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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 632 / 14.11.2017

Unabhängigkeit - gegen den Nationalstaat?

International Quim Arrufat über die katalanische Unabhängigkeitsbewegung und die Politik der linken Candidatura d'Unitat Popular

Interview: Raul Zelik

Quim Arrufat ist Sprecher des Generalsekretariats der linken Candidatura d'Unitat Popular (CUP), die mit acht Prozent im katalanischen Parlament sitzt und dort zwei Jahre lang die abgesetzte Regierung Puigdemont toleriert hat. Mit Arrufat sprach Rauk Zelik darüber, wie sich die Lage nach der Suspendierung der katalanischen Autonomie darstellt und warum die antikapitalistische CUP so sehr auf die Gründung eines unabhängigen Kataloniens setzt.

Ministerpräsident Puigdemont ist in Belgien im Exil, die halbe Regierung sitzt im Gefängnis. Für den 21. Dezember sind Autonomiewahlen angesetzt. Die Gründung einer katalanischen Republik ist auf ganzer Linie gescheitert.

Quim Arrufat: Auf der einen Seite ist das Panorama düster. Der Staat setzt alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ein, um eine demokratische Entscheidung zu verhindern. Aber die Republik ist nicht gescheitert. Sie wurde proklamiert, aber die Regierung konnte dem - wegen der Repression - keine praktischen Schritte folgen lassen. Die Republik wird sich nur auf zweierlei Weise durchsetzen lassen: mit demokratischen Mehrheiten und durch internationale Anerkennung. Wir haben weder Waffen noch Erdöl oder geopolitische Verbündete. Unsere einzige Stärke sind die Leute, und deswegen geht es für uns um Mobilisierung, Bündnisse und die Internationalisierung des Konflikts. Und das alles mit langem Atem.

Viele Unabhängigkeitsbefürworter fühlen sich betrogen: Die Mehrheitsparteien Junts pel Sí (1) und CUP waren bei den Wahlen 2015 mit dem Versprechen angetreten, innerhalb von 18 Monaten die Strukturen eines eigenen Staates aufzubauen. Das ist nicht passiert.

Wir haben das Programm von Junts pel Sí schon damals als »magischen Independentismus« kritisiert. Es war doch klar, dass Katalonien nicht allein durch eine Proklamation von Europa anerkannt werden würde. Verschiedene soziale Bewegungen und die CUP haben deshalb vor einem Jahr die Durchführung eines Referendums durchgesetzt. Wir haben das als ein Instrument der demokratischen Selbstbestimmung und zur Mobilisierung der Gesellschaft verstanden. Dieses Referendum hat am 1. Oktober stattgefunden - unterstützt von Zehntausenden Freiwilligen. Aber es ist auch völlig klar, dass wir noch viele ähnliche Mobilisierungen brauchen werden, bis die Forderung nach Selbstbestimmung innerhalb und außerhalb des spanischen Staates akzeptiert wird.

Jetzt hat die Regierung Rajoy erst mal Autonomiewahlen anberaumt.

Es gibt keine demokratischen Garantien für die Wahlen am 21. Dezember. Die konservative Volkspartei (PP) hat angekündigt, das Parlament sofort wieder aufzulösen, wenn die Unabhängigkeitsbewegung gewinnt. Es werden Parteiverbote diskutiert, und der Vorsitzende der bei Umfragen größten Partei in Katalonien, die Esquerra Republicana (ERC), sitzt im Gefängnis. Trotzdem sehen wir die Notwendigkeit, an den Wahlen teilzunehmen. Wenn wir es nicht tun, wird - bei einer niedrigen Wahlbeteiligung - eine unionistische Regierung gewählt werden. Und die EU wird diese sofort als legitim erachten.

Die große Unbekannte des katalanischen Prozesses ist die Frage, wo die Demokratische Partei (PDeCAT) von Ministerpräsident Puigdemont eigentlich steht. Sie ist aus der alten Regierungspartei Convergència hervorgegangen, die ähnlich wie die bayerische CSU 35 Jahre lang einen Folkloreregionalismus betrieben hat. Diese Rechte ist zuletzt enorm geschwächt worden. Früher lag sie bei 40 Prozent, jetzt kommt sie bei Umfragen nur noch auf zwölf Prozent und ist kaum stärker als die CUP. Welche Position vertritt die katalanische Rechte - will sie die Unabhängigkeit oder einen erweiterten Regionalismus?

