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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 635 / 20.2.2018

Zwischen zwei Fronten

Black History Die vergessene Rolle der westafrikanischen Kolonialtruppen in der Résistance

Von Paul Dziedzic

Im Winter 1943, im Ort Epinal im Osten Frankreichs, stirbt ein 27-jähriger Schwarzer Kommandant der Résistance nach langer Folter durch die Hand der Nazis. Erfolglos versuchen sie Informationen über den Maquis de la Délivrance, einer selbstorganisierten Widerstandszelle aus der Region, aus ihm herauszupressen. Er hält dicht und rettet damit das Leben seiner Mitstreiter_innen. Ba Hadi Mohammed, besser bekannt als Addi Bâ, zog als Tirailleur Sénégalais (senegalesischer Schütze) 1939 in den Zweiten Weltkrieg und ist Mitbegründer dieser Zelle. Seine ist eine Schwarze, eine europäische und eine afrikanische Geschichte, und wie so viele andere, eine verschollene.

Die Tirailleurs sind eine Kolonialtruppe, die 1857 erstmals von den Franzosen in Westafrika rekrutiert wird. Sie sollen Frankreichs gewaltsame Eroberungen in Afrika und Asien unterstützen und Aufstände niederschlagen. Im Deutsch-Französischen Krieg 1870 betreten die Soldaten zum ersten Mal auch das europäische Festland. Spätestens im Ersten Weltkrieg sind sie für die Franzosen unentbehrlich, weil die Deutschen ihnen demographisch überlegen sind. Die Tirailleurs müssen an der Front viele Opfer erbringen, und zusätzlich »niedere« Arbeit verrichten. Generell verlieren verhältnismäßig viele von ihnen ihr Leben. Sie sind Subjekte eines Imperiums, das sie trotz allem Pathos um ihre Kampffähigkeiten, ihrer Gleichheit mit ihren Waffenbrüdern und ihrem Kampf für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht als gleichwertig sieht. Im Ersten Weltkrieg setzt die Regierung über 200.000, im Zweiten 300.000 von ihnen ein. Sie werden aus den Städten und Dörfern abgeholt -- je nach Region durch Zwangsrekrutierung oder durch Versprechungen von finanziellen Vorteilen.

In und um die Gemeinde von Tallaincourt im Nordosten Frankreichs ist Addi Bâ lange über seine Lebenszeit hinaus bekannt und beliebt. Seine Kontakte spielen beim Aufbau des Maquis de la Délivrance, des »Maquis der Befreiung«, eine große Rolle. Die Zelle rettet viele junge Männer aus der Region vor der Zwangsarbeit in Deutschland, organisiert Evakuierungen und Sabotageakte. Als Bauer getarnt, wohnt der Guineer in seinem eigenen Haus, er reist viel in der Region herum und koordiniert die Operationen der Zelle. Er wird zu einem Anführer des Widerstandes.

Sein Widerstand beginnt mit seiner Gefangennahme 1940 durch die Nazis bei ihrer Offensive an der Mosel. Addi Bâ und vierzig weitere Tirailleurs werden gefangen genommen, können aber offenbar noch in derselben Nacht entkommen. Wochenlang verstecken sie sich in Wäldern, und es gelingt Addi Bâ, Kontakt mit einigen Menschen in den umliegenden Dörfern aufzunehmen. Nach und nach organisiert er ein Netzwerk, das seinen Kameraden die Flucht in die Schweiz ermöglicht. Doch er bleibt, um weiter gegen die Nazis zu kämpfen. Aus dem Tirailleur wird ein Partisan.

Addi Bâ zieht Mitte der 1930er nach Frankreich und zieht im Gegensatz zu den meisten seiner Kameraden freiwillig in den Krieg. Trotz seiner tollkühnen Rettungsaktionen wird er lange Zeit nur ein lokale Legende bleiben. Erst in den 1970er und 1980er weckt seine Geschichte die Aufmerksamkeit von Militärhistoriker_innen, und er bekommt 2003 eine Honorierung als Kämpfer in der Résistance. Popkulturelle Relevanz erhält der Name Addi Bâ durch Lilian Thuram, einem weltbekannten Fußballprofi, der ihn in einem Beitrag zu seiner Serie »Meine Schwarzen Stars« erwähnt. 2017 läuft ein ihm gewidmeter Spielfilm mit dem Titel »Nos Patriotes« in den französischen Kinos an.

Der Résistance, so wird geschätzt, schließen sich 5000 Schwarze Soldaten an. Historiker_innen und die Zivilgesellschaft bemühen sich, ihre Erkenntnisse an die Öffentlichkeit zu bringen. So zum Beispiel der Verein »Association Mémoire Tirailleur Sénégalais«, der es geschafft hat, viele anonyme Gräber mit Namen zu versehen, am Tag der Erinnerung öffentliche Veranstaltungen zu organisieren und die Geschichten der Verstorbenen zu erzählen. Geschichten von Menschen wie Sanou Badian, der sich in Bayern aus der Gefangenschaft befreit, zusammen mit 40 Schwarzen Kameraden den Ort Klein Schwartzenlohe in Bayern besetzt und anschließend Nazis gefangen nimmt. Oder Justin Resokafany, der 1940 aus dem besetzten Frankreich flieht, sich mehrmals aus der Gefangenschaft befreien kann, um am Ende der Résistance beizutreten. Oder die Odyssee einer Schwarzen Résistance-Einheit im Maquis de Vercors, die als »die besten Elemente im Zentralmassiv« (im südlichen Frankreich) beschrieben wurde.

