Der falsche Klassenkampf
Gender Der Backlash gegen #MeToo zieht herauf - leider nicht nur von rechts
Von Lea Susemichel
Der Feminismus ist gegenwärtig von zwei Seiten unter Beschuss - von rechts und von links. Davor warnt die feministische Kulturtheoretikerin Angela McRobbie angesichts einer linksliberalen US-Debatte, die seit dem ideologischen Showdown zwischen Hillary Clinton und Bernie Sanders immer aggressiver geführt wird. Denn auch viele Linke wollen sich angesichts der globalen Misere wieder auf die Kernforderung nach sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit besinnen, statt sich durch »Partikularinteressen« wie Feminismus oder Black Liberation spalten zu lassen.
Der Backlash, der sich als Antwort auf die erfreulichen Erschütterungen durch #MeToo nun vernehmlich grollend zusammenbraut, gibt McRobbie Recht.
Dabei wird nun von allen Seiten vor allem ein Argument bemüht: Durch #MeToo sei die sexuelle Freiheit bedroht. Dieser Warnruf ertönte besonders medienwirksam etwa aus Frankreich, wo eine Gruppe um die Schauspielerin Catherine Deneuve jüngst die »Freiheit zu belästigen« forderte und damit für die zu erwartenden Diskussionen sorgte.
Es war leider abzusehen, dass die so ermutigende #MeToo-Bewegung, die mit Oprah Winfreys flammender Golden Globes-Rede ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, nicht unumstritten bleiben würde. Die betretenen Gesichter bei den Globes, die selbst Nominierte aussehen ließen, als hätte sie die Kamera gerade beim Füßeln erwischt, wandeln sich schon wieder ins altbekannte »Aber man wird doch wohl noch!« - Trotzgebaren, sobald die Scheinwerfer aus sind. Man wird doch wohl noch flirten und Sex haben dürfen, heißt das im konkreten Fall. Die Unterstellung, hinter der ganzen Aufregung verberge sich nichts als prüde Sexualitätsfeindlichkeit, ist so alt wie der Feminismus selbst. Doch das tradierte Klischee von den lustfeindlichen Emanzen hat offenbar auch in Zeiten eines dezidiert sexpositiven Feminismus nichts an seiner diskursiven Schlagkraft eingebüßt.
Bill Maher und Robert Pfaller gegen #MeToo
Doch während solche Angriffe von rechtsreaktionärer Seite wohlvertraut sind, ist die Unverhohlenheit relativ neu, mit der feministische Forderungen nun auch von vermeintlich Linken zurückgewiesen und der gute alte Hauptwiderspruch gefeiert wirden.
Auch Robert Pfaller versteht sich als Linker, der für die vermeintlich gute Sache gegen identitätspolitische Überempfindlichkeiten und Überkorrektheiten polemisiert. Der Wiener Philosophieprofessor, der Gründungsmitglied der Organisation mit dem etwas kindischen Namen »Adults for Adults« ist, tingelt momentan mit seinem neuen Buch »Erwachsenensprache« durch die Feuilletons und macht dort gegen #MeToo und »Selbstviktimisierung« Stimmung. Pfaller ist damit so etwas wie die österreichische Miniaturausgabe des US-amerikanischen Fernsehmoderators Bill Maher, der vielleicht gar das Paradebeispiel dieses Typus alternder, linker Männlichkeit ist. Mahers Kernthese gegen »politische Korrektheit« lässt sich etwa so zusammenfassen: Die Demokrat_innen bräuchten einfach wieder »mehr Eier«, um erfolgreich zu sein. Der weinerliche Opfercontest, bei der die Marginalisierten sich mit ihren Unterdrückungserfahrungen gegenseitig zu überbieten versuchten, verhindere hingegen linke Erfolge.
Das Argument von Maher & Co. lautet: Der Neoliberalismus hätte sich die identitätspolitischen Emanzipationsbestrebungen noch der kleinsten Minderheit inzwischen erfolgreich einverleibt und gewähre diesen nun kleine symbolpolitische Siege. Doch auch wenn Transfrauen oder Lesben hin und wieder Unternehmen und vielleicht sogar mal eine Regierung führen dürften, ändere das an der globaler Ungleichheit und am Elend der prekarisierten Massen nicht das Geringste. Im Gegenteil würde es von den entscheidenden Schlachten nur ablenken.
