Titelseite ak
ak Newsletter
ak bei Diaspora *
ak bei facebookak bei Facebook
Twitter Logoak bei Twitter
Linksnet.de
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 632 / 14.11.2017

Rationale Akteure

International Verbale Attacken und politische Strategien im USA-Nordkorea-Konflikt

Von Jörg Kronauer

CNN entdeckt die Welt. Nein, er ist nicht verrückt, der nordkoreanische Staatschef Kim Jong Un! Der US-Sender hat das in beinharter Recherche herausgefunden. Er hat - gerissen, wie er nun mal ist - einen seiner Journalisten sich die Sache von einem CIA-Mann verklickern lassen, denn der Geheimdienst muss es ja wissen. Kim, das hat ein hochrangiger Koreaspezialist des Dienstes dem CNN-Reporter Anfang Oktober verraten, ist nicht etwa irre; er ist vielmehr, auch wenn US-Präsident Donald Trump ständig das Gegenteil suggeriert, ein ganz und gar »rationaler Akteur«. »Eines Morgens aufzuwachen und zu beschließen, Los Angeles mit Atomwaffen zu zerstören« - das sei nichts, was man von Kim zu erwarten habe, beruhigt der CIA-Fachmann. Die Bombe sei für den Nordkoreaner vielmehr ein Mittel, sein Land und seine Herrschaft gegen etwaige Angriffe zu schützen. »Die letzte Person, die einen Konflikt auf der koreanischen Halbinsel will, ist Kim Jong Un«, erklärt der Geheimdienstler. Das müsse man begreifen; sonst bestehe die ernste Gefahr, auf der koreanischen Halbinsel in einen zerstörerischen Krieg zu schlittern.

Vor der großen Ostasienreise, die der US-Präsident am 5. November angetreten hat, ist das US-Establishment erkennbar bemüht gewesen, ein wenig Dampf aus dem Konflikt mit Nordkorea zu nehmen. Immer wieder hatte Trump den nordkoreanischen Staatschef wüst beschimpft, hatte ihm »Feuer und Wut« und dem Land schließlich sogar »völlige Vernichtung« angedroht. Das mochte eine Zeitlang nützlich erscheinen, um den Druck auf Pjöngjang zu maximieren und es vielleicht doch noch von neuen Atom- und Raketentests abzuhalten. Doch wie sich gezeigt hat, verfehlten Trumps Drohungen die erhoffte Wirkung komplett. Nordkorea führte am 3. September 2017 einen erneuten Kernwaffentest durch und erprobte darüber hinaus Raketen, die mutmaßlich US-Territorium erreichen konnten. Was tun? Erfolglos weitermachen wie bisher war keine besonders attraktive Option; eine Kurskorrektur in der US-Nordkoreapolitik schien vielen unumgänglich.

Tatsächlich brachte das Jahr 2017 für die Nordkoreapolitik einen echten Einschnitt. Pjöngjang hat ein lange erstrebtes strategisches Ziel erreicht: die Fähigkeit, seinen Hauptfeind, die Vereinigten Staaten, mit Atomwaffen zu bedrohen. Die Entscheidung, diese Fähigkeit um jeden Preis erlangen zu wollen, ist wohl spätestens am 10. Januar 2003 gefallen. An jenem Tag stieg Nordkorea mit sofortiger Wirkung aus dem Atomwaffensperrvertrag aus.

Weshalb? Im Vorjahr hatte US-Präsident George W. Bush das Land neben Irak und Iran in seine »Achse des Bösen« eingereiht. Anfang 2003 zeichnete sich nun der Krieg gegen das erste dieser drei Länder, den Irak, deutlich ab. Die nordkoreanische Führung hat damals offenkundig beschlossen, dem Schicksal, auf das Bagdad zusteuerte, um jeden Preis zu entgehen. Sie hat dazu auf die einzige Karte gesetzt, die ihr auf Dauer zuverlässigen Schutz zu bieten schien: die atomare Abschreckung. Ihr Kalkül, man dürfe die nukleare Aufrüstung nicht zugunsten eines Deals mit dem Westen aufgeben, hat sie bestätigt gesehen, als die NATO den libyschen »Revolutionsführer« Muammar al Gaddafi, der sich auf einen solchen Deal eingelassen hatte, aus Tripolis bombte. Die Bestrebungen erheblicher Teile des US-Establishments, aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran auszusteigen, stützen die Annahme der nordkoreanischen Führung erneut.

