Beziehungsstatus kompliziert
Diskussion In »Beziehungsweise Revolution« bietet Bini Adamczak einen Begriff für die revolutionäre Praxis an
Von Matthias Ubl
Ein neuer Begriff eröffnet immer eine neue Art der Wahrnehmung, neue Wege des Denkens - und schafft neue Probleme. Bini Adamczak hat in ihrem im Oktober erschienenen Buch »Beziehungsweise Revolution« einen solchen Begriff erarbeitet: den der Beziehungsweise. Angesiedelt zwischen Produktions- und Reproduktionsphäre, Revolution und Subversion, Staat und Subjekt oder eben zwischen 1917 und 1968 zeigt er einen Weg aus den Sackgassen und Widersprüchen emanzipatorischer Theorien und eröffnet die Möglichkeit revolutionärer Praxis für das 21. Jahrhundert. Was könnte notwendiger sein angesichts der Verheerungen des katastrophischen Kapitalismus? Der Text macht Hoffnung, denn nach der Lektüre scheint einem die Zukunft weniger verstellt.
Bini Adamczak geht davon aus, dass sich Revolutionen nicht einseitig, entweder als gewaltsame Machtübernahme der Staatsgewalt wie 1917 durch die Bolschewiki, oder, wie im Zuge von 1968, als Subversion der Subjekte und deren Nahbeziehungen denken lassen. Vielmehr will sie beide Revolutionswellen und deren Effekte in eine wechselseitige Kritik setzen. Zentral ist dabei die Kategorie des Geschlechts. Der Fokus liegt einerseits auf dem Begehren des Subjekts und seiner künstlichen Verarmung durch starre Geschlechterkonzeptionen, andererseits auf Geschlecht als »Atmosphäre oder Ladung, die Körper wie Texte, Räume wie Dinge, Institutionen wie Sphären durchläuft, auflädt oder umschließt.«
Die Kategorie des Geschlechts ist für Adamczak deshalb so zentral, weil sich in ihr die Verhältnisse von Privatheit und Öffentlichkeit, von Individuum und Gesellschaft unmittelbar ausdrücken und zugleich maskieren. Geschlecht und die daraus resultierenden Liebes- und Freundschaftsbeziehungen - das »Private« - ist nicht zu trennen von der Struktur kapitalistischer Warengesellschaften, also der Trennung in eine Produktions- und eine Reproduktionssphäre, auch wenn die Geschlechterbeziehungen durch diese Sphären nicht erschöpfend bestimmbar sind. (1)
Die Bolschewiki, das zeigt Adamczak bei Alexandra Kollontai, Lenin und anderen, lösten die Geschlechterproblematik vor allem durch eine massive Abwertung weiblich konnotierter Affekte und Verhaltensweisen. Härte, Disziplin, Tapferkeit usw. (nicht Nachsicht und Zärtlichkeit) sind die Tugenden der russischen Revolution. »Männlich« ist auch die einseitige Konzentration auf die Machtübernahme und die daraus folgende Herrschaft von oben. Adamczak zieht einen folgenschweren Schluss: Der Terror und der Verrat an der Revolution müssen vor diesem Hintergrund analysiert werden.
Die Revolutionär_innen von 1968 setzten demgegenüber bei den zwischenmenschlichen Beziehungen an. Sie gingen davon aus, die Gesellschaft durch die Subversion der »privaten Sphäre« verändern zu können. Die Gründung von Kommunen, das Experimentieren mit neuen Liebesmodellen und die Ablehnung der bürgerlichen Kleinfamilie fallen in diese Epoche.
Wie können wir uns nun aus dieser Gegenüberstellung - staatliche Machtübernahme vs. Subversion auf der Ebene der Subjekte - lösen? Wie können wir die scheinbar diametral entgegenstehenden »Modi der Revolution« verbinden? Adamczak versteht Revolution als langwierigen, komplexen Prozess, der den »Aufstand« oder »das Ereignis« aus Vergangenheit und Zukunft beidseitig umschließt. Die Revolution muss vor- und nachbereitet werden. Der Prozess der Revolution kennt dabei nicht nur »die Partei« oder einzelne mächtige Kräfte, sondern eine Vielzahl von Akteuren, die sich teilweise in völlig missverständlicher Weise aufeinander beziehen. Heute ist dabei an verschiedene Organisationsmodelle zu denken: von der Basisgewerkschaft oder Kommune über die Uni- oder postautonomen Gruppen bis zum Hausprojekt. Diese müssten sich jedoch assoziieren und neue Beziehungsweisen entwickeln, die die Trennung von privat und öffentlich, Staat und Individuum usw. unterlaufen und damit potenziell sprengen. Die radikale Linke muss - das betont Adamczak - in den Modus der »synaptischen Konstruktion« wechseln. In diesem geht es darum, solidarische Strukturen aufzubauen, die der Vereinzelung entgegenwirken und in ihrer Breite gleichzeitig die kapitalistische Struktur der Gesellschaft insgesamt in Frage stellen. Gleichzeitig, das ist die anarchistische Lektion, müssen diese Strukturen Werbung für eine andere Gesellschaft sein. Im Mittelpunkt dieser Konstruktionen steht die Frage, was auf der Seite des Kommunismus an die Stelle des Privateigentums tritt, das die kapitalistischen Gesellschaften strukturiert.
Es ist schon merkwürdig. Allen ist klar, dass wir die Revolution brauchen, aber niemand denkt ernsthaft darüber nach, wie eine postkapitalistische Gesellschaft aussehen kann. Vielleicht lässt sich mit Adamczak also Marx' Diktum umformulieren: Der Kommunismus ist die wirkliche Konstruktion neuer Beziehungsweisen, die die theoretischen Entwürfe eines postrevolutionären Zustands aufhebt.
Matthias Ubl ist Mitherausgeber von HUch - kritische Studierendenzeitschrift an der Humboldt Universität Berlin. Er ist in postautonomen Zusammenhängen aktiv.
Anmerkung:
1) Wer hierzu mehr erfahren will, sollte sich auf YouTube den Vortrag »Liebe im Kapitalismus« von Bini Adamczak anhören.
ak Aboprämie
In »Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende« (Suhrkamp Verlag, 320 Seiten, 18 Euro) setzt Bini Adamczak die Revolutionen von 1917 und 1968 in ein Verhältnis wechselseitiger Kritik. Im Mittelpunkt steht die Analyse der Geschlechterverhältnisse und die Frage, wie diese die Konzepte von Privatheit und Öffentlichkeit in diesen Revolutionen strukturieren. Beim Abschluss eines ak-Jahresabos bieten wir das Buch als Werbegeschenk an. Siehe unten oder unter www.akweb.de/service.