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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 633 / 12.12.2017

Weder Eifersuchtsdrama noch Familientragödie

Gender Die Bewegung gegen Feminizide wächst weltweit - in Deutschland erhalten geschlechtsspezifische Tötungen von Frauen kaum Aufmerksamkeit

Von Alexandra Wischnewski

»Ni una menos« (Keine einzige weniger) begann 2015 als ein Kollektiv von Journalist_innen, Künstler_innen und Aktivist_innen, das gegen Frauenmorde in Argentinien Hunderttausende Menschen mobilisierte. »Aber Ni una menos ist nicht nur ein Kollektiv, es ist ein Virus, der in die Gesellschaft eingedrungen ist, und sich immer weiter ausbreitet«, sagt die Aktivistin Verónica Gago angesichts der seither nicht abbrechenden Diskussionen, dezentralen Aktivitäten und der medialen Resonanz.

Die Zuspitzung patriarchaler Zustände

Grundlage für die Mobilisierung ist ein gemeinsames Verständnis davon, dass Feminizide - also die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts - die Zuspitzung patriarchaler Zustände sind, und damit Ausdruck einer strukturellen Schlechterstellung von Frauen weltweit. Unterstützt wird diese Auffassung durch zahlreiche Gutachten, denen zufolge das Risiko von Frauen, Gewalt ausgesetzt zu sein, besonders dann ansteigt, wenn traditionelle Geschlechterarrangements angegriffen werden, insbesondere während und nach einer Trennung und Scheidung. Forscherinnen sprechen deshalb von der Rache des beleidigten Machismus. Gewalt gegen Frauen durch Männer hat dann die Funktion, die Geschlechterhierarchie aufrechtzuerhalten oder wiederaufzurichten, was angesichts einer zunehmenden Prekarität von Männlichkeit immer schwieriger zu werden scheint.

»Ni una menos« geht es deshalb darum, die gesellschaftlichen Bedingungen anzugreifen, die Feminizide überhaupt erst ermöglichen. Darüber können sehr verschiedene Erfahrungen und Betroffenheiten, feministische Forderungen und Kämpfe miteinander in Beziehung gesetzt und gemeinsam sichtbarer gemacht werden. Es geht um sexualisierte Übergriffe ebenso wie um mangelnden Schutz durch den Staat, eine oftmals grassierende Straflosigkeit und um die ökonomische Schlechterstellung von Frauen.

Eine Zahl zu Feminiziden gibt es nicht

Dieser Virus des Frauenaufstandes hat inzwischen weltweit Nährboden gefunden. Am 8. März 2017 vernetzten sich Aktivistinnen gegen Feminizide aus 62 Ländern in einer Skype-Konferenz miteinander. Aus Deutschland war jedoch niemand dabei. Dabei hatte das Bundeskriminalamt nur wenige Monate zuvor erstmalig Zahlen zur Gewalt in Partnerschaften veröffentlicht, die alarmieren sollten. Dieser Statistik zufolge waren im Jahr 2015 131 Frauen von ihren (Ex-)Partnern getötet worden, bei 200 weiteren war die Tötung gescheitert, häufig durch reines Glück.

Für 2016 sprach das BKA von 149 vollendeten und 208 versuchten Tötungen in Partnerschaften, wobei sie sechs Fälle von Körperverletzungen mit Todesfolge und eine Brandstiftung mit Todesfolge beiseite ließen. Ebenso wenig darin eingeschlossen ist die Dunkelziffer an versuchten Tötungen, die laut Angaben von Beratungsstellen häufig nicht erkannt und erst recht nicht angezeigt werden. Weitere Fragen, die offen bleiben: Was ist mit den 69 Frauen, die von Familienangehörigen umgebracht worden sind? Was ist mit den 61 getöteten und 47 entkommenen Frauen, bei der die Beziehung zum Täter als ungeklärt gilt? Was ist mit Fällen von sogenanntem erweiterten Suizid, der Tötung von Frau und Kind durch einen Mann, der anschließend Selbstmord begeht? Was geschah den 65 Prozent der weiblichen Opfer von Tötungsdelikten, die nicht eindeutig in einer Beziehung stattfanden? Und wo finden sich die Tötungen von Trans*Frauen? Die Zahlen sagen es nicht, denn sie fragen überhaupt nicht nach Feminiziden, also der geschlechtsbezogenen Tötung. Das gesellschaftliche Bewusstsein dafür ist schlicht nicht vorhanden.

