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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 633 / 12.12.2017

Nationalismus wird Mainstream

International In Polen war der diesjährige »Unabhängigkeitsmarsch« ein Kristallisationspunkt rechter Mobilisierungen

Von Michalina Golinczak

Unter dem Motto »Wir wollen Gott!« fand am 11. November in Warschau der diesjährige sogenannte Unabhängigkeitsmarsch statt - laut Polizeiangaben mit 60.000 Teilnehmenden. An diesem Nationalfeiertag wird die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens 1918 begangen. Nationalistische und rassistische Parolen und Symbole waren wie in den letzten Jahren ein fester Bestandteil der Demonstration. Auf Einladung der Organisatoren sprach unter anderem der Neofaschist Roberto Fiore von der italienischen Forza Nuova. Innenminister Mariusz Blaszczak von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nannte den Marsch »einen schönen Anblick« und lobte die »sehr gute Atmosphäre«.

Autonome Nationalisten und die Sorge um das Image

Der »Unabhängigkeitsmarsch« in seiner heutigen Form wurde 2010 von der Allpolnischen Jugend (MW) und dem Nationalradikalen Lager (ONR) initiiert. Beide Organisationen knüpfen an Traditionen der gleichnamigen nationalistischen und antisemitischen Gruppierungen der Zwischenkriegszeit an. 2012 gründete sich im Anschluss an den »Unabhängigkeitsmarsch« die gesamtpolnische Nationale Bewegung (Ruch Narodowy), 2015 wurde sie als politische Partei registriert. Ihr Ziel ist es, »die Republik des Runden Tisches zu beseitigen«. (Bei Gesprächen am Runden Tisch kamen 1989 Vertreter_innen der regierenden Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und der gesellschaftlichen Opposition zusammen und leiteten den Übergang zum Kapitalismus und zur liberalen Demokratie ein; aus Sicht der Nationalen Bewegung wird die polnische Politik aber immer noch von Kommunist_innen gelenkt.) Nun gelte es, »eine politische Kraft zu bilden, vor der sich linke Zecken, Liberale und Schwuchteln fürchten«, so der Vorsitzende Robert Winnicki.

Dank der Allianz mit der rechten Bewegung Kukiz'15 brachte die Nationale Bewegung bei der letzten Parlamentswahl fünf Abgeordnete in den Sejm, eine der beiden Kammern der Polnischen Nationalversammlung. Als Partei agiert auch die faschistische Nationale Wiedergeburt Polens (NOP), die in den vergangenen Jahren aber von der Nationalen Bewegung zusehends verdrängt wurde und derzeit eher lokal aktiv ist.

Die Organisator_innen des »Unabhängigkeitsmarsches« sind um ein bürgerliches Image bemüht. So entließen sie am Tag nach dem Marsch den Pressesprecher der Allpolnischen Jugend wegen seiner rassistischen Aussagen. Sie distanzierten sich auch von den Autonomen Nationalisten (AN), die zum ersten Mal einen schwarzen Block auf der Demonstration bildeten. Mit Transparenten wie »Europa wird weiß oder unbewohnt« sorgten sie auch international für Empörung. Dies ermöglichte es den staatlichen Medien und den Veranstalte r_innen, den insgesamt faschistisch geprägten Unabhängigkeitsmarsch als ein patriotisches Familienfest darzustellen, das lediglich von ein paar Hundert gewalttätigen Chaoten gestört worden sei.

Die Autonomen Nationalisten sind seit 2010 in Polen aktiv, spielen bisher aber noch eine marginale Rolle. »Die übrige rechtsradikale Szene betrachten sie als zu hierarchisch, zu sehr Mainstream und zu systemkonform. Sie entwickeln sich dynamisch, auch durch die Integration neuer Elemente in Ideologie und Auftreten wie die Propagierung von Sport und einem gesunden Lebensstil ohne Drogen und Alkohol, Graffiti, Hip-Hop und Umweltschutz«, sagt Grzegorz Piotrowski, der zu rechten Bewegungen in Osteuropa forscht. Die AN stehen zudem für Antikapitalismus, die Bewunderung klassisch linker Identifikationsfiguren wie Subcomandante Marcos sowie die Übernahme linker Themen. 1.-Mai-Demos gegen »Globalisierung, Ausbeutung und Multikulturalismus« oder für »Arbeit, Würde, Nationalismus« sind ein wichtiger Teil ihrer Aktivitäten.

Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hofiert die Nationalist_innen. Als im Juni Mitglieder der Allpolnischen Jugend einen Aktivisten der bürgerlichen Oppositionsbewegung Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) brutal zusammenschlugen, relativierte die Pressesprecherin der PiS den Vorfall: Er hätte zwar nicht passieren sollen, aber sie verstehe die Motive der Angreifer. Grzegorz Piotrowski bemerkt dazu: »Hinter dieser Politik steht die Hoffnung, die rechtsradikalen Bewegungen für die eigene Agenda nutzen zu können. Denn sie ermöglichen es der Regierungspartei, den gesellschaftlichen Diskurs weiter nach rechts zu verschieben und Meinungen Gehör zu verschaffen, die die PiS selbst nicht öffentlich äußern kann oder will.«

Zwischen Verharmlosung und Zustimmung

Vor diesem Hintergrund kann auch das Verhalten von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht verwundern. Laut Amnesty International wurde der diesjährige »Unabhängigkeitsmarsch« kaum von der Polizei begleitet. Diese ging weder gegen strafbare Parolen und Transparente vor noch reagierte sie auf verbale und körperliche Aggression gegen Antifaschist_innen. Bei der Gegendemonstration waren hingegen unverhältnismäßig viele Beamte im Einsatz, ohne individuelle Kennzeichnung, bewaffnet und oft vermummt. Diese Duldung rechtsradikaler Aktivitäten ist politisch gewollt: So wurde beispielsweise ein Handbuch, das Polizist_innen über faschistische Symbole aufklären und für rassistische Äußerungen sensibilisieren soll, von der PiS-Regierung abgeschafft. Die Staatsanwaltschaft ist ohnehin in der Regel nicht daran interessiert, gegen rassistisch motivierte Gewalttaten, deren Zahl in letzter Zeit alarmierend steigt, konsequent vorzugehen.

Auch für die neu geschaffenen Truppen der Territorialverteidigung (WOT) dienen Rechtsradikale als Reservoir. Die WOT sollen bis 2019 50.000 uniformierte und bewaffnete Freiwillige rekrutieren und offiziell für Krisenmaßnahmen sowie die Abwehr von Terrorismus und Sabotage eingesetzt werden. Dafür wenden sie sich in erster Linie an paramilitärische Freiwilligenverbände, die seit einigen Jahren einen regen Zulauf erleben und traditionell Menschen aus dem rechten Spektrum anziehen. Beunruhigend in diesem Kontext ist auch der Versuch, das Waffengesetz zu lockern. Ein entsprechender Gesetzesentwurf der Bewegung Kukiz'15, der auch bei der PiS auf Zustimmung stößt, wird derzeit weiter bearbeitet.

Feministinnen müssen Antifaschistinnen werden

Eine erstarkte extreme Rechten könnte in absehbarer Zeit auch für die Regierungspartei selbst zu einer ernstzunehmenden politischen Konkurrenz werden. Ihr Aufstieg kann jedoch nicht allein der PiS zugeschrieben werden. Auch die konservativ-liberale Vorgängerregierung unter Führung der Bürgerplattform (PO) hat mit ihrer Politik dazu beigetragen. Beispielsweise würdigte 2014 der Sejm mit großer Mehrheit den Nationalisten und Antisemiten Roman Dmowski (1864-1939) als »hervorragenden Staatsmann«. Auch die katholisch-nationalistischen und antikommunistischen Nationalen Streitkräfte, die in den 1940er Jahren Morde an der jüdischen Bevölkerung und anderen Minderheiten verübten, wurden bereits 2012 offiziell geehrt. Beide sind Vorbilder für Organisationen wie die Nationale Bewegung.

Direkt nach dem 11. November entstanden mehrere neue antifaschistische Gruppen, unter anderem an den Universitäten in Danzig und Warschau. Die diesjährige Demonstration gegen den »Unabhängigkeitsmarsch« war mit circa 2.500 Teilnehmenden zwar relativ klein, aber immerhin die größte seit 2011. Im Vorfeld gründete sich eine breite antifaschistische Koalition, an der neben linken und anarchistischen Gruppen auch feministische, gewerkschaftliche und bürgerliche Organisationen beteiligt sind. Klementyna Suchanow vom Warschauer Frauenstreik, einer Initiative gegen das Abtreibungsverbot, sagte der liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza: »Wir haben uns dazu entschlossen, der Koalition beizutreten, weil wir denken, dass es 2017 nicht reicht, Feministin zu sein. Frauen müssen Antifaschistinnen werden.«

Michalina Golinczak schrieb in ak 631 über den antikommunistischen Diskurs in Polen.