielt. 2010 gab es Castortransporte nach Lubmin, und es wurde zu einem Antifathema, weil Nazis versucht haben, die Proteste gegen die Transporte für sich zu vereinnahmen.

Corinna: Der entscheidende Unterschied ist doch: Genossen und Genossinnen hier haben alle Erfahrungen mit Nazigewalt und über diese Auseinandersetzungen, die sie mit Nazis hatten, sind sie auch zur Antifa gekommen. Bei mir war es eher die Erfahrung mit Polizeigewalt, die mich radikalisiert hat. Aktuell ist es aber so, dass man als weiße Linke in Städten wie Rostock oder Greifswald nicht mehr so stark von Nazigewalt betroffen ist. Da hat sich etwas verändert.

Wie ist es jetzt?

Corinna: Es ist gut, dass nicht mehr so viele Leute so heftige Gewalt erfahren. Ich weiß noch gut, wie mir, als ich nach Rostock kam und alles voller Aufnäher hatte, gleich gesagt wurde: Also so kannst du hier nicht rumlaufen. Mittlerweile geht das und dir passiert nicht gleich etwas. Das ist in kleineren Städten und auf dem Dorf immer noch etwas anderes.

Lars: Die Veränderung sehe ich ambivalent. Vor einigen Jahren ist eine Neonazikameradschaft gegen das Alternativzentrum meiner Stadt vorgegangen: Flyer verteilen, Fotos machen usw. Und schiebt sitzen drei Leute am Tresen des Zentrums und keiner machte den Riegel vor die Tür. Wie unvorsichtig - seit 27 Jahren ist das in mir drin, dass man, wenn man selbst zur Zielgruppe von Nazis gehört, auch aufpasst. Ich habe dann einen Vortrag gemacht und von früher erzählt. Da waren Leute, die noch nie einen Nazi von nahem gesehen hatten. Das ist ja auch gut so, das wollten wir immer.

Was ich bei euch allen heraushöre, ist, dass sich die Kräfteverhältnisse beständig verschoben haben und immer noch verschieben. In dem Buch »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland« werden vor allem die 1990er Jahre und auch die Zeit danach eher als Geschichte eines Scheiterns erzählt.

Corinna: Die Leute, die ich kenne, die die 1990er Jahre miterlebt haben und noch dabei sind, die sind für mich nicht gescheitert. Die haben weitergemacht.

Lars: Manche Sachen sind gescheitert, manches Café hat es nur für eine kurze Zeit gegeben, und manches wurde gar nicht erst angefangen. Für mich stellt sich mehr die Frage nach den Erfolgen. In dem Buch fehlt der Gegner, fehlen die Nazis. Anfang der 1990er haben wir aus Angst vor 1.000 Neonazis beim Republikaner-Parteitag die Stadt verlassen. So was würde heute nicht passieren.

Stefan: Hier in Rostock ist der Stadtteil KTV, die Kröpeliner Tor Vorstadt, das, was er ist, weil damals sehr viele Antifas hierher kamen und die Nazis verjagt haben. Aus der Haus- und Instandsetzungsbewegung ist das Projekthaus entstanden, ein wichtiger Ort für die Bewegung. Und auch, dass es in dieser Stadt einen ehrlichen, sogar fairen Umgang innerhalb der zivilgesellschaftlichen Bündnisse gibt, ist ein Erfolg.

Chris: Ich bin da gespalten. Wir haben hier von dem Ruf gelebt, geradezu von dem Mythos. Aber die Bewegung hat darüber ihre Schlagkräftigkeit eingebüßt.

Lars: Es gab 2006 die Kampagne gegen den Heimatbund Pommern, die hat es über Flyer und Veranstaltungen geschafft zu zeigen, dass dies ein Verein von Nazis ist und nicht nur ein Grüppchen, das bei Volksfesten ein paar Tänze aufführt. Die konnten dann nicht mehr auftreten. Und es gab die »Keine Stimme den Nazis«-Kampagne.

