Zwangsräumungen in Barcelona gehen weiter
International Die linke Stadtregierung schafft es nicht, die Wohnungspolitik grundlegend zu ändern
Von Fabian Hillebrand und Jonathan Welker
»Die Polizei hat das Haus gestürmt, und viele der kleinen Kinder fingen an zu weinen, weil sie nicht wussten, was passiert. Überall um sie herum die behelmten Polizeieinheiten, die die Türen mit Eisenstangen einschlugen. Es war ein Desaster.« Monica Garcia ist noch heute sichtlich aufgewühlt, wenn sie die letzte Zwangsräumung in Barcelonas Stadtteil Sants schildert. Die Aktivistin der Nachbarschaftsorganisation Habitatge Sants setzt sich gemeinsam mit anderen gegen Zwangsräumungen im traditionell links geprägten Arbeiterviertel ein. Bei der Zwangsräumung im August ging die Polizei besonders rücksichtslos vor, zwölf Familien mit 15 Kindern wurden auf die Straße gesetzt.
Das Fazit der Mittdreißigerin und ihrer Mitstreiterin Llum Alonso nach zwei Jahren linker Stadtregierung fällt dementsprechend ernüchtert aus. »Es ist nicht so, als wäre alles schön und geregelt, nur weil es diesen Wechsel im Rathaus gab.« Dabei sind zahlreiche ehemalige Mitglieder der Bewegung gegen Zwangsräumungen (PAH) Teil der aktuellen Stadtregierung. Mit der ehemaligen PAH-Sprecherin Ada Colau ist eine ehemalige Aktivistin sogar Bürgermeisterin.
Tourismus verschärft die Wohnungsnot
Colaus Organisation, die linke Wahlliste Barcelona en Comú (BeC), ist seit Mai 2015 die stärkste Kraft in Barcelonas Rathaus. Seitdem regiert BeC in einer Minderheitsregierung die Metropole am Mittelmeer. Mit dem Ausbruch der Krise 2008 wurde die Frage von bezahlbarem Wohnraum und nicht mehr bedienbaren Hypotheken privater Wohnungsbesitzer eines der drängendsten sozialen Probleme in Spanien. Die PAH entwickelte sich in der Folge zur schlagkräftigsten sozialen Bewegung des Landes. Was aber hat sich nach dem Marsch in die Institutionen vor zwei Jahren auf dem Gebiet der Wohnungspolitik zum besseren gewandelt? Und wie wird auf das nach wie vor akute Problem der Zwangsräumungen reagiert?
Vanesa Valiño zieht eine vorsichtig positive Bilanz. Valiño, Mitglied von BeC und mittlerweile Büroleiterin beim Stadtrat für Wohnen, hat die führende Position ihrer Formation in Sachen Wohnungspolitik inne. Die ehemalige Aktivistin ist überzeugt, dass sich trotz Schwierigkeiten vieles verbessert habe. »Der spanische Staat hat seit 100 Jahren keine Wohnungspolitik betrieben. Wir sind nicht so naiv zu glauben, das wir aus einer Stadtregierung heraus mit einem Mal die Fehler der letzten 100 Jahre ausbügeln könnten.« Dennoch habe ein wichtiger Paradigmenwechsel stattgefunden. Es sei mittlerweile allgemein akzeptiert, dass der Staat die soziale Verantwortung trage, alle Bürger_innen mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. Auch bei den Zwangsräumungen sei einiges besser geworden. Eine Vermittlungsstelle sei eingerichtet worden, die im vergangenen Jahr über 2.000 Menschen unterstützte. »Dort wird dann versucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden, und wenn das nicht klappt, kümmern wir uns um Notunterkünfte für die Geräumten«, sagt Valiño.
Aber: Immer noch wird in Barcelona im Schnitt 34-mal täglich zwangsgeräumt. Immer noch landen viele der Betroffenen auf der Straße. Dass die Lage so angespannt ist, liegt nicht zuletzt an den zahlreichen Tourist_innen. Mehr als sieben Millionen Menschen besuchen die größte Stadt Kataloniens jährlich. Dank Vermietungsplattformen wie Airbnb ist Wohnraum bereits seit Jahren ein knappes und teures Gut. Die Stadt ist außerdem zu einem attraktiven Ziel für Investitionen im Immobiliensektor geworden. Das heizt den Wohnungsmarkt weiter an.
