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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 631 / 17.10.2017

Aufgeblättert

Die Rosdolskys

In den 1970er Jahren wurden die Texte von Roman Rosdolsky gelesen, ohne dass mehr über sein Leben bekannt war. In dem Buch »Mit permanenten Grüßen« wird das Leben von Emily (Emmy) und Roman Rosdolsky nun einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei geht es nicht nur um die Politik der beiden von ihren Aktivitäten in der Linken der Ukraine und im Österreich der Zwischenkriegszeit über die Zeit des Nationalsozialismus bis hin zu den Diskussionen in Amerika und Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch inhaltliche Beiträge werden besprochen, wie etwa Roman Rosdolskys Text zur revolutionären Taktik. In den 1970ern wurden vor allem zwei seiner Texte breiter diskutiert: seine Studien über das Nationalitätenproblem (»Zur nationalen Frage: Friedrich Engels und das Problem der geschichtslosen Völker«) und sein Beitrag zur kritischen Beurteilung des ökonomischen Hauptwerkes von Karl Marx (»Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen Kapital: Der Rohentwurf des Kapital 1857-1858«). Durch letzteren Text wurde die Lektüre der Marxschen »Grundrisse« in die linken politischen und ökonomischen Diskussionen eingeführt. Dem Wiener Mandelbaum-Verlag ist es wieder einmal gelungen, dissidente Kommunist_innen und linksradikale Kritiker_innen des Stalinismus neu zu entdecken und wieder bekannt zu machen. Auch wenn die diskutierten Themen sperrig wirken, eröffnet der Band durch leichte Lesbarkeit einen guten Zugang zu den Originaltexten.

Robert Foltin

Rosdolsky-Kreis: Mit permanenten Grüßen. Leben und Werk von Emmy und Roman Rosdolsky. mandelbaum kritik & utopie, Wien 2017. 440 Seiten, 22 EUR.

Wut und Hoffnung

Drei Frauen, eine Geschichte: Mina stammt aus einer Bauernfamilie und schließt sich dem Protest gegen den Bau einer Autofabrik auf Ackerland nahe ihres Dorfes in Westbengalen an. Als sie schwanger wird, macht sie sich auf die Suche nach dem Vater des Kindes, der ihr eigentlich versprochen hatte, sie zu heiraten. Marie kam als Säugling aus Westbengalen nach Frankreich. Ob sie legal adoptiert oder illegal ins reiche Frankreich verkauft wurde, weiß sie nicht. Immer wieder reist sie nach Indien, besucht Waisenhäuser und Kinderheime in der Hoffnung, ihre biologischen Eltern zu finden. Esha wurde in eine reiche Familie in Kalkutta geboren und lebt nun in Paris. Sie arbeitet als Englischlehrerin in einer Banlieue und wartet auf das Ergebnis ihres Einbürgerungsantrags. In ihrem neuen Roman »Staatenlos« stellt die aus Kalkutta stammende und in Frankreich lebende Shumona Sinha drei Frauen in den Mittelpunkt, denen immer wieder und immer heftiger Frauenfeindlichkeit und Fremdenhass entgegenschlagen. Sie alle sind entwurzelt und in ihrer Wahlheimat, der Gesellschaft und der männlichen Ordnung, in der sie leben, weder angekommen noch willkommen. Mit eindrucksvollen, wunderschönen und aufrüttelnden Bildern beschreibt Sinha den alltäglichen Kampf der Frauen: Die Gefahr, Opfer von sexuellen und rassistischen Übergriffen zu werden, ist allgegenwärtig. Ein Satz des Buches wird für alle drei Frauen zur unbarmherzigen Wahrheit: »Die Überlebensbedingungen hingen vom Melaningehalt der Haut ab.«

Beke Schulmann

Shumona Sinha: Staatenlos. Nautilus Verlag, Hamburg 2017. 160 Seiten, 19,90 EUR.