Corinna: Es kommt darauf an, worauf Du schaust. Die alternativen Zentren, in Rostock, in Greifswald, Wismar, Neubrandenburg, sind nach wie vor wichtige Orte. Es war möglich, diese Projekte zu besetzen und auch zu halten, Kampagnen von dort aus zu stärken.

Stefan: Es nimmt sehr viel Zeit und Kraft in Anspruch, all diese Häuser zu suchen, Förderanträge zu stellen, sich darum zu kümmern. Manchmal geschieht gar nichts anderes mehr.

Lars: Das ist keine neue Diskussion. Die Frage für mich ist, ob von den Orten noch Politik ausgeht oder ob mit dem Erhalt von Orten und dem Ruf das Engagement verschwindet.

Corinna: Wenn du dir das mit dem Rostocker Alternativviertel anschaust, ist das so. Es wäre früher nicht passiert, dass Nazis hier Aktionen durchführen. Selbst wenn da nur ein paar Sekunden vor einem Café ein Banner hochgehalten wird - den Nazis neulich ist nichts passiert, die sind einfach wieder weg.

Lars: Aber kippt da nun etwas oder ist es auch eine andere Zeit? In den 1990er Jahren ging es ja immer auch um die Eroberung oder Rückeroberung von Räumen. Auch in den 2000er Jahren noch. Die sogenannten Identitären, die solche Banneraktionen machen, träumen vielleicht davon, soziale Räume zu besetzen. Aber da sind wir noch nicht. Die haben eher eine mediale Strategie.

Stefan: Ich sehe da ganz klar eine Gefahr. Mitte der 2000er Jahre sind wir überall hin gefahren. Zu Orten, an denen es Angriffe von Nazis gegeben hat, genauso wie zu Ausstellungseröffnungen. Es war Thema für alle. Aber wenn jetzt etwas passiert, sind zum Teil nicht mal genug Leute da, um in den Zug zu steigen. Es gibt auch die Haltung, dass Ärger mit Nazis eben stressig ist, aber das man da jetzt nicht extra was macht. Es gibt mittlerweile auch wieder Angriffe auf linke Projekte, das hat aber keine Konsequenzen.

Chris: Es fehlt vielen Menschen an dem Bewusstsein, dass das alles nicht selbstverständlich ist, was es hier lokal für sie im Angebot gibt. Wenn dir das nicht klar ist, wenn du nicht aus deinem Viertel und nicht aus Rostock raus schaust, dann hast du eben auch keine Ahnung, was dort passiert.

Lars: Vielleicht fehlt auch die Perspektive zur Geschichte. Es hat sich wenig am Rassismus in der Bevölkerung geändert. Für mich hat sich deshalb auch das Motiv meiner Aktivität nicht verändert: so etwas wie in Lichtenhagen verhindern. Trotzdem habe auch ich manchmal keine Lust mehr, zu Nazidemos zu fahren, und manchmal macht es ja auch politisch keinen Sinn, sich so mit Nazis auseinanderzusetzen. Aber das es gar kein Grund mehr ist?

Ihr sprecht über Erfolge, von denen aus es aber gerade nicht gelingt, weiterzugehen. Manche von euch sagen, es sei bequem geworden oder fehle an politischem Bewusstsein. Gleichzeitig reiben sich sehr viele Menschen täglich in ihrem Kampf gegen Nazis und Nazigewalt auf. Wie sieht eure Perspektive aus?

Stefan: Ich bin nicht sicher. In den letzten Jahren gab es für mich jedenfalls keine nennenswerten Erfolge.

Corinna: Aber es gab seit 2015 »Rostock hilft«. Das ist zwar kein originär antifaschistisches Projekt, sondern eines, dass aus der engagierten Studierendenschaft mit der Beteiligung von Antifas heraus entstanden und gut gelaufen ist. Das war nicht zu erwarten.