Dass Nordkorea in diesem Jahr einen Durchbruch bei der Entwicklung von Raketen erzielt hat, die US-Territorium erreichen können, kam nicht überraschend. Bereits 2016 hatten Experten damit gerechnet; US-Think-Tanks hatten sich an die Arbeit gemacht und über Möglichkeiten debattiert, Pjöngjang noch im letzten Moment davon abzubringen. Man habe nur »wenige, unbefriedigende und sogar gefährliche Optionen« zur Verfügung, räumte die Brookings Institution Anfang 2017 ein.

Der New Yorker Council on Foreign Relations, der 2016 eigens eine Nordkorea-Task-Force eingesetzt hatte, schlug - ähnlich wie andere - eine Art Doppelstrategie vor: Einerseits solle man Pjöngjang »Verhandlungen« anbieten und dabei großzügig mit »echten Anreizen« locken; andererseits solle man den Druck erhöhen - auch militärisch. Vielleicht könne es damit doch noch gelingen, die nordkoreanische Staatsspitze zu Zugeständnissen zu zwingen.

Präsident Trump hat in den ersten Monaten seiner Amtszeit noch versucht, dieser Doppelstrategie Rechnung zu tragen. Während er einerseits öffentlich über Luftangriffe auf nordkoreanische Atomanlagen spekulierte, erklärte er andererseits, er sei unter Umständen sogar bereit, sich persönlich mit Kim zu treffen. Im Sommer ist er dann freilich in den Modus blinden Wütens verfallen, von dem er sich jedenfalls zu Beginn seiner Ostasienreise noch nicht wieder erholt hatte. Es war die Zeit, in der er Kim als »little rocket man« beschimpfte und diplomatische Bemühungen seines Außenministers Rex Tillerson als »Zeitverschwendung« diffamierte. Die von den Think-Tanks ausgeklügelte Doppelstrategie geriet dabei etwas unter die Räder. Allerdings darf man mit Blick auf die Entschlossenheit Nordkoreas annehmen, dass sie auch unter einem anderen US-Präsidenten wohl kaum zum Erfolg geführt hätte. Den einzigen Fortschritt, den die Vereinigten Staaten im Laufe des Sommers erzielen konnten, haben sie ausgerechnet ihrem großen Rivalen zu verdanken: der Volksrepublik China.

Für China ist der Konflikt mit Nordkorea eine überaus heikle Angelegenheit. Die Existenz des nordkoreanischen Staates an sich ist für die Volksrepublik strategisch vorteilhaft: Sie hält die US-Truppen, die in Südkorea stationiert sind, räumlich zumindest ein wenig auf Distanz. Shen Dingli, Professor für internationale Beziehungen an der renommierten Fudan-Universität in Shanghai und ein bekannter Kommentator, hat Nordkorea deswegen einmal Chinas »strategische Pufferzone in Nordostasien« genannt. Hinzu kommt, dass der Konflikt mit Pjöngjang auch US-Truppen bindet: Bringen sie sich gegen Nordkorea in Stellung, dann machen sie sich - so heißt es in Beijing - wenigstens nicht im Südchinesischen Meer zu schaffen.

Für China ist Nordkorea eine »strategische Pufferzone«

Allerdings gibt es auch in China kein Licht ohne Schatten: Mit dem Nordkoreakonflikt kann Washington seine Militärpräsenz in der Region legitimieren; eskaliert er, dann kracht es direkt an der chinesischen Grenze. Letzteres ist auch ein Grund, weshalb Beijing Pjöngjangs nukleare Aufrüstung scharf ablehnt: Ein Atomkrieg vor der eigenen Haustüre wäre für China eine beispiellose Katastrophe. Die nordkoreanischen Waffentests haben in der Volksrepublik daher ebenfalls Unmut ausgelöst. Dies wiederum hat dazu beigetragen, dass die Volksrepublik die Zügel gegenüber Nordkorea zuletzt stark angezogen und sich auf Sanktionen gegen das Land eingelassen hat. Washington feiert das als - seinen einzigen - Erfolg.

Ein Kollateralschaden des Nordkoreakonflikts ist aus chinesischer Perspektive schon jetzt die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems THAAD in Südkorea. Legitimiert werden konnte sie mit dem Hinweis, man müsse im Ernstfall anfliegende nordkoreanische Raketen rechtzeitig zerstören können. Tatsächlich leistet THAAD viel mehr: Es neutralisiert nicht nur chinesische Raketenpotenziale zum militärstrategischen Nachteil Beijings; es ermöglicht mit seinen Radaranlagen auch die Beobachtung chinesischen Territoriums. Aus genau diesem Grund ist es auch in Südkorea umstritten: Der neue Präsident Moon Jae-in legt großen Wert auf gute Beziehungen zum übermächtigen Nachbarn China und will deshalb die Stationierung weiterer THAAD-Batterien vermeiden. Das Beispiel zeigt deutlich die schwierige Lage, in die Seoul durch die Zuspitzung des Konflikts mit Nordkorea gerät: Einerseits wird es - als Frontstaat gegen den Norden - mit jeder Eskalation enger an die Seite seines Hauptverbündeten, der USA, getrieben; andererseits steigen dadurch die Spannungen mit der Volksrepublik, auf die Südkorea mittlerweile ökonomisch angewiesen ist.

