Großzügiger Gastgeber, aber kein Vorreiter
International Deutschland als größter Braunkohleförderer richtet im November die Klimakonferenz aus
Von Juliane Schumacher
In Deutschland findet in wenigen Wochen die Weltklimakonferenz statt - aber davon wissen viele nicht einmal. Anders als bei den Klimagipfeln in Kopenhagen 2009 oder in Paris 2015 wird in den Medien bisher kaum berichtet, die bevorstehende Konferenz spielt, obwohl sie in Bonn stattfindet, in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Das mag mehrere Gründe haben: Vor und nach der Bundestagswahl beherrschen andere Themen die Nachrichten. Nach der Unterzeichnung des Pariser Abkommens bei der Klimakonferenz, der COP21, im Dezember 2015 ist der »große Deal« unter Dach und Fach. Bei den nun folgenden Konferenzen geht es weniger um große Fragen, sondern eher darum, wie der fertiggestellte Vertrag nun umgesetzt und ausgestaltet wird - nicht weniger wichtig, aber deutlich weniger spektakulär. Die Konferenz findet auch nicht unter deutscher Präsidentschaft statt - diese haben dieses Jahr die Fidschi-Inseln. Da die Konferenz jedoch aus logistischen Gründen nicht auf den Pazifikinseln stattfinden kann, hat Deutschland sich als Gastland angeboten.
Vom 6. bis zum 17. November werden Zehntausende Delegierte und Beobachter_innen nach Bonn kommen, wo auch das UN-Klimasekretariat seinen Sitz hat. Und nicht nur sie: Auch mehrere Tausend Aktivist_innen werden erwartet. »Wir können auch November«, haben etwa die Klima-Aktivist_innen vom Bündnis Ende Gelände! angekündigt. Nach Klimacamp im August und Besetzungsaktionen im Mai sollen in den Tagen vor der Klimakonferenz Besetzungen stattfinden. Im Rheinischen Revier, 50 Kilometer vom Tagungsort Bonn entfernt, baut der Energiekonzern RWE Braunkohle ab.
Braunkohle ist nicht nur die schmutzigste und am wenigsten effiziente Form der Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen, sondern auch die, die am stärksten zum Klimawandel beiträgt. Und Deutschland ist weltweit der größte Braunkohleförderer, noch weit vor China auf Platz zwei. Anders als die Volksrepublik, die in den letzten Jahren schrittweise von der ineffizienten Kohle Abschied nimmt, den Neubau von Kraftwerken auf Eis gelegt oder ganz abgesagt hat, weigert sich die Bundesregierung beharrlich, ein Datum für den Ausstieg aus der Kohle zu nennen. Stattdessen fördert sie diese durch Steuererleichterungen, Vergünstigungen und die Befreiung von Abgaben munter weiter.
Auf rund eine Milliarde Euro jährlich hat 2004 ein Gutachten im Auftrag des Bundesumweltamtes die Subventionen der Braunkohle beziffert. Rechnet man die Folgekosten dazu, sind es 4,5 Milliarden. Ein Gutachten im Auftrag von Greenpeace kam 2015 gar auf Gesamtkosten von bis zu 15 Milliarden Euro jährlich. Kein Wunder, dass die Kohlenutzung nicht zurückgeht: 42 Prozent des Stroms in Deutschland kommt weiterhin aus Kohlekraftwerken, 60 Prozent davon aus Braunkohle. Diese allein ist für 80 Prozent der deutschen Kohlenstoffemissionen verantwortlich.
Deutschland wird seine Klimaziele verfehlen
Auch deshalb wird Deutschland, wenn sich nichts radikal ändert, sein Klimaziel haushoch verfehlen - nach einem jüngsten Bericht des Umweltministeriums sogar noch deutlicher als bis dato angenommen: Bis 2020 hatte die Bundesregierung zugesagt, die Kohlenstoffdioxidemissionen um 40 Prozent zu reduzieren. Dass die bisherigen Reduktionen rund 30 Prozent betragen, geht nur darauf zurück, dass sich die Zahlen auf das Vergleichsjahr 1990 beziehen - allein durch die Stilllegung von Kraftwerken und Industrien in den neuen Bundesländern nach dem Beitritt der DDR zur BRD sind die Emissionen in den 1990er Jahren stark gesunken.
Hingegen sind in den letzten acht Jahren die Emissionen nicht zurückgegangen, zuletzt sogar leicht gestiegen. Die Reformen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes haben die Energiewende, die über Deutschland hinaus zum Schlagwort wurde, ausgebremst. Nachdem die Solarindustrie bereits vor einigen Jahren eingebrochen und ins Ausland abgewandert ist, steckt nun auch die Windenergiebranche in einer tiefen Krise. Der europäische Emissionshandel hat sich als wirkungslos erwiesen: Zu niedrig sind die Preise für die Tonne CO2, als dass sie einen Einfluss hätten, zu groß die Komplexität des Mechanismus und die Vielzahl an Schlupflöchern. Und weite Teile der Industrie - darunter gerade jene, die am meisten Emissionen verursachen - sind ohnehin vom Emissionshandel ausgenommen. Erst vor Kurzem haben Klimaexpert_innen gefordert, dass Deutschland auch diese Bereiche wenigstens so reguliert, wie es etwa Frankreich oder Großbritannien tun: mit einer Obergrenze oder einer Steuer auf Kohlenstoffdioxid.
