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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 634 / 23.1.2018

Eine Frage der Verantwortung

International Die japanische Regierung versucht seit Jahrzehnten, ehemalige »Trostfrauen« an ihrer Forderung nach Anerkennung und Entschädigung zu hindern

Von Nataly Jung-Hwa Han

Während des Asien-Pazifik-Krieges zwischen 1937 und 1945 entführte das japanische Militär systematisch schätzungsweise 200.000 Mädchen und Frauen und zwang sie zur Prostitution für seine Soldaten. Diese Frauen sollten Soldaten »Trost« spenden. An dem dafür geschaffenen Begriff »Ianfu«, japanisch für »Trostfrauen«, wird der Zweck des Systems sexueller Sklaverei deutlich: Durch die Errichtung militäreigener Bordelle sollte die Kampfkraft und Moral der Soldaten gesteigert werden. Spontane Massenvergewaltigungen vor Ort sollten verhindert und die Soldaten vor Infizierung mit Geschlechtskrankheiten geschützt werden. Trotz verteilter Kondome wurden zahlreiche Frauen von Geschlechtskrankheiten infiziert und auch schwanger sowie zur Abtreibung gezwungen. Viele wurden in der Folge unfruchtbar. Die meisten Frauen erzählen, dass sie vor ihrem »Einsatz« durch Schläge, Drohungen und Vergewaltigungen »gefügig« gemacht wurden. Bei Fluchtversuchen wurden sie gefoltert, manche gar getötet. Tag und Nacht mussten sie den Soldaten unter erschreckenden Bedingungen zur Verfügung stehen.

Nach der Kapitulation 1945 ließ das japanische Militär die Frauen mittellos zurück. Viele von ihnen blieben deshalb in den ehemals besetzten Gebieten. Die überlebenden Frauen trauten sich aufgrund von Scham- und Schuldgefühlen oft nicht einmal im engsten Familienkreis von ihren traumatischen Erlebnissen zu erzählen. Bis heute müssen sie mit dem Albtraum ihrer Jugend leben. (1)

Das Schweigen brechen

Die im Jahr 1925 geborene Professorin Yun Jeong-ok aus Südkorea begab sich zu Beginn der 1980er Jahre auf die Suche nach Frauen, die im Krieg zwangsverschleppt wurden. Sie erlebte als junge Schülerin selbst, wie zahlreiche Mädchen für die so genannte »Freiwillige Truppe«, bekannt als Jeongshindae, zwangsrekrutiert wurden. Diese Mädchen sollten unter anderem für Munitions- und Textilfabriken arbeiten. Als Yun nach Kriegsende von den heimgekehrten Soldaten und Zwangsarbeitern hörte, aber nicht von den zwangsrekrutierten Frauen, entschloss sie sich dazu, weitere Nachforschungen anzustellen, und entdeckte das Ausmaß der begangenen Kriegsverbrechen.

Im Jahr 1990 gründeten schließlich 37 Frauenorganisationen den Dachverband »The Korean Council for the Women Drafted for Military Sexual Slavery by Japan« (kurz The Korean Council), der den »Trostfrauen« helfen sollte. Nach einer Reihe von Aufrufen über Hörfunk und Fernsehen meldeten sich vereinzelt Überlebende bei einer Hotline. The Korean Council forderte 1991 die japanische Regierung auf, sich ihrer Geschichte zu stellen. Dieser Aufruf wurde aber zurückgewiesen. Am 14. August 1991 trat Frau Kim Hak-soon als erste der Zeitzeuginnen an die Öffentlichkeit. Ihrem mutigen Schritt folgend, meldeten sich bis heute mehrere Hundert Frauen aus zwölf weiteren Ländern: Burma, China, Ost-Timor, Indonesien, Japan, Malaysia, Niederlande, Nordkorea, Papua-Neuguinea, Philippinen, Südkorea, Taiwan und Thailand.

Im japanischen Tokio entdeckte Prof. Dr. Yoshimi Yoshiaki von der Chuo Universität im Jahr 1992 entscheidende Dokumente. Sie belegen, dass die japanische Armee maßgeblich die Rekrutierung von Frauen und die Errichtung von Militärbordellen durchgeführt hat. Diese Entdeckung führte dazu, dass 1993 die Kono-Erklärung verkündet wurde, das erste öffentliche Schuldeingeständnis des japanischen Staates.

Im Jahr 1994 wurde das Thema der »Trostfrauen« sogar in die Schulbücher aufgenommen. Diese Neuerung war jedoch nur von kurzer Dauer. Konservative Politiker_innen setzen durch, dass alle Hinweise auf dieses Kapitel der japanischen Kriegsgeschichte wieder entfernt wurden. Insgesamt gab es zwar eine Reihe öffentlicher Entschuldigungen gegenüber den Überlebenden, doch genauso oft wurde die Verantwortung Japans an den Kriegsverbrechen von führenden Politiker_innen »ungestraft« geleugnet.