Dieses neue Nebenwiderspruchs-Argument ist jedoch so falsch wie das historische: Kapitalistische Ausbeutung lässt sich nicht analysieren und wirksam bekämpfen, ohne dabei zum Beispiel die Rolle unentlohnter reproduktiver Arbeit für den Systemerhalt zu berücksichtigen. Ebenso wenig lässt sich die neoliberale Hegemonie brechen ohne ein Verständnis für spezifische Diskriminierungsformen und Machtgefälle innerhalb des so ganz und gar nicht homogenen Prekariats. Das heißt - um nun ebenfalls in die diskursfigürliche Mottenkiste zu greifen - konkret: Niemand ist frei, solange nicht alle frei sind.
Breite Solidarisierung ist ein wichtiges Ziel
Damit kein Missverständnis entsteht: Natürlich ist es unerlässlich, die innerlinke Debatte zu führen, ob identitätspolitische Scharmützel eine breite Solidarisierung verhindern, die es gegenwärtig so dringend bräuchte. Aber diese Debatte ist kompliziert und muss deshalb differenziert geführt werden. Was hier geschieht, ist hingegen erschreckend simpel: Es ist nicht der Klassenkampf, für den er sich ausgibt, sondern der aggressive Abwehrkampf alter, sexistischer Männer.
Das zeigt sich sehr anschaulich auch bei der #MeToo-Debatte. Bei den prominenten #MeToo-Fällen, die auch von Linken wie Pfaller gerne als Luxusprobleme von Hollywoodschauspielerinnen abgetan werden, handelt es sich mitunter um Vergewaltigung und brutale Nötigung. Davon unbeeindruckt wird so getan, als würde Männern nun bei nett gemeinten Komplimenten das Wort im Mund und bei versehentlich anstreifenden Händen gar gleich der Hals umgedreht.
Viele sprechen angesichts von Sachverhalten, die so offensichtlich sind wie ein Schlag ins Gesicht, mit bangen Mienen von »schmalem Grat«, »schwierigen Grenzziehungen« und »großen Grauzonen«. Doch die Vermischung von Sexualität und sexueller Gewalt ist mitnichten #MeToo anzulasten. Die Kampagne ist im Gegenteil getragen vom ehrlichen Bemühen, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die - in den allermeisten Fällen sehr klare! - Grenze zwischen gewaltvollem Machtmissbrauch und einvernehmlicher Sexualität zu schaffen. Denn das ist bitter nötig: Knapp ein Drittel aller Europäer_innen hält laut einer Eurobarometer-Studie Vergewaltigung unter bestimmten Umständen (etwa aufreizende Kleidung) für zulässig. Es sind stattdessen vielmehr gerade die #MeToo-Kritiker_innen, die diese Vermengung gezielt betreiben, indem sie so tun, als handle es sich bei Sexualdelikten in der Regel um »Auslegungssache«.
Eine weitere Argumentationsstrategie, die dabei neben dem Vorwurf der Sexualitätsfeindlichkeit zum Einsatz kommt, ist ebenso alt und bewährt. Aufgrund der schwierigen Beweisführung bei sexualisierter Gewalt würden Anklagen gerne aus persönlicher Rachsucht oder gar aus politischem Kalkül eingesetzt, um Männer zu demontieren, heißt es. Statt der Unschuldsvermutung grassiere eine geifernde Hysterie, die Einzelne nicht selten Amt und Ansehen gekostet hätte.
Eine perfide, reaktionäre Strategie
Bis jetzt ist freilich noch niemand wegen einer ungeschickten Anmache oder einem anstreifenden Arm gekündigt worden. Selbst das Verbrechen der Vergewaltigung wird so selten geahndet wie kaum ein anderes Gewaltdelikt, obwohl sie eine der häufigsten Formen von Gewalt gegen Frauen ist. Unter zehn Prozent aller Vergewaltigungen werden hierzulande überhaupt nur zur Anzeige gebracht, von den eingebrachten Anzeigen wiederum führt nur ein kleiner Bruchteil zu einer Verurteilung. Die immer wieder heraufbeschworenen Fehlbezichtigungen sind laut allen verfügbaren Expertisen hingegen verschwindend gering. Wenn nun dafür plädiert wird, Frauen mögen bei Gewalterfahrungen doch bitte den juristischen Weg wählen statt öffentlich zu lamentieren, ist das also bestenfalls zynisch. Schlimmstenfalls ist es eine perfide reaktionäre Strategie, um eine längst überfällige gesellschaftliche Debatte über die globale Allgegenwart sexualisierter Gewalt schnell wieder abzuwürgen.
Das wird hoffentlich nicht gelingen.
Lea Susemichel ist leitende Redakteurin der an.schläge.