Chris: Ich sehe das etwas anders. Die Leute, die am 8. September 2015 am Rostocker Hauptbahnhof dafür gesorgt haben, dass die Polizei die Geflüchteten bei ihrer Ankunft nicht direkt einsackt, waren alles Antifa. Da war die Szene da, und es ging schnell, sehr schnell darum, zu überlegen: Was können wir jetzt hier für Strukturen schaffen? So viele Leute waren hier monatelang damit beschäftigt, einerseits den MVgida-Aufmärschen hinterherzufahren und andererseits den Stand von »Rostock hilft« am Bahnhof mit abzusichern.

Lars: Ich sehe das auch als Erfolg. Als es die aktuelle Angriffswelle gegen Lager gab, musste ich daran denken, dass es Anfang der 1990er Jahre in Ostdeutschland tagtäglich mehrere Anschläge gab - gewalttätig, mit Brandsätzen. Und ja, das fing jetzt auch so an, aber der Mob bildete sich nicht so wie damals. Noch im kleinsten Dorf haben sich Leute hingestellt und gesagt: So nicht. Oder haben etwas vorbeigebracht, was den geflüchteten Menschen helfen sollte und könnte. Es ist eine andere Zeit, und vielleicht spielt auch die sogenannte Zivilgesellschaft eine andere Rolle. Ich hatte noch bis in die 2000er Jahre hinein das Gefühl, als Linksradikaler das Grundgesetz gegenüber Hinz und Kunz verteidigen zu müssen. Wir mussten Sachen sagen wie: Es gibt die Presse- und Meinungsfreiheit, und man darf Leute wegen ihrer Herkunft nicht hauen - das steht da drin. Und auch: Hey, der Nationalsozialismus ist böse, habt ihr das vergessen?

Corinna: Aber Heidenau ist trotzdem passiert. Die Frage stellt sich erneut: Was kann man so einem Mob überhaupt entgegensetzen? Es gab Artikel, in denen klar gesagt wurde: Kriegt eure weißen Ärsche hoch, und fahrt da hin, verteidigt das. Ich habe damals mit Genossinnen und Genossen aus Dresden gesprochen, die gesagt haben: Wir können nicht mehr. Wir stehen da jede Nacht. Was tun? Eine Konsequenz könnte sein, sich breiter aufzustellen, sich mit der Zivilgesellschaft zu vernetzen.

Lars: Ich sehe das ähnlich. Du, Stefan, meintest vorhin, du hättest aus »Rostock hilft« keine Kraft gezogen. Aber daraus haben ja die Menschen Kraft gezogen, denen du geholfen hast. Darum geht es doch auch. Das ist ja nicht nichts.

Corinna: Andersherum wurden Leute dadurch politisiert, und viele der Initiativen gehen weiter.

Chris: Wir müssen einfach bei alldem zusehen, dass das Kampfgebiet Antifaschismus nicht hinten runter fällt. Letztes Jahr im Vorfeld der Landtagswahlen ist bei dem Versuch, eine antifaschistische Kampagne auf die Beine zu stellen, nichts herausgekommen.

Lars: Aber das liegt auch daran, dass die AfD etwas anderes ist als die NPD. Bei der AfD hat es am Ende auch nicht mehr gereicht immer nur zu sagen: Das sind alles Nazis. Es hat sich schnell herausgestellt, dass sich die Diskurse der AfD auf einer breiteren Ebene abspielen. Jedes vermeintliche Tabu ist weggebrochen. Mittlerweile äußern sich die Leute öffentlich unwidersprochen rassistisch oder nationalsozialistisch, so dass wahrscheinlich sogar ein Teil der NPD überlegen musste: »Was machen wir denn jetzt? Unsere Idee, die Elite zu sein, funktioniert ja gar nicht mehr.«

Corinna: Der politische Gegner hat sich verändert. Er ist nicht mehr so eindeutig vermittelbar. Deswegen brauchen wir auch eine Strategiediskussion, wie wir damit umgehen.

Anmerkung:

1) Christin Jänicke, Benjamin Paul-Siewert (Hg.): 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung. Verlag Westfälisches Dampfboot, 2017.

Eine Langfassung des Gesprächs findet sich unter www.akweb.de.