Import-Export mit Rheinmetall
Deutschland Der größte deutsche Waffenproduzent baut Rüstungsindustrien in der ganzen Welt auf
Von Barbara Happe
Krisenzeiten sind Boomzeiten für die Rüstungsindustrie. Auch der größte in Deutschland ansässige Rüstungskonzern freut sich über prall gefüllte Auftragsbücher. Rheinmetall profitiert von steigenden staatlichen Rüstungsbudgets im In- und Ausland. Konzernchef Armin Papperger verspricht zweistellige Wachstumsraten und auch an der Börse startet der deutsche Rüstungsprimus durch: Binnen Zwölf-Monats-Frist ist die Rheinmetall-Aktie um 54 Prozent gestiegen und liegt jetzt bei einem Rekordwert von über 100 Euro.
Präzedenzfall: Rheinmetalls Exporte nach Katar
Die Kehrseite dieses »Rüstungswunders« bei Rheinmetall und Co. wird dabei ausgeblendet: stetig steigende Zahlen von Kriegsflüchtlingen sowie nicht enden wollende Konflikte, vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Mit dabei sind deutsche Waffen, die auf ganz unterschiedlichen Wegen in die Krisenregionen dieser Welt gelangen.
Nach den USA und Russland ist Deutschland drittgrößte Verkäufer, weltweit werden 135 Länder von Deutschland aus beliefert. Die wichtigsten Abnehmer sind derzeit unter anderem Algerien und Katar, wo Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Das autokratisch regierte Algerien hat 2014 fast 1.000 Fuchs-Spürpanzer geordert, die aktuell vor Ort hergestellt werden. In Katar brach Rheinmetall zusammen mit dem Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann ein jahrzehntealtes Tabu der deutschen Rüstungsexportpolitik: Das Land ist das erste auf der Arabischen Halbinsel, das mit Genehmigung der Bundesregierung moderne Kampfpanzer des Typs Leopard 2 und Panzerhaubitzen aus Deutschland erhält. Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann hoffen ferner darauf, unter Verweis auf diesen Präzedenzfall künftig die Genehmigung für weitere Panzergeschäfte auf der Arabischen Halbinsel durchsetzen zu können.
Auch für Saudi-Arabien wurden im dritten Quartal 2017 Ausfuhren in Höhe von knapp 148 Millionen Euro genehmigt - mehr als dreimal so viel wie im Jahr zuvor. Da derartige Deals in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder für große Kritik sorgen, wickelt Rheinmetall seine Geschäfte mit Saudi-Arabien inzwischen auch häufig über Tochterunternehmen im Ausland ab. Dabei eskaliert der Machtkampf um die regionale Vorherrschaft zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zunehmend und führt zu immer mehr bewaffneten Konflikten in der Region wie zum Beispiel im Jemen, wo Saudi-Arabien einer der Hauptaggressore_innen ist. Auch aus Sicht der UN trägt die Golfallianz unter Führung von Saudi-Arabien einen großen Teil der Verantwortung für die »katastrophale humanitäre Situation« im Jemen. Mindestens 10.000 Zivilist_innen starben, 19 Millionen Jemenit_innen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, von der jedoch nicht genug eintrifft.
»Dass Deutschland zu den größten Waffenexporteuren weltweit gehört, ist eine Schande«, merkte Außenminister Gabriel zu Beginn seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister an. Grundsätzlich an der Situation geändert hat er in seiner Amtszeit nichts. Die Zahl menschenrechtlich skandalöser Ausfuhrgenehmigungen in Kriegs- und Krisengebiete blieb anhaltend hoch. Eine Vielzahl von Friedensinitiativen und NGOs plädiert daher für ein verbindliches Rüstungsexportgesetz, um zu verhindern, dass Rüstungsgüter in Kriegsgebiete gelangen oder an Staaten geliefert werden, in denen Menschenrechte systematisch verletzt werden.
Geschäfte über Tochterfirmen und Joint Ventures
Vorschläge für Gesetzesverschärfungen beobachten die hiesigen Rüstungskonzerne mit Sorge. Um Restriktionen abzuwehren, drohen sie immer wieder wortgewaltig mit Produktionsverlagerungen ins Ausland. Zugleich nutzen sie die Lücken im deutschen Exportrecht schamlos aus, um sich von deutschen Kontrollen unabhängig zu machen. Über seine Tochterfirmen und Joint Ventures in Italien und Südafrika beliefert Rheinmetall die Region im Mittleren und Nahen Osten kontinuierlich mit Munition. Da diese vor Ort in Italien oder Südafrika entwickelt wird und ohne Technologietransfer aus Deutschland auskommt, sind diese Aktivitäten nicht genehmigungspflichtig. So können über diese Tochterfirmen und Gemeinschaftsunternehmen auch problemlos Geschäfte getätigt werden, die von deutscher Seite aus aktuell nicht oder nur schwer genehmigt würden.
Die Bundesregierung kennt diese Umgehungsstrategien, sieht jedoch keinen Handlungsbedarf. Dabei könnte durch rechtliche Verschärfungen konkret verhindert werden, dass die deutsche Rüstungsindustrie das Gebot, nicht in Kriegsgebiete zu exportieren, unterläuft. Doch die aktuelle Bundesregierung will ihre Rüstungsindustrie nicht regulieren: Rheinmetall wurde trotz seiner fragwürdigen Aktivitäten in der MENA-Region im Verlauf des laufenden Jahres mit mehreren Millionenaufträgen für die Bundeswehr versorgt.