1995 gründete Japan unter der Leitung des damaligen Premierministers Murayama Tomichi einen zum Teil staatlichen »Fonds für asiatische Frauen«. Die Zahlungen aus diesem Fonds waren aber nicht als »Entschädigungen«, sondern als »medizinische Unterstützung und Sozialhilfe« angegeben. Aus diesem Grund lehnten viele »Trostfrauen« den Fonds ab. Dieser wurde schließlich 2007 mit der Begründung der »Verjährung« aufgelöst.

Zum bisher größten Eklat wurde dann im Dezember 2015 die sogenannte japanisch-koreanische Vereinbarung. Darin wurde ein Fonds für das sogenannte »Heilungsgeld« - also wieder keine offizielle Entschädigung - von Japan an Südkorea in Höhe von 7,5 Millionen Euro festgelegt. Mit diesem sollte eine Stiftung gegründet werden, die das Geld an Betroffene und deren Angehörige verteilt. In der Vereinbarung wird nicht von der Verantwortung, sondern nur von einer »Beteiligung der damaligen Armee« gesprochen. Auch wurden die wichtigen Wünsche der Überlebenden nach Aufnahme der Geschehnisse in die japanische Geschichtsschreibung und Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit in Japan nicht berücksichtigt. Die Vereinbarung wurde als »endgültig und unwiderruflich« erklärt. Sie wurde unterzeichnet, ohne die Betroffenen und ihre Unterstützungsorganisationen gefragt zu haben.

Unmittelbar nach der Unterzeichnung bestritt die japanische Regierung in einem Bericht an das UN-Komitee zur»Eliminierung der Diskriminierung von Frauen am 31. Januar 2016«, dass die kaiserliche japanische Armee während des Zweiten Weltkriegs Frauen mit Gewalt zur Prostitution gezwungen habe. Sie reichte weiterhin einen Antrag ein, in dem vermerkt wird, dass die »Trostfrauen« keine »sexuellen Sklavinnen« waren.

Der neu gewählte südkoreanische Präsident Moon Jae-In will nun die japanisch-koreanische Vereinbarung annullieren. Am 4. Januar 2018 lud er Überlebende ein und entschuldigte sich für den Abschluss der Vereinbarung durch seine Vorgängerin. In der Tat hat die südkoreanische Regierung bislang aus Rücksicht auf die japanische Regierung dazu keine Stellung bezogen und die Frauen nicht in Schutz genommen, ähnlich wie auch die anderen Länder in der Asien-Pazifik-Region.

Kollektive Erinnerungsarbeit

Seit 1991 versammeln sich jeden Mittwoch »Trostfrauen« und Unterstützer_innen in Seoul zur Demonstration vor der japanischen Botschaft. Dort fordern sie gemeinsam mit jungen Menschen lautstark »Entschuldigung und Entschädigung!« Trotz ihres hohen Alters wirken sie wach und offen. Sie werden inzwischen von der ganzen Nation verehrt. Viele Schüler_innen wissen, was mit den Frauen geschehen ist. Studierende kritisieren koreanische Soldaten, die im Vietnamkrieg ähnliche Verbrechen begangen haben. Auch Gil Won-Ok wurde im Alter von 13 Jahren nach China verschleppt. Sie will nun um die Welt reisen, solange sie sich bewegen kann: »Meine Jugend wird niemals wieder gut, doch ich möchte nicht, dass das Gleiche anderen jungen Frauen geschieht. Der Krieg ist an allem schuld.« Im Mai 2017 war sie in Berlin zu Gast.

Der japanischen Regierung bleibt nicht mehr viel Zeit, um den Wünschen der Überlebenden nachkommen und sich ordnungsgemäß entschuldigen zu können. Immer mehr Überlebende dieser Zeit, die auf die Wiederherstellung ihrer Würde warten, sterben aufgrund ihres hohen Alters. Zeitzeuginnen wie Gil Won-Ok schöpfen aus der kollektiven Aufarbeitung der Vergangenheit allerdings Kraft; sie sind aus ihrem Opferdasein heraus zu mutigen Verfechterinnen von Menschenrechten geworden. Und längst sind diese alten Damen Vorbild für zahlreiche junge Frauen, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind und sich dagegen wehren, dass dies nicht anerkannt wird - nicht nur in Asien, sondern auch weltweit.

Nataly Jung-Hwa Han ist Vorstandsvorsitzende des Korea-Verbandes und Leiterin der AG»Trostfrauen«.

Anmerkung:

1) Auf der englischsprachigen Seite remembercomfortwomen.org sind die Forderung nach Gerechtigkeit für »comfort women« und der internationale Kampf für Anerkennung und Entschädigung umfassend dokumentiert.