Auch der Aktivistin Monica Garcia ist bewusst, dass Zwangsräumungen in der nationalen Gesetzgebung verankert sind und nicht einfach von einer Stadtregierung ausgesetzt werden können. Aber auch im Kleinen habe sich zu wenig verändert, meint sie. So gebe es ein Ablaufprotokoll, erläutert sie, in dem die Schritte einer Zwangsräumung gesetzlich festgelegt worden seien. »Es bräuchte gar keine großen Umwälzungen, um hier einen Schritt nach vorne zu machen und dieses Protokoll zu ändern.« Trotz mehrfacher Forderungen passierte das aber nicht.
Die Stadtpolitikerin Valiño gesteht ebenfalls eine große Leerstelle ein. Das Recht auf Wohnen für alle könne sie nicht garantieren. »Immer noch gibt es viele Leute, denen es dreckig geht. Der Unterschied ist, dass es jetzt eine Regierung gibt, die an ihrer Seite steht«, so Valiño. Die auch von den Aktivst_innen aus Sants forcierten Besetzungen aus sozialen Gründen betrachtet sie indes als keine wirkliche Lösung. »Es kann nicht sein, dass eine Familie, die die Wohnung eines kleinen Eigentümers besetzt und dort dauerhaft bleibt, dafür nicht bezahlt.« Um den offenen Konflikt mit Eigentümer_innen und Banken zu vermeiden, müssten alternative Lösungen gefunden werden. Deshalb arbeite die Stadtregierung aktuell an einem Ausbau des Sektors der staatlich geförderten Sozialwohnungen.
Reformen werden verschleppt
Kann es aber trotz dieser grundverschiedenen Herangehensweisen an Wohnungspolitik noch eine Zusammenarbeit von sozialen Bewegungen und linker Regierung geben? Vanesa Valiño ist auch hier optimistisch. Die Haltung in der Bevölkerung habe sich gewandelt. »Selbst wenn unsere Regierung nicht mehr wiedergewählt werden sollte: Es gab einen Wandel in der Mentalität der Leute und es gibt Verbindungen zwischen Regierung und Bewegung.«
Die stadtpolitischen Aktivist_innen aus dem Westen Barcelonas sind da skeptischer. Verbindungen zwischen institutioneller Politik und den Bewegungen gebe es leider nur wenige, so Garcia. »Was wir uns wünschen würden, wäre eine Zuarbeit bei den Auseinandersetzungen in den Vierteln.« Auch die gemeinsame Vergangenheit in den sozialen Bewegungen sei oft keine Hilfe. Vanesa Valiño kann hier ausnahmsweise zustimmen: »Man kennt sich, und es gibt eine grundsätzliche gegenseitige Sympathie. das macht aber nicht alles einfacher, manchmal eher im Gegenteil.« Worin genau die Schwierigkeiten bestehen, sagen weder die Aktivistin Garcia, noch die Mitarbeiterin beim Stadtrat für Wohnen, Valiño. Es drängt sich aber die Vermutung auf, dass es um alte Konflikte geht, die auch in neuer Konstellation wieder auftreten.
Llum Alonso von Habitatge Sants sieht das Problem indes nicht alleine in der mangelnden Zusammenarbeit. Die Regierung um das Bündnis Barcelona en Comú habe den Einfluss und das Beharrungsvermögen des Verwaltungsapparates unterschätzt. Zahlreiche Reformen würden durch den bürokratischen Apparat verschleppt. »Den ehrlichen Willen, dort in den Konflikt zu gehen, sehe ich zu selten«, sagt Alonso. Diese Schwierigkeit gibt Valiño unumwunden zu, wenngleich sie auf Zugeständnisse und gute Kompromisse verweist. Sie ist sich aber der Grenzen ihrer Arbeit bewusst: »In einer so großen Stadt gibt es unendlich viel zu tun und so beschränkte Möglichkeiten. Wir geben unser Bestes, aber nachts ruhig schlafen kann ich deswegen trotzdem nicht«, so die Politikerin.
Die Lösung für eines der drängendsten sozialen Probleme Barcelonas liegt also auch nach zwei Jahren linker Regierung in weiter Ferne. Ob sich hieran etwas ändert, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die ehemaligen Aktivist_innen im Rathaus sich weiterhin auf eine moderierende Rolle beschränken oder doch stärker den Konflikt suchen und dem privaten Wohnungsmarkt und seinen Profiteuren Zugeständnisse abringen. Monica von Habitatge Sants ist aber trotz der zahlreichen Probleme zuversichtlich: »Das aktuelle Handeln der Stadtregierung hat auch damit zu tun, dass es nicht genug Druck aus der Bevölkerung gibt - aber daran werden wir arbeiten!«
Fabian Hillebrand und Jonathan Welker beschäftigen sich in Leipzig und Berlin mit sozialen Kämpfen und waren vor dem Referendum in Katalonien, um den Stand der Bewegung und das aktuelle Menü von 100 Montaditos zu erkunden.