Neoliberaler Rap

Für viele ist Gangsta-Rap frauenfeindlich, homophob und stumpf. Linke Gangsta-Rap-Fans holen gegen solche Vorwürfe häufig zu einem Aber aus: Gangsta-Rapper würden wenigstens über soziale Probleme, ja sogar über ihre Klasse rappen. Dass dem nur bedingt so ist, zeigt eindrucksvoll Tobias Ernsing in seinem Buch. Er fragt, wie sich im deutschsprachigen Gangsta-Rap neoliberale Ideologie reproduziert. Dafür hat sich der Autor die Songs von Bushido, Sido und Kollegah und damit der erfolgreichsten Vertreter des Genres reingezogen. Er zeigt: Die drei rappen tatsächlich hier und da über Themen der unteren Klassen. Doch sie sind sich einig, dass es nur eine Lösung für die Armen und Marginalisierten gibt: Sie müssen raus dem Ghetto - jeder für sich. Sido weiß: »Von nichts kommt nichts, ohne Fleiß kein Preis«. Im Alltagsverstand der deutschen Rapper schlägt der German Dream des Aufstiegs vom Tellerwäscher zum Millionär jegliche Vorstellung von Solidarität und gemeinsamem Kampf. So lacht Kollegah »über diese Rapper mit moralischen Werten, die sozialkritisch werden«. Wer »es« dann geschafft hat, kann, ausgestattet mit Testosteron und Aufsteigerhabitus, wie Bushido genüsslich verlautbaren: »Und echte Männer hängen nicht am Jobcenter ab«. Nicht nur die Analyse liest sich sehr gut, auch die ausführlichen Kapitel zur Geschichte des Rap und die des Neoliberalismus sind informativ und differenziert. Nach der Lektüre ist klar: Es fehlt den Rappern schlicht an Klassenbewusstsein.

Theo Schuster

Tobias Ernsing: Ich kann schlafen, wenn ich tot bin - work hard, stack checks. Neoliberalismus im populären deutschsprachigen Gangsta-Rap. edition assemblage, Münster 2017. 96 Seiten, 9,80 EUR.

Trauer

Über die gesellschaftliche Ungleichheit in Deutschland ist schon viel geschrieben worden. Doch das Buch, das die Berliner Sozialwissenschaftlerin Francis Seeck herausgegeben hat, ist eine Pionierarbeit. Auf gut 100 Seiten beschäftigt sie sich damit, wie einkommensarme Menschen oft in einem namenlosen Grab bestattet werden. Dadurch werde ihren Freund_innen und Angehörigen das Recht auf Trauer genommen. Recht auf Trauer, das ist auch der Titel des Buches. Darin beschreibt Seeck ihren subjektiven Zugang zum Thema: Vom Tod ihres Vaters erfuhr sie, als ihr das Bezirksamt Berlin-Neukölln die Rechnung für seine Bestattung schickte, über die sie nicht informiert worden war. Ausgehend von der eigenen Erfahrung schrieb sie ein sehr persönliches Buch, in dem sie den anonym Bestatteten ihre Namen zurückgibt. Auch Kurzbiografien und Gedichte finden sich darin. Die Autorin berichtet über Widerstandsstrategien, mit denen Freund_innen und Bekannte gegen die namenlose Beerdigung ihr Recht auf Trauer oft gegen den Willen des Friedhofpersonals durchsetzen. Seeck zeigt, wie auch bei Beerdigungen sexistische und rassistische Unterdrückungsmechanismen greifen. Theoretisch rekurriert die Autorin auf eine Rede Judith Butlers. Als ihr der Adorno-Preis verliehen wurde, sagte die Philosophin: »Die Unbetrauerbaren versammeln sich gelegentlich zum öffentlichen Aufstand der Trauer, und deshalb lassen sich in vielen Ländern Beerdigungen und Demonstrationen nur schwer unterscheiden«.

Peter Nowak

Francis Seeck: Recht auf Trauer. Bestattungen aus machtkritischer Perspektive. edition assemblage, Münster 2017. 112 Seiten, 9,80 EUR.