Die Basis der PDeCAT ist eindeutig independentista. Die alten Parteieliten von Convergència hingegen waren immer für einen Pakt mit dem Zentralstaat. Die mit den Unternehmerverbänden verwobenen Eliten haben die PdeCAT allerdings teilweise verlassen. In der Parteiführung gibt es nach wie vor Konflikte zwischen denen, die wie Puigdemont die Unabhängigkeit wollen, und anderen, die weiterhin auf einen Elitenpakt hoffen. Aber das spiegelt sich an der Basis nicht wieder. Wenn die Führung der PDeCAT auf einen regionalistischen Kurs einschwenkt, wird die Parteibasis zur ERC überlaufen.

Und wie wichtig ist Puigdemont selbst?

Der Wechsel vom alten Ministerpräsidenten Artur Mas, der aus den Wirtschaftseliten Barcelonas kommt, hin zu Puigdemont war sehr wichtig. Puigdemont kommt aus durchschnittlichen Verhältnissen und war vorher nur Bürgermeister in Girona. Es hat keine persönlichen Ambitionen - er will die Unabhängigkeit durchsetzen und sich dann aus der Politik zurückziehen. Das ist sehr positiv. Denn früher haben die Rechten die Unabhängigkeitsbewegung für wahltaktische Interessen instrumentalisiert. Das kann man Puigdemont nicht mehr vorwerfen. Er riskiert politisch und persönlich viel.

Die CUP behauptet, nicht-nationalistisch zu sein. Warum setzt ihr dann trotzdem auf die Gründung eines eigenen Staates?

Wir sind für die Unabhängigkeit, weil kein einziges - soziales und demokratisches - Ziel unseres Programms innerhalb des spanischen Staates umgesetzt werden kann. Der verfassunggebende Prozess in Katalonien wäre ein erster Schritt, um unser Projekt zu materialisieren ...

... aber ein antikapitalistisches, feministisches Projekt, wie ihr es verteidigt, ist auch innerhalb der EU nicht möglich.

(lacht) Wir sind nicht für die EU, aber das ist ein anderes Thema. Die Unabhängigkeit ist ein erster Schritt zu jener Demokratisierung, die in Spanien blockiert ist. Es geht darum, einen Rahmen herzustellen. Warum mit den Bürgerlichen zusammen? Die deutsche Linkspartei fragt auch niemand, warum sie sich an einem Staat beteiligt, der ihren Projekten widerspricht und der gegen die Umsetzung ihres Programms großen Widerstand leisten würde. Wir meinen, dass wir in Katalonien so breite Bündnisse gegen den Status Quo brauchen wie überhaupt möglich. Die Unabhängigkeit ist ein erster Schritt hin zu einer sozialeren, demokratischeren Republik. Der zweite Schritt ist ein verfassunggebender Prozess mit breiter gesellschaftlicher Beteiligung. Der dritte wird in der Einführung einer demokratischen Kontrolle - durch Referenden und Plebiszite - bestehen. Für diese Veränderungen gibt es breite gesellschaftliche Mehrheiten. Und abgesehen von der extremen Rechten, die in der Unabhängigkeitsbewegung keine Rolle spielt, werden wir diese Projekte mit allen durchsetzen, die sie wollen. Auch mit den Mitte-Rechts-Parteien.

Was schwebt der CUP langfristig vor: eher ein sozialistischer Staat wie Kuba oder eine Union selbstverwalteter Gemeinden wie im kurdisch dominierten Nordsyrien?

Unsere Utopie ist eine Gesellschaft, die sich von unten selbst regiert. Aus den Gemeinden und Territorien heraus, an den Arbeitsplätzen. In diesem Sinne identifizieren wir uns mit dem demokratischen Konföderalismus in Kurdistan oder der Basisdemokratie der Zapatisten in Mexiko. Wir müssen aber auch mit der existierenden Realität umgehen. Als Teil der »ersten Welt«, als ein in den Weltmarkt integriertes europäisches Land mit wenigen Spielräumen ist unser Ziel jetzt der Aufbau einer möglichst sozialen katalanischen Republik. Wir wollen ein Exempel statuieren, wie ein Land von unten neu aufgebaut werden kann.

