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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 632 / 14.11.2017

Tod per Knopfdruck

Afghanistan Der Drohnenkrieg ist mitverantwortlich für die Destabilisierung des Landes

Von Emran Feroz

Abdul Hadis Haus liegt mitten in der Stadt Khost. Die Atmosphäre in dem Viertel ist laut und lebendig. Autos fahren die Straße entlang, Menschen schlendern zum Basar. Khost ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und liegt im Osten Afghanistans an der Grenze zu Pakistan. Eine rund vierstündige Autofahrt von Kabul ausgehend ist notwendig, um das Zentrum der Stadt zu erreichen. Früher war der Weg fast doppelt so lang. Doch in den letzten Jahren wurden neue Straßen gebaut, die die Reise erleichtern. Um Khost zu erreichen, muss man durch die Provinzen Logar und Paktia fahren, sie gelten als Unruheherde und werden in vielen Distrikten von den Taliban kontrolliert. Militäroperationen gehören hier zum Alltag. Apache- und Blackhawk-Hubschrauber fliegen regelmäßig über Paktia und benutzen den Militärflughafen in der Provinzhauptstadt Gardez. Ähnlich ist auch die Lage in Khost, das an Pakistan angrenzt. Vor allem entlang der Grenze nahe der Unruheregion Waziristan finden sowohl Luftangriffe der NATO als auch CIA-Drohnenangriffe statt.

Als Abdul Hadi die Tür aufmacht, wirkt er schüchtern. Er serviert Tee und wundert sich, dass jemand ihn nur aufgesucht hat, um mit ihm über seinen Vater, Hajji Delay, zu sprechen. Delay wurde im Mai 2014 durch einen US-amerikanischen Drohnenangriff getötet. Eine Hellfire-Rakete traf den Wagen Delays, der vollkommen ausbrannte - Delay und die vier weiteren Insassen, allesamt Zivilisten, waren sofort tot. Wie viele Afghan_innen, die sich ein Auto - zumeist einen Toyota Corolla älteren Jahrgangs - leisten konnten, verdiente der 45-jährige Hajji Delay seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer. An jenem Tag war er mit seinen Fahrgästen auf dem Weg in den naheliegenden Distrikt Ali Sher.

Abdul Hadi erinnert sich, wie sein Vater früh am Morgen das Haus verließ. Er wollte seinem Sohn Bescheid geben, sobald er in Ali Sher angekommen ist. Dann hörte er von einem Luftangriff des US-Militärs, der gegen acht Uhr morgens geschehen sein soll - rund eine Stunde nachdem Hajji Delay das Haus verlassen hatte. Abdul Hadi ahnte Schreckliches, denn der Angriff hatte sich auf der Straße nach Ali Sher ereignet. Irgendwann klingelte sein Telefon. Ein Freund Abdul Hadis war am Hörer. »Ich habe gehört, dass dein Vater getötet wurde. Es tut mir schrecklich leid«, teilte dieser ihm mit. Durch diesen Anruf erfuhr Abdul Hadi, dass Hajji Delays Auto von der Drohne getroffen worden war.

Kurz nach dieser erschütternden Nachricht begab er sich mit einigen Verwandten nach Ali Sher, um seinen Vater zu bergen. »Das Auto war vollkommen ausgebrannt. Die Gesichter der Leichen waren fast nicht mehr erkennbar«, erinnert sich Abdul Hadi. Die Überreste von Hajji Delay wurden in ein Tuch gelegt und schnell beerdigt. Dasselbe geschah auch mit den Leichenteilen der anderen Toten, deren Familien ebenso hilflos waren wie jene Abdul Hadis. Warum wurde ausgerechnet Hajji Delays Wagen zum Ziel des US-Militärs? Warum mussten all diese unschuldigen Menschen sterben? Es waren diese Fragen, die aufkamen und die allen durch den Kopf gingen. Doch Abdul Hadi befürchtete, dass sie unbeantwortet bleiben würden - und er behielt mit dieser Annahme recht.

Drohnen und Radikalisierung gehen Hand in Hand

Die Folgen des Drohnenkrieges der Vereinigten Staaten sind in jenen Gebieten, die unter den Angriffen seit Jahren leiden, unschwer zu erkennen. In allen Ländern, in denen die Drohnenangriffe der CIA oder des US-Militärs stattfinden, gab es vor dem Krieg nur eine sehr geringe und überschaubare Anzahl militanter Aktivitäten. Bevor die CIA anfing, mittels Drohnen Menschen in Waziristan zu jagen, gab es praktisch keine pakistanischen Talibangruppierungen. Erst mit Beginn des Krieges fiel es Extremisten leichter, junge Männer für ihren Kampf zu rekrutieren. Durch Drohnenangriffe wurde das besonders deutlich. Gegenüber der in Lahore ansässigen Tageszeitung Daily Times meinte der pakistanische Talibanführer Baitullah Mehsud unter anderem Folgendes: »Ich verbrachte drei Monate, um zu rekrutieren, und bekam lediglich zehn bis fünfzehn Männer. Ein US-Angriff reichte aus und mir schlossen sich 150 Freiwillige an.«

