Allerseits rassistisch
Hetzen & Jammern Ein Kommentar zu deutschen Zuständen vor und nach dem Wahlerfolg der AfD
Von Azaadeh Arzu
Einige Wochen vor der Bundestagswahl saß ich nachmittags im Bus und hörte Musik. Der Bus hielt länger als gewöhnlich an einer Haltestelle vor einer der vielen Geflüchtetenunterkünfte im Hamburger Osten. Erstaunt über die Pause blickte ich hoch und drehte die Musik leiser, sodass ich gerade noch hörte, wie ein weißer, älterer Fahrgast in Lederweste einen Schwarzen Mitfahrer mit dem N-Wort beleidigte. Ich ging dazwischen und der Rassist beruhigte sich vorerst. Die Person, die beleidigt wurde, stieg aus. Einige Stationen später pöbelte der Hetzer jedoch weiter, dieses Mal richtete er sich an mich. Kaum sage man das N-Wort, schon werde man als Rassist bezeichnet.
Diese Situation ist leider kein ungewöhnliches Beispiel für den alltäglichen Rassismus in Deutschland. Sie ist Symptom eines nach rechts gerückten Diskurses, der den ohnehin vorhandenen Alltagsrassismus befeuert. Sahra Wagenknecht schwadronierte nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 im NPD-Sprech von »verwirktem Gastrecht« und führte so das Asylrecht ad absurdum. In Talkshows sitzen schon lange Vertreter_innen der AfD und dürfen, meist ohne nhaltlichen Widerspruch, ihre rassistischen Ansichten verbreiten.
Für viele von uns war der Wahlerfolg der AfD keine große Überraschung sondern zeichnete sich bereits deutlich ab. SPD, CDU und Grüne greifen seit Jahren rassistische Forderungen auf, um Wähler_innen zu gewinnen, statt sich entschieden gegen die fast täglich stattfindenen Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte zu positionieren. Selbst die außerparlamentarische Linke schafft es kaum noch bei Asylrechtsverschärfungen und Massenabschiebungen Menschen zum Protest zu bringen. Diejenigen von uns, die diese aktuellen Entwicklungen verfolgen, verbindet eine Sorge: Wie weit wird der traurige Rest des Asylrechts noch verschärft?
Mir selbst wurde durch meinen Vater die doppelte Staatsbürgerschaft vererbt, auf dem Papier bin ich sowohl deutsch als auch iranisch. Ich bin in Hamburg geboren, aufgewachsen, hab meine Ausbildung hier gemacht. Die iranische Staatsbürgerschaft kann ich nach iranischem Recht nicht ablegen. Das lässt dem deutschen Staat den Spielraum mir die deutsche Staatsbürgerschaft bei »schwerwiegenden Straftaten« zu entziehen. Was eine schwerwiegende Straftat ist, wird nicht näher definiert und ich bin auf die Willkür eines Rechtsstaates angewiesen, der den achtzehnjährigen Fabio V. fast fünf Monate gefangen hält, weil er an einer G20-Gegendemonstration teilgenommen hat. Länger als den Mann, der für den NSU die Mordwaffe heranschaffte mit der später mindestens neun Migrant_innen und eine Polizistin ermordet wurden. Auch die Einstellung des Verfahrens gegen die Mörder des 2005 in Dessau verbrannten Oury Jalloh spricht eine deutliche Sprache: Wenn man ihn lange genug aussitzt, kommt man in Deutschland mit einem rassistischen Mord weg. Besonders wenn man eine Polizeiuniform trägt.
Durch die Zuwanderung von Muslim_a wird auch in der radikalen Linken hierzulande vermehrt über den Islam gestritten und die Grenze zwischen Religionskritik und antimuslimischem Rassismus verschwimmt immer mehr. Was vor Jahren als unsagbar galt, ist jetzt in Teilen der Szene zu einer erschreckenden Normalität geworden, in der unter dem Deckmantel der Religionskritik autoritäre Unterdrückung einiger Religionen gefordert wird. Gleichzeitig wird eine Schutzbedürftigkeit des »Ausländers« beschworen, dem sich der deutsche Michel annehmen muss. Beides nimmt uns die Mündigkeit selbst über unser Leben zu entscheiden.
Die Politisierung Jugendlicher darf nicht dem Staat überlassen werden, in dem mindestens 45,5 Prozent Rechte sitzen und nur lediglich acht Prozent der Abgeordneten eine Einwanderungsgeschichte haben. Unsere Aufgabe als Linke ist es, sich mit Betroffenen von Rassismus zu solidarisieren. Unsere Ideen nicht nur unter uns zu diskutieren, sondern auch auf's Land rauszufahren und Genoss_innen und selbstorganisierte Schwarze und migrantische Gruppen zu unterstützen. Wir sollten mit Geflüchteten arbeiten statt für sie. Unsere Jugendarbeit beschränkte sich die letzten Jahre auf das Veranstalten von Technoparties, doch vielleicht ist die Zeit des reinen Feierns vorbei. Wir sollten wieder anfangen mit Jugendlichen über Ideale zu reden ohne das nächstbeste Marx- oder Adorno-Zitat rauszuschmettern. Noch können wir den Diskurs mitgestalten - warten wir nicht darauf bis wir es nicht mehr können. Das Überleben vieler ist davon abhängig.
Den Rassisten aus dem Bus treffe ich mehrmals die Woche. Seit der Wahl trägt er einen AfD-Button und ein eisernes Kreuz an seiner Lederweste.
Azaadeh Arzu ist Person of Colour, 22 Jahre alt und verfasst auf www.keinvergessen.com eine Chronik über Menschen, die auf der Flucht gestorben sind. Außerdem bloggt sie auf www.schwarzerabriss.wordpress.com.