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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 631 / 17.10.2017

Klassenkampf ist Identitätspolitik

Diskussion Die Journalistin Laurie Penny über Feminismus, Antikapitalismus, den Aufstieg der Rechten und Liebesbeziehungen

Interview: Beke Schulmann

Vor kurzem ist das neue Buch der britischen Autorin, Journalistin und Feministin Laurie Penny auf Deutsch erschienen - »Bitch Doktrin«. Das Vorwort hatte Laurie Penny bereits im Herbst vergangenen Jahres fertig. Darin stand, dass nun eine neue Zeit anbrechen könnte - jetzt, da eine Frau Präsidentin der USA sei, jetzt gehe es bergauf, es gebe Hoffnung, schrieb sie. Und dann war da dieser 8. November 2016, und ein neues Vorwort musste her.

Jetzt schreibst du im Vorwort, dass toxische Männlichkeit die Welt zerstöre. Ist die feministische Bewegung durch Menschen wie Donald Trump oder auch Organisationen wie die AfD in Deutschland um Jahrzehnte zurückgeworfen worden? Immerhin müssen wir nun wieder ganz von vorne anfangen und Männern erklären, dass es eben nicht okay ist, Frauen an ihre »pussy« zu fassen.

Laurie Penny: Das glaube ich nicht. Wir müssen zwar wieder von vorne anfangen und erklären, dass es nicht okay ist, Frauen sexuell zu belästigen. Aber ich glaube nicht, dass die ganze feministische Bewegung zurückgeworfen wurde, sondern nun Frauen im Allgemeinen wieder stärker verachtet werden. Es gibt eine heftige Gegenbewegung gegen den Feminismus, gegen die Freiheitsbewegung von People of Colour und queeren Menschen. Überall auf der Welt werden Feministinnen immer aktiver, und immer mehr Leute schließen sich der Bewegung an, weil sie sehen, dass wir auf dem Weg in eine Krise sind. Und das ist keine Krise des Feminismus, sondern eine Krise für alle Frauen. Jetzt müssen wir nur noch härter kämpfen.

Also können Trump und Co. sogar hilfreich sein, um mehr Menschen auf den Geschmack des Feminismus zu bringen?

Ich würde sagen ja. Donald Trump ist eine hervorragende Rekrutierungsmaschine, aber darüber kann ich mich nicht freuen. Ich würde mich freuen, wenn wir nun Debatten darüber führen würden, ob Feminismus heutzutage überhaupt noch notwendig ist - jetzt, da wir eine weibliche Präsidentin haben. Auf diese Debatten war ich vorbereitet. Ich hätte gesagt, dass der Job noch lange nicht getan ist. Das wäre viel besser als die Diskussionen, die wie jetzt haben - darüber ob Frauen eigentlich vollwertige Menschen sind. Die feministische Bewegung ist wichtiger als jemals zuvor.

Nun helfen die Arten von Feminismus, die vor allem in bürgerlichen Medien viel Beachtung finden, ja leider oft nicht allen Frauen, sondern nur den ohnehin schon privilegierten Frauen.

Der Feminismus, dem die Medien ihre Aufmerksamkeit widmen, ist ein gemäßigter, liberaler Feminismus und kommt reichen, privilegierten Mittelschichtsfrauen zugute, das stimmt. Ich bin auch eine weiße Mittelschichtsfrau aus einem englischsprachigen Land, ich bin Schriftstellerin und auch irgendwie Kosmopolitin. Ich mag guten Kaffee und lasse mir gerne die Haare in netten Studios schneiden, wenn ich es mir leisten kann. Ich weiß auch, dass ich in dieser Position bin und diese feministischen Statements abgeben kann und die Plattform dafür habe, weil ich eben diese Privilegien habe. Das ist aber kein Fehler des Feminismus. Im Kapitalismus lässt die Kultur nichts zu, was dem Kapitalismus gefährlich werden kann. Als ich den Vertrag für mein Buch »Unsagbare Dinge« bekommen habe, habe ich fast vier Jahre gebraucht, um es fertigzustellen. Dabei ist dann ein anders Buch herausgekommen als das, wofür ich eigentlich den Vertrag hatte. Denn als ich das Buch geplant hatte, war es viel liberaler und weniger meinungsstark. Es sollte um mein Leben als Frau gehen. Und als ich das Buch eingereicht habe, war es viel antikapitalistischer, als der Verlag es erwartet hatte. Es ist erschienen, weil es den Vertrag schon gab. Denn für solche Bücher machen Verlage normalerweise keine Verträge.

In Deutschland wirst du von den Medien auch eher für deine lustigen Geschichten übers Single-Sein und über Beziehungen wahrgenommen, und deine Kapitalismuskritik wird eher selten erwähnt. Ist die breite Öffentlichkeit nicht bereit dafür?

Die Welt ist absolut bereit für Antikapitalismus! Antikapitalismus ist eines der wenigen Dinge, die die Welt retten können. Aber Antikapitalismus ist unbequem und die Leserinnen und Leser finden es interessanter, in den Medien von Frauen und Beziehungen zu lesen. Denn das ist etwas, das jede kennt. Und deswegen schreibe ich in meinen Büchern auch über Dating und Beziehungen, aber ich tue das vor einem politischen und einem ökonomischen Hintergrund.

Wenn Feminismus für dich also eine Mischung aus dem Kampf für Gleichheit und Antikapitalismus ist und es nicht darum geht, Männer im Allgemeinen an den Pranger zu stellen - warum fühlen sich trotzdem nur so wenige, auch linke, Männer angesprochen von feministischen Ideen?

