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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 635 / 20.2.2018

Organisieren, verbinden - und populistisch sein

Diskussion Warum Linkspopulismus unersetzlich für eine Neue Klassenpolitik ist

Von Violetta Bock und Thomas Goes

»Ich glaube, es braucht Linkspopulismus, auch in der Zuspitzung, um deutlich zu machen, es gibt Alternativen.« Dieser Satz stammt nicht von Sahra Wagenknecht, sondern von Katja Kipping (ak 575). Was darunter zu verstehen ist, ist allerdings alles andere als klar. Für die einen ist Linkspopulismus eine Art Diskursstrategie, zuweilen mit manipulativem Charakter, die jedenfalls mit wirklichen sozialen und politischen Kämpfen nichts zu tun hat. Linkspopulismus wäre dann eine Art »Anrufung von oben«. Für andere steht linker Populismus im Verdacht nationalistisch, wenn nicht gar völkisch zu sein. Volk - Volksgemeinschaft - Faschismus. Noch Fragen? Die Liste von Kritiken ließe sich lange fortsetzen.

In jedem Fall ist Linkspopulismus demnach ungeeignet für linke Politik, zumal für eine zeitgemäße Neue Klassenpolitik, in der, wie Sebastian Friedrich in ak 627 wissen ließ, »Geschlechterverhältnisse, Rassismus und globale Ungleichheit nicht hinter die Klassenverhältnisse« angestellt werden, sondern - wie wir es formulieren würden - Klassenkämpfe gegen Ausbeutung, für bessere Löhne, Arbeits- und Lebensbedingungen sowie Demokratie mit feministischen und antirassistischen Kämpfen in einer ökosozialistischen und antiimperialistischen Bewegung zusammengebracht werden sollten. Ist linker Populismus also ein Hindernis, vielleicht sogar das Gegenteil einer zeitgemäßen Neuen Klassenpolitik?

Das Gegenteil ist der Fall. Wer an das per se widersprüchliche und ungleich entwickelte Alltagsbewusstsein ausgebeuteter und unterdrückter Menschen anknüpfen und sie für eine neue Klassenbewegung gewinnen möchte, braucht auch - nicht nur - linken Populismus. Und es stimmt, was Frigga Haug in ak 630 geschrieben hat: Die im Projekt einer erneuerten Klassenpolitik mitgedachten Kämpfe in unterschiedlichen Herrschaftsverhältnissen verknüpfen sich nicht von selbst, es ist vielmehr ein spannungsreiches Unterfangen, sie zusammenzubringen.

Linker Populismus, der von einem vielschichtigen politischen Subjekt, nicht von einer einzelnen Klasse, einem Klassenfragment oder einer einzelnen Bewegung als Kraft der Veränderung ausgeht und es schaffen will, kann gerade dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Die Frage ist deshalb nicht ob, sondern welchen Linkspopulismus wir brauchen - und was sonst noch. Denn für sich allein genommen ist Linkspopulismus tatsächlich ungenügend, um eine neue Klassenbewegung zu schaffen. Als Teil eines »Sozialismus von unten« aber, der auf Organisierungsarbeit vor Ort setzt, der Verbindungen zwischen unterschiedlichen Bewegungen herstellen will, ist er unersetzlich.

Polarisierung in der politischen Krise

Das lässt sich nicht im politisch luftleeren Raum diskutieren. Wie ist es also um die politische Landschaft in Deutschland bestellt und was sollte die Linke tun? Hier im Schnappsschuss: Wir erleben in der Bundesrepublik eine Verschränkung von drei Krisen: Einer längeren sozioökonomischen Krisenphase, einer globalen ökologischen Krise und einer schleichenden organischen Krise (Gramsci), die mit »populistischen Lücken« verbunden ist. Ansprüche bzw. Forderungen relevanter Bevölkerungsteile werden politisch nicht mehr vertreten, die sich deshalb politisch umorientieren.

Zwei populistische Lücken sind entstanden. Zum einen eine soziale populistische Lücke, nicht nur, aber insbesondere infolge der neoliberalen Modernisierungspolitik unter Rot-Grün. Zum anderen eine kulturell-identitätspolitische populistische Lücke aufgrund der Modernisierung der Christdemokratie, die Teil einer konservativen Modernisierungspolitik im Land war. Diese kulturell-identitätspolitische Lücke konnte jüngst für den Aufstieg des Rechtspopulismus im Gewande der AfD genutzt werden. Aber: Die soziale Frage spielt auch für die Erfolge der Rechten eine Rolle. Soziale Leiderfahrungen können autoritär, rassistisch und/oder sexistisch verarbeitet werden. Rechtspopulistische Verarbeitungsweisen etwa von Prekarisierung sind jedenfalls wissenschaftlich gut dokumentiert.