Keine Anerkennung für Schwarze Soldaten

Gleichzeitig ist es unwahrscheinlich, dass Addi Bâ in der offiziellen Armee zu einem Anführer geworden wäre, wie er es im Maquis war, denn höhere Offiziersposten waren Schwarzen Soldaten in der Regel verwehrt. Die mystifizierte Geschichte der Résistance und des »freien Frankreichs«, deren bekanntester Kopf Charles de Gaulle ist, blendet den Beitrag Schwarzer Soldaten aus, ebenso wie den systematischen Rassismus, mit dem die Armee geführt wird. Als die Tirailleurs sich durch die größten Schlachten gekämpft haben, schickt de Gaulle die meisten von ihnen kurz vor der Ankunft in Paris zurück in die kolonisierten Gebiete. Der später von französischen Historiker_innen als Blanchiment des Troupes, auf Deutsch das «Bleichen» oder die «Weißwaschung» der Truppen, bekannte Akt begründet de Gaulle damit, dass das Wetter im Norden Frankreichs für die afrikanischen Soldaten nicht geeignet sei. Andere, wie der senegalesische Historiker Mamadou Koné, halten dagegen, dass de Gaulle es nicht gerne gesehen hätte, wie Schwarze Soldaten im befreiten Paris einmarschieren. BBC enthüllt 2009 vertrauliche Dokumente, die diese Version bestätigen: Das alliierte Kommando bat de Gaulle, nur weiße Soldaten in Paris einmarschieren zu lassen.

Anstatt also glorreich in die Hauptstadt einzuziehen, müssen die Tirailleurs zurück. Viele der nach Hause geschickten Soldaten bekommen - wenn überhaupt - nur eine magere Rente. Den Tiefpunkt erreicht der Krieg Ende 1944 ausgerechnet im Senegal, wo die »freien Franzosen« ein Massaker an ihren Kameraden verüben. Die Tirailleurs, viele von ihnen ehemalige Gefangene der Nazis, fordern ihren ausstehenden Sold, eine Pension und eine bessere Behandlung. Als sie im Lager Thiaroye einen Aufstand organisieren, werden sie von ihren weißen Kameraden massakriert. 1959 streicht Paris allen nichtfranzösischen ehemaligen Tirailleurs die Rente ganz.

Der konservative de Gaulle hält es, wie viele nach ihm, nicht für nötig, Anerkennung zu zeigen. Nicht einmal dafür, dass Brazzaville, im heutigen Kongo, lange Zeit als Hauptstadt der Exilregierung fungiert. Wenn überhaupt, so scheint es, sollen die Kolonisierten für die »zivilisatorischen Errungenschaften« dankbar sein. Das Massaker von Thiaroye ist von Frankreich mittlerweile anerkannt. François Hollande begibt sich 2012 auch erstmals dorthin, um an der senegalesischen Kommemoration teilzunehmen. Die Renten für die wenigen Veteranen, die noch leben, werden 2006 wieder freigegeben, doch sie sind nach wie vor nur ein Bruchteil dessen, was ihre französischen Kameraden bekommen. Die Erwähnung Schwarzer Heldentaten nimmt zwar zu und ist wichtig, doch sie ersetzt keine kritische Auseinandersetzung mit dem kolonialen System. So ist die Ungleichbehandlung der Tirailleurs nicht, wie oft dargestellt, eine Ausnahme, sondern die Regel.

Dass Frankreich noch weit von einer kritischen Reflexion mit seiner kolonialen Vergangenheit entfernt ist, zeigte sich letztes Jahr, als François Hollande 28 ehemaligen Tirailleurs in einem groß inszenierten Akt der Güte die französische Staatsbürgerschaft anbot. Nicht nur ist es höhnisch, diese Staatsbürgerschaft als eine Kompensation zu preisen, es ist in Hinblick auf das hohe Alter der Veteranen auch ein Spiel auf Zeit. Gleichzeitig bleiben Rufe wie jene von Hinterbliebenen von den in Thiaroye massakrierten, die Reparationen für das ihnen angetane Unrecht fordern, ungehört. Aktivist_innen in Dakar unterstützen die Angehörigen, und schlagen die Umbenennung des Avenue Charles de Gaulle in Dakar in den Boulevard Thiaroye 44 vor. Letztendlich sind es aber keine netten Reden hier, oder kleine Denkmäler da, die eine kritischere Reflexion mit der kolonialen Vergangenheit signalisieren, sondern das Eingestehen eines Unrechtssystems und die daraus resultierende Verantwortung für Frankreich.

Paul Dziedzic arbeitet als freier Autor, Blogger und Trainer zu postkolonialen Themen und internationalen Beziehungen.