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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 634 / 23.1.2018

Aufgeblättert

Weißwerdung

Der Soziologe Wulf D. Hund beschreibt, seit wann, wie und warum sich Menschen in deutschen Landen als weiß empfinden. Er schildert die komplexe Entwicklung der Vorstellung einer »weißen Rasse« und »weißer Deutscher«, beginnend mit den Kreuzzügen, über den europäischen Kolonialismus, die Versklavung afrikanischer Menschen bis hin zum Nationalsozialismus und zur Gegenwart. Dafür hat er Gemälde, Opern- und Liedtexte, philosophische Schriften und Zitate von Mönchen und Priestern unter die Lupe genommen. Insbesondere im Verlauf des europäischen Kolonialismus entstanden die Formen von Herabminderung, die mit bestimmten Hautfarben verknüpft wurden. Sie mündeten schließlich in Rassentheorien. Aufklärungsphilosophen wie Kant, Hegel oder Locke propagierten die Überlegenheit der Weißen. Auch deutsche Dichter, Musiker und Kirchenleute, später auch Anthropologen, Politiker und Mediziner haben daran mitgewirkt. Wie genau aber der kulturelle Code des Rassismus sich allgemein durchsetzen konnte, bleibt zuweilen vage. Jedenfalls trägt Hund zugespitzt zusammen, wie seit Jahrhunderten rassistische Bilder erfunden und angehäuft wurden, die bis heute Wirkung zeigen. Das Buch bietet einen reichen Fundus an Zitaten (wenn auch fast ausschließlich von Männern) und Bildern aus dem deutschen und westeuropäischen Raum rund um Hautfarben, Rassismus und Macht. Es ist anschaulich geschrieben und stellt interessante Bezüge zu Antisemitismus, Antislawismus und Antiziganismus her.

Anke Schwarzer

Wulf D. Hund: Wie die Deutschen weiß wurden. Eine (Heimat)Geschichte des Rassismus. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017. 212 Seiten, 19,95 EUR.

Dichter an der Macht

Als der Sozialist Kurt Eisner am 8.November 1918 bei der Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte im Mathäserbräu den Freistaat Bayern proklamierte, waren alle »so gebannt vom Augenblick«, dass niemand daran dachte, diese historische Rede zu dokumentieren - und so diesen Augenblick festzuhalten, in dem die alte Ordnung in sich zusammen stürzte und München eine »Stadt der Möglichkeiten« wurde. Volker Weidermann, der sich als Literaturkritiker einen Namen gemacht hat, gelingt es in seinem Roman über die Münchner Räterepublik, diesen Augenblick einzufangen und den Fortgang bis hin zur brutalen Konterrevolution spannend zu erzählen. Bedauerlich ist, dass er dabei nur die Perspektive der »Träumer« wiedergibt, der »Dichter« also, die sich für die Sache einsetzten und dabei zum Teil ihr Leben lassen mussten, oder sich auch, wie Thomas Mann, distanziert bis feindselig verhielten - und dass die träumenden und kämpfenden Frauen dieser Tage nur als Freundinnen oder Liebschaften der berühmten Männer auftreten. Die vom Autor gewählte Perspektive verschließt zudem den Blick auf die politischen Konflikte und Zerwürfnisse innerhalb der revolutionären Bewegung und ihr Scheitern. Ein Verständnis davon zu liefern würde wohl auch die Romanform überfordern. Lesenswert ist das Buch aber allemal - eben wegen dieses historischen Augenblicks und der Vorstellung von einer Stadt, die nicht mehr eine der Söders und Seehofers ist, sondern eine der Mühsams und Landauers wird.

Leo Kühberger

Volker Weidermann: Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017. 288 Seiten, 22,60 EUR.

Alexander Berkman

Im Januar 1920 wurde der Anarchist Alexander Berkman zusammen mit seiner Genossin Emma Goldman aus den USA in die Sowjetunion abgeschoben. Auch als beiden zwei Jahre später enttäuscht über die autoritäre Entwicklung und die Niederschlagung des Aufstands von Kronstadt das Land wieder verließen, änderte Berkman nichts an den Sätzen, mit denen er die Gefühle beim Eintreffen in der Sowjetunion beschrieb: »Mir war danach, die ganze Menschheit zu umarmen, ihr mein Herz zu Füßen zu legen, mein Leben tausendfach im Dienste der sozialen Revolution hinzugeben. Der schönste Tag meines Lebens«. Diese Notizen nimmt Bini Adamczak zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen über mögliche alternative Pfade der Revolution. Dabei geht sie auch auf historisch wenig bekannte Ereignisse ein. So kam in Finnland ganz ohne Gewalt eine linke Regierung an die Macht, die ihre Gegner zu überzeugen versuchte. Die aber entfachten den Weißen Terror, dem in wenigen Monaten 8.500 Menschen zum Opfer fielen; noch mehr starben in den von den Rechten eingerichteten Konzentrationslagern. Im Juni 1918 übernahm für kurze Zeit ein von den Menschewiki und Rechten Sozialrevolutionär_innen dominierter Block die Macht in der Wolgaregion. Doch bald gingen reaktionäre Kräfte mit Terror gegen die Linke vor. Diese Beispiele zeigen, dass es nicht nur an den Bolschewiki lag, dass die Revolution abgewürgt wurde. Bini Adamczak widerlegt alle, die mit der Oktoberrevolution schon den Weg in den Stalinismus vorgezeichnet finden.

Peter Nowak

Bini Adamczak: Der schönste Tag im Leben des Alexander Berkman. Vom möglichen Gelingen der russischen Revolution. Edition Assemblage, Münster 2017, 150 Seiten, 12,80 EUR.

Selbstorganisierung

Das Frankfurter malaboca kollektiv berichtet in seiner Broschüre über Selbstorganisierung und soziale Kämpfe in Mailand von Erfahrungen, die für die Linke weit über Italien hinaus bedeutend sind. Eingeleitet wird die Textsammlung mit einer Episode aus dem Jahr 1923: Die Rote Hilfe verhindert eine Zwangsräumung in einem proletarischen Viertel in Hamburg. Noch ein weiterer Text belegt das Geschichtsbewusstsein der Autor_innen. Darin geht es um die Klassenkämpfe der 1970er Jahre in Italien. Den Schwerpunkt aber bilden Interviews mit Aktivist_innen aktueller sozialer Kämpfe im Mailänder Arbeiterviertel Giambellino-Lorenteggio. Gegen das Vorhaben der Stadtregierung, besetzte Häuser zu räumen, entwickelte sich dort seit November 2014 breiter Widerstand. Dabei seien die jungen Linksradikalen den Bewohner_innen anfangs »wie Aliens« erschienen, als sie anfingen, »über Revolution und Kommunismus« zu reden. Vertrauen und wechselseitige Lernprozesse entstanden im gemeinsam organisierten Nachbarschaftskomitee, vor allem aber beim Anpacken der Alltagsprobleme. So wurden Hausaufgabenhilfe und eine kostenlose medizinische Sprechstunde organisiert. Das Komiteemitglied Arianna hebt das von den Frauen entwickelte neue Selbstbewusstsein hervor, berichtet aber auch von patriarchalen Strukturen und häuslicher Gewalt. Luigi hält es für entscheidend, innerhalb der Kämpfe eine neue Welt aufzubauen. Entstanden ist kein Idyll, sondern ein Ort, den es gegen staatliche Repression zu verteidigen gilt.

Jens Renner

malaboca kollektiv: Uniti possiamo tutti. Selbstorganisierung und soziale Kämpfe in Mailand. Bestelladresse: malaboca@systemli.org. 60 Seiten.