Der Angriff, den Mehsud ansprach, war ein Drohnenangriff der CIA, der Dutzende von Zivilist_innen, darunter zahlreiche Kinder, tötete. Derartige Folgen waren auch in Jemen zu beobachten, wo mit der Anzahl der Drohnenangriffe auch die Mitgliederzahl von al-Qaida stieg. Auch in Afghanistan, wo Drohnenangriffe Teil des gesamten Kriegskomplexes sind, wurden die Taliban im Jahr 2001 mit dem ersten Drohnenangriff auf den ehemaligen Anführer der Taliban, Mullah Omar, nicht besiegt. Stattdessen wurde die Gruppierung über die Kriegsjahre hinweg nur stärker. Laut US-Regierung befinden sich heute, im Jahr 2017, rund 40 Prozent Afghanistans entweder unter Kontrolle der Taliban oder sind kurz davor, in die Hände der Aufständischen zu fallen.

Die Lage vor Ort macht deutlich, dass die militante Gruppierung von Washingtons Drohnenkrieg profitiert und nach den vielen Anschlägen mehr und mehr Männer findet, die sich rekrutieren lassen. »Nach jedem Angriff, der Zivilist_innen tötet, schließen sich uns Menschen an und wollen uns auf irgendeine Art und Weise unterstützen«, sagt auch Esmatullah Bashari, ein mit den Taliban verbündeter Kommandant aus dem Distrikt Khogyani in der ostafghanischen Provinz Nangarhar. Diese Unterstützung kann verschiedenste Formen annehmen. Es gibt nicht nur Menschen, die zur Waffe greifen, sondern auch jene, die den Militanten Unterschlupf gewähren und sie bewirten.

Gewalt und Gegengewalt

Die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) sprach 2015 von einer Million Toten durch zehn Jahre Irakkrieg, 220.000 Toten in Afghanistan sowie 80.000 weiteren Todesopfern in Pakistan. Diese Zahlen machen deutlich, dass die illegalen Angriffskriege viel mehr Opfer forderten, als es in der Öffentlichkeit weithin angenommen wird. Hinzu kommt, dass sie sich in den letzten Jahren höchstwahrscheinlich massiv erhöht haben. Auch die IPPNW geht davon aus, dass ein derartiges Ausmaß menschlicher Zerstörung weltweit Hass schüre und unter anderem den Aufstieg von Gruppierungen wie den IS erst ermöglicht habe. Aus den hiesigen Medien erfährt man von diesen Tatsachen eher selten. Dasselbe betrifft im Übrigen auch zahlreiche vermeintliche Islam- und Nahost-Experten, die am Fließband Bücher zu irgendwelchen Kalifen und heiligen Kriegen produzieren, um die weit verbreitete Islamophobie in Industrienationen zu Geld zu machen. Dabei werden die schrecklichen Massenmorde, die westliche Politiker mit zu verantworten haben, wenig bis gar nicht hinterfragt oder zur Kenntnis genommen. Stattdessen sucht man die Fehler lieber im Koran.

Fakt ist: Der »Krieg gegen den Terror« und der damit verbundene Drohnenkrieg der CIA und des US-Militärs hat mehr Menschen den Tod gebracht als jeder Terroranschlag, der in den letzten Jahrzehnten auf westlichem Boden verübt wurde. Bush, Blair, Obama und Trump haben bereits jetzt mehr Menschen auf dem Gewissen, als der IS jemals haben wird. Ohne die Gräueltaten des IS zu relativieren, muss man klar feststellen, dass nicht etwa ein religiös motivierter Terror, sondern die Kriegsmaschinerie westlicher Industrienationen die Hauptverantwortung für das Leid der Menschen in der Region tragen. »Es ist auch unsere Schuld«, schrieb der ehemalige britische Vizepremierminister John Prescott. Ein Satz, den man von den Regierenden in Washington, London oder Berlin noch lange nicht hören wird.

Seit der Amtsübernahme Donald Trumps wurden bereits über 2.000 Zivilist_innen allein im Irak und in Syrien durch US-Luftangriffe getötet. Im Juli 2017 fanden mindestens 358 US-Luftschläge in Afghanistan statt, die Hälfte davon traf die Provinz Nangarhar, wo laut UN-Bericht von Juli 2017 mehr Zivilist_innen durch Luft- und Drohnenangriffe getötet wurde als anderswo in Afghanistan. Gewalt erzeugt stets Gegengewalt. Die gegenwärtige Gewaltspirale, die vom Weißen Haus, der CIA und dem Pentagon auf mehreren Kontinenten in Gang gebracht wurde, ist allerdings kaum noch kontrollierbar.

Emran Feroz ist Austro-Afghane, freier Journalist und Autor. Er ist Gründer von Drone Memorial, einer virtuellen Gedenkstätte für zivile Drohnenopfer.

Tod per Knopfdruck

von Emran Feroz erschien im Oktober im Westend Verlag. Das Buch klärt über die Hintergründe des von den USA geführten Drohnenkriegs auf. Nicht nur die zivilen Opfer in Afghanistan, im Irak, in Syrien und in Pakistan stehen im Zentrum, sondern auch Widerstand und Radikalisierung als Konsequenzen des Kriegs, über den hierzulande wenig gesprochen wird.