Deutschland macht also im November einen auf großzügigen Gastgeber - ein Vorreiter im Klimaschutz ist es schon lange nicht mehr. Dabei tut sich durchaus einiges auf der internationalen Ebene - obwohl die UN-Klimaverhandlungen nur langsam damit vorankommen, die Details des Pariser Klimaabkommens auszuarbeiten und in Politik umzusetzen. Als US-Präsident Donald Trump Ende Mai dieses Jahres wie erwartet ankündigte, das Pariser Abkommen zu verlassen, war die Erschütterung kleiner als befürchtet: Kein Land folgte ihm. Im Gegenteil: Für den Klimaschutz wichtige Staaten wie China bekräftigten, sie wollten ihre Vereinbarungen einhalten. Nicaragua, außer Syrien das bisher letzte Land, kündigte im September an, nun auch dem Pariser Abkommen beizutreten. Zahlreiche US-Bundesstaaten kritisierten den Entschluss scharf und kündigten an, die Klimapolitik in Übereinstimmung mit den Vereinbarungen von Paris auf eigene Faust fortzusetzen.
Das internationale Klimasystem - so komplex und ineffizient es bisher auch sein mag - ist offenbar stabil genug, um den Ausstieg der USA zu verkraften. Wenn sie denn aussteigen: Denn auch den Ausstieg hat Trump inzwischen wieder infrage gestellt. Zwar hat die US-Regierung im August eine Email an das UN-Klimasekretariat geschickt und darin bekundet, sie wolle zum nächstmöglichen Zeitpunkt das Abkommen verlassen. Was das genau bedeutet, ist jedoch weiter unklar: Ein Ausstieg aus dem Abkommen ist formell erst zum 4. November 2020 möglich - dem Tag nach der nächsten US-Präsidentschaftswahl. Bis dahin könnte die politische Situation in den USA also schon wieder anders aussehen. Und ohnehin kündigte die Trump-Regierung gleichzeitig an, dass sie bei den Verhandlungen weiter dabei sein werde, »um US-Interessen zu schützen und sicherzustellen, dass der Regierung auch künftig alle politischen Optionen offen bleiben«. Dass die USA bis dahin weiter mit am Verhandlungstisch sitzen, dürfte vielen Beobachter_innen mehr Bauchschmerzen bereiten als die Tatsache, dass sie das Abkommen verlassen wollen. Denn da Entschlüsse einstimmig getroffen werden müssen, können die USA bei den Klimaverhandlungen mehr Schaden anrichten, wenn sie dabei sind.
In China sind die Emissionen gesunken
Schwerer wird allerdings wiegen, dass Trump innerhalb des Landes die bisher geplanten Maßnahmen zum Klimaschutz einstampfen und wieder vermehrt auf fossile Brennstoffe setzen will: sei es mit dem Bau umstrittener Ölpipelines, Fracking oder der Wiederaufnahme der Kohleförderung. Wie rückwärtsgewandt das ist, zeigt allein ein Blick auf mehrere jüngst veröffentlichte Studien, die der Kohle das baldigen Ende vorhersagen. Denn Strom aus regenerativen Energiequellen ist längst günstiger und leichter verfügbar.
Dass Kohle keine Zukunft hat, haben andere Länder längst erkannt: China hat den Bau weiterer geplanter Kohlekraftwerke auf Eis gelegt oder ganz abgesagt und setzt inzwischen vermehrt auf Solar- und Windkraft. Das hat durchaus Folgen: In den letzten drei Jahren sind die Emissionen in China, dem Land mit den meisten Kohlenstoffdioxidemissionen, gesunken, vor allem aufgrund des Rückgangs der Kohlenutzung. Auch die weltweiten Emissionen sind in den letzten drei Jahren nicht weiter angestiegen - trotz anhaltenden Wirtschaftswachstums.
Drei Punkte lassen sich daraus folgern: Erstens, wie eng CO2-Emissionen und die Nutzung fossiler Brennstoffe zusammenhängen - und wie dringend nötig es wäre, das Thema fossile Brennstoffe endlich auch in die UN-Klimaverhandlungen aufzunehmen. Dort wird es bisher geflissentlich ignoriert. Zweitens, dass diese Verhandlungen eben nicht alles sind: Die Umbrüche in der Energielandschaft sind bereits im Gange und werden, wenn auch ungleich und brüchig, weitergehen - ganz gleich, was bei den Klimaverhandlungen herauskommt.
Es gilt also, die Umbrüche zu begleiten und so mitzugestalten, dass sie sozial ablaufen und nicht neue Verlierer_innen produzieren, und dass sie sich langfristig in Richtung eines gerechteren, selbstbestimmten Zugangs der Nutzung von Energie und Ressourcen entwickeln. Denn dass ein - wenn auch klimafreundliches - Energieregime sozial gerechter sein würde, ist nicht gesagt: Bisher dominieren diesen Prozess vor allem die Akteure, die schon bisher von den herrschenden Verhältnissen profitiert haben. Schließlich: Ganz gleich, ob es tatsächlich gelingt, die Emissionen zu stabilisieren oder ob sie weiter ansteigen, es muss einen gerechten Umgang mit den Folgen des Klimawandels geben. Denn dessen Auswirkungen werden erst in den nächsten Jahrzehnten wirklich spürbar sein, auch im Fall einer Stabilisierung des CO2-Ausstoßes wird die Temperatur weiter ansteigen und die Auswirkungen über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende spürbar sein.
Es geht also um Vieles in der internationalen Klimapolitik. Dass im November, wenige Monate nach dem G20-Gipfel in Hamburg, die Proteste vermutlich weniger groß ausfallen, ist nicht entscheidend: Über die Zukunft des Klimas wird nicht nur bei den Klimaverhandlungen entschieden. Sondern ebenso bei G20-Gipfeln, bei Wahlen, im Stadtteil oder im Alltag.
Juliane Schumacher berichtete in ak 612 über die Situation in Ägypten fünf Jahre nach der Revolution.