Allerdings haben wir es in Deutschland nicht einfach mit einer Rechtsentwicklung zu tun, beobachten lassen sich vielmehr Momente einer politischen Polarisierung. Im Massenbewusstsein gibt es neben autoritären, rassistischen und sozialchauvinistischen Verarbeitungsweisen der Neoliberalisierung auch kapitalismuskritische und sozialpopulistische, die Brücken nach links darstellen können - verankert sind sie in einer eigensinnigen »moralischen Ökonomie« der Subalternen, von der Stefanie Hürtgen bereits in ak 628 berichtete. Klar rückschrittliche und klar emanzipatorische Einstellungen bilden lediglich kleine Pole eines breiten Spektrums von Mischformen, von widersprüchlichen Formen des Alltagsbewusstseins.

Sozialismus von unten und linker Populismus

Was sollten Linke nun also tun? Mit Blick auf die politischen Verarbeitungsweisen in der Bevölkerung bzw. das Massenbewusstsein stehen wir vor der Aufgabe, die verfestigt reaktionären Teile der Bevölkerung zu isolieren. Das gelingt nur, indem wir die aufgeklärten und fortschrittlichen Teile der Arbeiterklasse sowie des alten und neuen lohnabhängigen Kleinbürgertums organisieren und eine klare und praktische Vision für eine solidarische Gesellschaft vertreten, um damit um die schwankenden Teile der Bevölkerung zu kämpfen, die ein widersprüchliches und diffuses Alltagsbewusstsein haben.

Unser Ziel sollte es - als hegemoniepolitisches Projekt - sein, ein mobilisierungsfähiges Unten-Mitte-Bündnis aus verschiedenen Teilen dieser popularen Klassen zu schmieden. Deshalb sollten wir eine Neue Klassenpolitik strategisch an der Vision eines »Sozialismus von unten« ausrichten. Dieser zielt darauf, als organisierende, verbindende und einigende Kraft Laboratorien von Gegenmacht und Hoffnung sowie ein Hinterland der Solidarität zu schaffen.

Nötiger denn je sind erstens Organisationen, mit denen wir am Aufbau popularer Bündnisse arbeiten können und die uns helfen, unsere Interessen durchzusetzen, und uns in unseren Kämpfen stärken. Als »organisierende Linke« wirken wir mit, soziale, kulturelle und politische Interessen vor Ort zu organisieren. Wir unterstützen möglichst viele Menschen dabei, sich für ihre eigene Sache einzusetzen: etwa die Erzieher_innen, die für bessere Bezahlung und mehr Anerkennung streiten; die Geflüchteten, die sich gegen die unwürdigen Zustände in den Aufnahmestellen wehren; die Fabrikarbeiter_innen, die sich gegen Arbeitsstress und Flexibilitätsdruck engagieren.

Wir sollten zweitens damit beginnen, unsere Parteien bzw. Organisationen so zu einer »lernenden Linken« umzubauen (oder neue zu schaffen), damit sie in dieser Arbeit als »kollektive Intellektuelle« wirken können. Solche Organisationen entwickeln eine interne Kultur der Diskussion, des Lernens und der Beteiligung, die nicht nur zu einem aktiven Mitgliederleben und einem politischen »Empowerment« der Mitglieder beiträgt, sondern die zu einer kollektiven politischen Praxis (etwa organisierender Gegenmacht) überhaupt erst befähigt.

Mit Hilfe solcher Organisationen sollten wir schließlich drittens als »verbindende Linke« wirken, also daran arbeiten, einen sozialen und politischen Block zwischen den arbeitenden Klassen auf der einen und den sich zu ihnen nicht-antagonistisch verhaltenden Mittelklassen auf der anderen Seite herauszubilden. In diesem Sinne arbeiten populare Sozialist_innen daran mit, einen demokratischen Kollektivwillen und einen »Machtblock von unten« aus den popularen Klassen herauszubilden. Ganz im Sinne einer sich erneuernden Klassenpolitik ginge es darum, Bewegungen für soziale Gleichheit und gegen Klassenunterdrückung mit dem Streit gegen Rassismus und für gleiche Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen, Homo- und Transsexuellen zu verbinden.