Feminismus macht Männern Angst. Ich würde mich nicht wohl fühlen, wenn ich Bücher schreiben würde, vor denen Männer keine Angst haben. Ich habe mein Buch »Bitch Doktrin« genannt und nicht »Locker-flockige Knuddel-Doktrin« oder »Ich-liebe-Männer-Doktrin«. Auch in der radikalen Linken gibt es Leute, die denken, dass es beim Feminismus nur um die Theorie geht und nicht um das reale Leben. Viele Männer, die Frauenrechte unterstützen oder sagen, dass sie Feministen seien, fallen zum Beispiel in alte Beziehungsmuster zurück, sobald sie eine Frau daten. Noch immer bleibt so viel emotionale Care-Arbeit an Frauen hängen, und Männer verlassen sich auch noch immer darauf, dass sich die Frauen um diese Arbeit kümmern, also noch eine zweite und dritte zusätzliche Arbeitsschicht übernehmen.

Man sollte meinen, dass sich Frauen diese Mehrarbeit heutzutage nicht mehr antun müssten.

Uns wurde beigebracht, das nicht als Arbeit anzusehen, sondern als etwas, das wir gerne tun, aus reiner Herzensgüte. Und dass wir, wenn wir es nicht tun, schlechte Menschen sind. Es ist schwierig, weil wir diese Arbeit manchmal auch wirklich für Freundinnen, Freunde oder unsere Familie machen wollen. Aber diese Anstrengungen werden niemals als richtige Arbeit anerkannt. Es sollte eine fairere Aufteilung dieser Arbeit geben, und sie sollte respektiert und honoriert werden. Außerdem müssen Frauen sich bewusst machen, dass sie diese unbezahlte Arbeit nicht machen müssen, um geliebt zu werden. Sie sollten geliebt werden, weil sie ein wertvoller Mensch sind.

Machen Menschen in Beziehungen das vielleicht mit, weil es der einzige Bereich ist, in dem wir heute noch verlässliche Solidarität finden können?

Wir erwarten von einer Liebesbeziehung so viel: dass sie unsere Einsamkeit beendet, dass sie unsere sexuelle Lust befriedigt, dass sie uns auch ökonomisch absichert. Da lastet so viel Gewicht auf einer einzigen Beziehung. Solidarität können wir auch in anderen zwischenmenschlichen Beziehungen finden, aber viele suchen das alles in ihrer Paarbeziehung, was unfair ist. Denn viele Beziehungen können einem solchen Druck nicht standhalten.

Lass uns über den Streit innerhalb der radikalen Linken sprechen, zwischen denjenigen, die Identitätspolitik in den Mittelpunkt rücken und denjenigen ...

Ja! Dieser Streit ist lächerlich!

Lächerlich?

Die Linke in Großbritannien streitet sich auch darüber. Es wird immer dieser falsche Teilung von Identitäts- und Klassenpolitik vorgenommen. Ich glaube nicht, dass wir diese Unterscheidung machen sollten. Wir müssen diese Vorstellung aufgeben. Jede Politik ist Identitätspolitik. Bei Klassenpolitik geht es doch um Identität. Wir können nicht über Klasse sprechen, ohne auch über »Rasse« und Geschlecht zu sprechen. Denn »Rasse« und Geschlecht sind Konzepte, die benutzt werden, um auszubeuten und zu unterwerfen. In den USA sagen die Leute, dass »Rasse« nichts mit Klasse zu tun hat. Aber rassistische Ausbeutung ist die Grundlage für ökonomische Unterschiede auf der ganzen Welt.

Rechtfertigt der Hintergrund dieser rassistischen Ausbeutung und das Erstarken der Rechten die Zusammenarbeit mit liberalen Kräften, die sich in bürgerlichen Strukturen gegen Rassismus engagieren?

Manchmal muss man mit den Leuten arbeiten, die gerade zur Verfügung stehen. Aber es hängt davon ab, wie schlimm sie sind und wie schlimm die Zeiten sind. Allgemein glaube ich nicht, dass es sinnvoll ist, auf einen idealen Politiker zu warten, um anständige politische Arbeit zu machen. Wahlen sind dazu da, um den besseren Gegner zu wählen. Deswegen hätte ich mich über Hillary Clinton als Präsidentin gefreut. Denn sie ist die Gegnerin, die ich respektieren kann und die ich auch unterstützen könnte. Aber ich denke nicht, dass es gut oder hilfreich ist, alle Energie darauf zu verwenden, liberale, bürgerliche Parteien zu unterstützen.

Ist die Linke mit schuld an diesem neuen Erstarken der Rechten? Gelingt es der Linken nicht, Arbeiterinnen und Arbeiter anzusprechen? Fehlen da die Ideen?

Nein! Wir haben darauf geachtet, auch Politik für die Arbeiterklasse zu machen. Das war immer Teil der linken Bewegung. Wenn Leute sagen, dass wir nicht genug auf die Arbeiterklasse geachtet haben, dann meinen sie damit, dass wir nicht genug auf die weiße Arbeiterklasse geachtet haben. Die Idee, dass die weiße Arbeiterklasse und vor allem die männlichen weißen Arbeiter von People of Colour und Frauen, die die Mehrheit der globalen Arbeiterklasse ausmachen, getrennt behandelt werden könnten oder sollten, ist gefährlich. Wo waren denn die Leute, die nach den Bedürfnissen der schwarzen Arbeiterklasse in den USA gefragt haben? Nirgends! Eine solche Identitätspolitik, die sagt, dass die Belange der weißen Arbeiterklasse vorne angestellt werden sollten, ist gefährlich, und dafür sollte man nicht der Linken die Schuld geben.

Beke Schulmann ist Journalistin und lebt in Hamburg.