Ausschlaggebend dafür ist auch die mediale Berichterstattung, die - wenn überhaupt - meist von einem »Eifersuchtsdrama« oder einer »Familientragödie« erzählt. Es sind Begriffe, die das Bild von traurigen Schicksalsschlägen produzieren und die strukturellen Ursachen und das geschehene Verbrechen gänzlich entnennen. Nur im Falle von »Ehrenmord«, wenn also eine rassistische Zuschreibung hinzukommt, wird die Tötung selbst überhaupt sprachlich sichtbar. Frauenmorde werden nicht nur unsichtbar gemacht, sondern fast schon entschuldigt.

Das wird auch beim Blick ins Strafgesetzbuch deutlich. Der noch aus der NS-Zeit stammende Mordparagraf (§211 StGB) beinhaltet das Merkmal der niederen Beweggründe, das eine Gesamtwürdigung aller Umstände erfordert und damit eine normative Bewertung durch das Gericht. Bei Urteilen zur Tötung von Intimpartnerinnen scheint es einer Analyse von Ulrike Lembke zufolge »fast beliebig, ob in vergleichbaren Konstellationen die Motive des Täters als Absprechen des Lebensrechtes, rücksichtsloser Eigennutz, Frust, Bestrafungswille, Rachsucht oder umgekehrt als Sorge um Kindeswohl, Affekt, Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Trennungsschmerz bewertet werden«.

Im ersten Fall werden niedrige Beweggründe anerkannt, was Mord und damit zwingend lebenslange Haft bedeutet. Im zweiten Fall hingegen nicht, weshalb es sich dann um Totschlag mit Freiheitsentzug von fünf bis 15 Jahren handelt. Das deutsche Strafgesetzbuch erkennt sogar einen minder schweren Fall des Totschlages an, wenn der Täter »ohne eigene Schuld durch (...) schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt« (§213 StGB) worden ist. In heutigen Zeiten würden wir in einem solchen Fall eindeutig von Victim Blaming oder Opfer-Täter-Umkehr sprechen. Im Münchner Kommentar zum Strafgesetzbuch, mit dem Jurist_innen tagtäglich arbeiten, steht dazu bis heute, dass dies zur Anwendung gelangt, »wenn der aus der Ehe ausbrechende Partner die Aufnahme einer intimen Drittbeziehung mit abträglichen Anspielungen auf die sexuelle Potenz des Betrogenen rechtfertigt oder diesem gar den neuen Liebhaber präsentiert«. Inwieweit dies heute noch so in die richterliche Abwägung einfließt ist offen.

Eine erste Plattform in Deutschland: #keinemehr

Die öffentliche und rassistisch aufgeladene Debatte um »Ehrenmorde« hat dazu geführt, dass die Verwerflichkeit in diesen Fällen kaum noch angezweifelt wird und sie daher grundsätzlich das Mordmerkmal der niederen Beweggründe erfüllen. Eine Debatte über Feminizide und ihre gesellschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge steht in Deutschland aber noch aus. Anders als in Argentinien etwa braucht es hier noch eine breiter angelegte Bewusstseinsbildung vor feministischen Massenmobilisierungen.

Die neu gegründete Plattform #Keinemehr möchte genau hier ansetzen, Wissen sammeln, verbreiten und eine größere Auseinandersetzung anstoßen. Am 11. November fand deshalb dazu eine Tagung in Berlin statt, auf der zu den Feldern Statistik, Medien und Strafrecht vorhandene Expertise zusammengetragen und mögliche Forderungen und Instrumente diskutiert wurden. Dazu gehören etwa ein Leitfaden für sensible Berichterstattung und die Erstellung einer Bilderdatenbank, die Erhebung aussagekräftiger Statistiken und weitergehende Forschung zu Feminiziden, die Reform des Mordparagrafen und eine Sensibilisierung von juristischem Personal. Ein Blog soll die Informationen zusammenfassen und allen Interessierten und Multiplikator_innen als Datenbank und Anregung dienen.

#Keinemehr ist keine feste Organisation, sondern kann Bezugspunkt sein für eine Vielzahl feministischer Anklagen an die patriarchalen Bedingungen, die Feminizide ermöglichen. Am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, war die Forderung bereits in verschiedenen Städten in Deutschland zu hören. Es ist nur zu hoffen, dass auch sie sich wie ein Virus weiter ausbreiten wird.

Alexandra Wischnewski ist eine der Gründerinnen der neuen Initiative gegen Feminizide #Keinemehr. Sie arbeitet als Referentin für feministische Politik bei der Linksfraktion im Bundestag.