Und nun - was tun, da Nordkorea offenkundig in der Lage ist, US-Territorium atomar zu bedrohen? Washington rasselt zunächst einmal mit den Säbeln; alles andere würde, so heißt es in Washington, als Schwäche ausgelegt. Wenige Tage vor Trumps Ostasienreise flogen atomwaffenfähige US-Bomber über Südkorea - gemeinsam mit südkoreanischen und japanischen Kampfjets. Japan sucht aus dem Konflikt, der auch sein Territorium akut bedroht, wenigstens einen Kollateralnutzen zu schlagen: Gemeinsame militärische Aktivitäten mit Südkorea kommen ihm recht, weil sie seine Position im Dauerkonflikt mit China deutlich stärken. Kann aus dem Säbelrasseln aber ein US-amerikanischer Erstschlag gegen Nordkorea werden?

Darüber nachgedacht hat bereits, wie damalige Regierungsmitarbeiter bestätigten, die Clinton-Administration. Sie hat sich schließlich dagegen entschieden. Denn erstens sind schon die konventionellen militärischen Kapazitäten der nordkoreanischen Streitkräfte so gewaltig, dass sie in Südkorea - insbesondere in der keine 50 Kilometer von der Grenze entfernten Zehn-Millionen-Metropole Seoul - binnen allerkürzester Frist unvorstellbare Verheerungen verursachen könnten. Das träfe womöglich nicht nur die rund 30.000 in Südkorea stationierten US-Militärs; die Anzahl der in dem Land ansässigen US-Amerikaner_innen, die ebenfalls bedroht sind, wird auf deutlich mehr als 100.000 geschätzt. Zweitens aber sind die nordkoreanischen Atomanlagen und -raketen wohl so massiv verbunkert und verborgen, dass es als nahezu ausgeschlossen gilt, sie mit einer einzigen Angriffswelle auszuschalten. Ein nuklearer Gegenschlag müsste also von Washington einkalkuliert werden.

Vom Säbelrasseln zum Erstschlag gegen Nordkorea?

Deshalb drängt das US-Establishment, während sein Präsident verbal weiter wütet, nun darauf, politische Alternativen für die Nordkoreapolitik zu entwickeln. An dem Ziel, Pjöngjang zur nuklearen Abrüstung zu veranlassen, hält Washington fest: Er könne sich »keine Bedingung vorstellen, unter der die Vereinigten Staaten Nordkorea als Nuklearmacht akzeptieren würden«, teilte Verteidigungsminister Jim Mattis Ende Oktober mit.

Gleichzeitig aber rücken Think-Tanks, Parlamentsausschüsse und Medien in jüngster Zeit ehemalige Mitarbeiter nordkoreanischer Regierungsstellen, die sich in den Westen abgesetzt haben, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Er rechne nicht damit, »dass Nordkorea ein Jahr Sanktionen überleben« werde, ließ sich Ri Jong-ho, ein früherer Wirtschaftsfachmann Pjöngjangs, von CNBC zitieren. Es gebe einfach nicht genug Nahrung in dem Land. Thae Jong-ho, ehemals Nummer zwei der nordkoreanischen Botschaft in London, beschrieb US-Abgeordneten »unerwartete Veränderungen in Nordkorea«: Freie Märkte florierten, südkoreanische Filme seien in dem Land zur Zeit groß in Mode; das lasse die Möglichkeit eines »zivilen Aufstands« als denkbar erscheinen. Washington solle dies als Kims wahre »Achillesferse« begreifen und eine um »Freiheit und Menschenrechte« zentrierte Propagandakampagne gestalten, die mit Hilfe geeigneter Träger ins Land zu schleusen sei. Man habe keinen Einfluss auf Pjöngjangs Politik, erklärte Thae: »Aber wir können die nordkoreanische Bevölkerung mit der Verbreitung auswärtiger Informationen dazu erziehen, sich zu erheben.«Umsturzförderung also: Die Idee ist nicht neu, aber in der Geschichte der US-Außenpolitik immer wieder wirksam gewesen.

Jörg Kronauer, Soziologe und freier Journalist in London, schrieb in ak 628 über Donald Trumps brandgefährliche Außenpolitik.