Am schwersten nachzuvollziehen ist euer Bezug auf die Paisos Catalans, die »katalanischsprachigen Länder«. Die umfassen u.a. Valencia, einen Streifen in Südfrankreich und die Balearen. In all diesen Regionen werden - wie in Katalonien selbst - auch andere Sprachen gesprochen. Letztlich ist euer Projekt am Ende dann doch ethnisch begründet: die »katalanischsprachige Gemeinschaft«.

Die CUP ist in allen Teilen der Paisos Catalans aktiv. Aber wie sich diese Teile zueinander verhalten sollen, sagen wir nicht - ob sie eigenständige Republiken sein wollen, eine Konföderation, Autonomie ... Das sollen die Leute entscheiden, die dort leben. Wenn sie mehrheitlich Teil des spanischen Staates bleiben wollen, ist das ihre Entscheidung. Wir denken allerdings schon, dass ein nationaler Rahmen existiert. Es gibt eine katalanische Geschichte, Sprache und gemeinsame Probleme. Dieser Rahmen ist jedoch nicht festgeschrieben. Nationale Realitäten sind gemischt, und im gleichen Territorium existieren unterschiedliche Nationen. Selbstverständlich ist die katalanische Realität plurinational. Was wir wollen, ist die Selbstregierung innerhalb eines bestimmten Territoriums. Das nimmt in der heute existierenden Welt leider die Form eines Staates an. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Staat homogenisiert werden sollte. Man kann verschiedenen Nationen angehören und denselben Staat teilen. Das ist ein konföderales Prinzip, und genau das wollen wir mit der katalanischen Republik durchsetzen. Unter anderem, weil dieses Projekt im spanischen Staat unmöglich ist.

Wie wird es im Konflikt mit dem Zentralstaat weitergehen?

Die Wahlen werden als Plebiszit verstanden werden. Wenn wir sie gewinnen, hat die Regierung Puigdemont das Mandat, die Republik aufzubauen und einen Verfassungsprozess einzuleiten. Wir können nur auf die lang anhaltende Mobilisierung der Menschen setzen. Bis man unser Recht auf Selbstbestimmung akzeptiert.

Aber wäre es für die CUP nicht naheliegender, im Lokalen anzufangen? Eine Verfassungsdebatte zu führen und »ökonomische Selbstregierung« aufzubauen, zum Beispiel in Form von Genossenschaften?

Das machen wir schon lange. Unsere Hauptstrategie heißt ja »Souveränitäten aufbauen«. Das bedeutet, das Recht auf Wohnung, Wasser, ökonomische Teilhabe usw. von unten zu schaffen. Deshalb liegt der Schwerpunkt unserer Arbeit in den Gemeinden. In den 30 Gemeinden, in denen wir regieren, arbeiten wir an der Selbstregierung der Bevölkerung. Wir wollen die Stadt nicht regieren, sondern wollen, dass Gemeinschaft und Rathaus gemeinsam Projekte entwickeln, innerhalb und außerhalb der Institutionen. Es geht uns um die Rekommunalisierung der Infrastruktur, um die Aneignung von Wohnraum, den Aufbau von Genossenschaften - das ist der Kern unserer Politik. Nicht das Parlament.

Raul Zelik ist Autor und Übersetzer. Mehr unter www.raulzelik.net.

Anmerkung:

1) Junts pel Sí ist ein Bündnis aller Unabhängigkeitsparteien mit Ausnahme der radikalen Linken. Federführend sind die bürgerliche PDeCAT und die sozialdemokratische ERC. Aber auch Gewerkschafter, Kulturverbände sowie Ex-Abgeordnete von Grünen, PSC und einzelne Christdemokraten saßen für Junts pel Sí im Parlament.

Die CUP

Die Candidatura d'Unitat Popular (CUP) wurde 1986 gegründet und ist seitdem in vielen kommunalen Parlamenten Kataloniens vertreten. Bei der Parlamentswahl in Katalonien im September 2015 erreichte sie 8,2 Prozent der Stimmen und zehn Sitze im Regionalparlament. Quim Arrufat ist Sprecher des Generalsekretariats der CUP.