Mit Duldung der Bundesregierung setzt Rheinmetall ganz offensiv auf »Internationalisierung«. Die Geschäfte mit »wachstumsträchtigen Märkten außerhalb Europas« aufzubauen, bedeutet für den Konzern vor allem, sich am Aufbau von Rüstungsindustrien in Krisen- und Kriegsgebieten zu beteiligen und mit Regimen zu kooperieren, die massiv in Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind. So verweist Rheinmetall-Denel-Südafrika stolz darauf, bereits knapp 40 Munitionsabfüllanlagen und -fabriken in aller Welt (mit) gebaut zu haben, darunter in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien.
Eine türkische Panzerfabrik liegt vorerst auf Eis
Rheinmetalls Pläne, in der Türkei eine Panzerfabrik gemeinsam mit Partner_innen aufzubauen, gerieten aufgrund der politischen Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei in den letzten Monaten massiv in die Kritik. Aufgrund der angespannten Lage stellt die Bundesregierung momentan Rüstungsexporte in die Türkei auf den Prüfstand, obwohl das Land NATO-Mitglied ist. Einige Exportanträge wurden bereits abgelehnt, viele weitere liegen auf Eis. Rheinmetall trieb seine Pläne zum Bau einer Panzerfabrik trotzdem voran. Denn im Gegensatz zu einzelnen Rüstungsexporten ist der Bau einer ganzen Rüstungsfabrik, sofern man ohne deutsche Technologierechte wie Komponentenlieferungen, Baupläne oder Konstruktionsdaten auskommt, nicht genehmigungspflichtig.
Noch auf der Hauptversammlung von Rheinmetall im Mai stellte Vorstandschef Papperger fest, dass man die Geschäftsaktivitäten in der Türkei nicht ohne Weiteres auf Spiel setzen werde. Ende Oktober dieses Jahres zeigte er sich jedoch defensiver. Nach langem Schweigen um die geplante Panzerfabrik in der Türkei lassen seine Aussagen nunmehr vermuten, dass die Panzerfabrik für kurzfristige Aufträge noch auf Zulieferungen aus Deutschland angewiesen wäre, diese jedoch zeitnah nicht zu erwarten sind. Trotzdem mag er sich noch nicht so recht von dem Projekt verabschieden. Die Ingenieur_innen bleiben jedenfalls erstmal vor Ort. Pappergers Äußerung, »dass politische Einschätzungen sich schneller ändern als Industriestrategien«, lässt vermuten, dass er hofft, das Projekt bald wiederbeleben zu können. Schließlich sei die Türkei NATO-Partner und Schutzschild des Bündnisses im Südosten.
Die Bundesregierung kündigt einerseits verbal einen harten Kurs gegenüber Ländern wie der Türkei an, sieht andererseits jedoch stillschweigend dabei zu, wie deutsche Rüstungskonzerne Despoten aufrüsten und mit einer eigenen Rüstungsindustrie ausstatten. Sie könnte die Schlupflöcher in der Exportkontrolle umfassend schließen, Exportregeln verschärfen, den Einhalt überwachen und die eigene Rüstungsindustrie effektiv kontrollieren. Tut sie dies nicht, werden die Waffenexporte von heute die Krisen der Welt heute und in Zukunft weiter verschärfen.
Barbara Happe ist Campaignerin bei der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald und Vorstand beim Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.
Rheinmetalls Panzerdeal mit der Türkei
Im März 2017 enthüllte die Rechercheplattform Correctiv gemeinsam mit dem Online-Magazin Özgürüz und dem Stern Details zu einem geplanten Großprojekt von Rheinmetall: Weil die Bundesregierung den Export von Panzern in die Türkei nicht genehmigen würde, wolle Rheinmetall in der Türkei mit Partnern eine Fabrik zur Produktion von 1.000 türkischen Kampfpanzern aufbauen. Bereits im November 2015 waren drei Rheinmetall-Manager und ihre Geschäftspartner beim türkischen Präsidenten Erdogan im Y?ld?z-Palast in Istanbul zu Gast. Rheinmetall hält 40 Prozent der Anteile an der neuen türkischen Firma RBSS, einem Gemeinschaftsunternehmen mit Partnern aus der Türkei und Malaysia, die über enge persönliche und politische Beziehungen zum türkischen Präsidenten und dessen Familie verfügen. Von Mai bis September 2016 arbeitete die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule in Aachen an einer Machbarkeitsstudie für das Werk in der Türkei - obwohl sich die Hochschule mit einer Zivilklausel verpflichtet hat, keine Rüstungsforschung zu betreiben. Als sich herausgestellt habe, dass es auch um den Bau von Panzern ging, sei der Auftrag frühzeitig beendet worden. Während Rheinmetall-Vorstand Andreas Schwer angab, die Bundesregierung über die Panzerfabrik informiert zu haben, beteuerte das Wirtschaftsministerium, erst aus der Presse davon erfahren zu haben. Der Rüstungsbereich bei Rheinmetall soll Konzernchef Papperger zufolge in den nächsten fünf Jahren jährlich um etwa zehn Prozent wachsen.