Aber das alleine reicht nicht. Die Mehrheit der popularen Klassen wird durch Selbstorganisierung und die Einbindung in politische Organisationen nicht erreicht. Deshalb brauchen wir eine Politik der linkspopulistischen Verdichtungen, die an die sozialpopulistischen Deutungen im Massenbewusstsein anknüpfen und dabei helfen, eine Spaltung zwischen Eliten und Volk, zwischen denen Oben und denen Unten, zwischen dem ein Prozent und den 99 Prozent, zu schaffen - das »we the people« gegen die Wallstreet in der Sanderskampagne oder das »for the many, not the few« der Corbyn-Linken, um zwei jüngere Beispiele zu nennen. Neben die sozialen treten dabei Kämpfe um demokratische Souveränität und Demokratisierung - als Ziel an sich und als Mittel, um unser Leben als arbeitende Familien (ob alleinerziehend oder mit Partner_innen, als Patchwork oder in lesbischer oder schwuler Elternschaft) sowie als Erwerbslose zu verbessern und den Kapitalismus zu überwinden.

Grenzen eines linken Populismus

Diese Verdichtungen appellieren an ein kämpfendes und buntes »Volk der Linken« und sind mit dem Anspruch verbunden, ein eigenes Entwicklungsmodell für das ganze Land, das mit »denen unten« identifiziert wird und sich internationalistisch einbettet, zu haben - insofern führen zu können. Populistisch verdichten ist notwendig und populistische Verdichtungen greifen ebenso notwendig Leidenschaften und Gefühle auf: Liebe, Hass oder auch Sehnsucht nach Solidarität.

Populismus ist eine Art Politik zu machen, er ist im Kern weder links noch recht. Typisch »populistisch« ist die Polarisierung des politischen Raums in eine kritisierte Elite und ein dem gegenübergestelltes »gutes Volk«. Verbunden ist dies in der Regel mit idealisierenden Vergangenheitsbezügen, die enorm mobilisierend wirken können. In der Vergangenheit liegt gewissermaßen die ersehnte Gegenwart, rückwärtsprojezierte konkrete Utopien. Im Rechtspopulismus ist die Elitenkritik durchaus wichtig, es sind politische Eliten und einzelne ökonomisch Mächtige, vorzugsweise aus dem Finanzsektor, die das Volk verraten. Die Art dieser Elitenkritik gewinnt aber ihren Sinn durch das, was verraten wird. Es ist ein »Volk der Rechten«, das immer schon da war, das ethnisch oder kulturell bestimmt wird, das fleißig, ordnungsliebend und staatstragend ist, auch wenn der real existierende Staat und dessen Eliten es verrät. Dieses Volk soll kämpfen gegen die Eliten - als Volk-Nation, als Volk-Ordnung, als Volk-Staat und als Volk-Masse.

Soll linker Populismus im oben behaupteten Sinne emanzipatorisch und Teil einer neuen Klassenbewegung sein, muss er den Trennungsstrich zum Rechtspopulismus klar ziehen. Würde uns der Feind loben und nicht angreifen, es wäre schlecht und nicht gut. Linkspopulismus muss deshalb in dreierlei Hinsicht einen Antagonismus zum rechten darstellen. Erstens brauchen wir tatsächlich eine scharfe zugespitzte Elitenkritik - der Banken, Konzerne und der neoliberalen politischen Eliten. Aber diese Kritik muss sich aus sozialen und demokratischen Forderungen speisen und Brückenelemente enthalten, die den Weg öffnen in Richtung eines richtigeren Verständnisses der systemischen kapitalistischen und patriarchalen Herrschafts- und rassistischen Ausgrenzungsverhältnisse unserer Gesellschaft.

Zweitens darf das »Volk der Linken« nicht »immer schon da« sein, es entsteht erst im gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Oder wie Panagiotis Sotiris sagte: Wir brauchen ein »post-nationales und post-koloniales Konzept des Volkes, weil es auf gemeinsamen Bedingungen der Ausbeutung, der Unterdrückung und des Kampfes beruht, unabhängig von Staatsbürgerschaft, Religion oder Ethnizität. Es ist der potenzielle Kollektivwille all derer, die in einem geographischen Raum leben und dieselben Bedingungen und dasselbe Verlangen nach einem besseren Leben teilen - all derer, die gemeinsam kämpfen wollen gegen diejenigen, die sie ausbeuten und unterdrücken. In diesem Sinne gehören Migrant_innen und Geflüchtete natürlich zu diesem potenziellen Volk dazu, ganz im Gegensatz zu Kapitalisten, zu Bankern und Rentiers. Wir könnten auch sagen, dass wir von einem Volk im Werden anstelle einer Nation, die war oder ist sprechen.«

Ganz im Sinne einer Neuen Klassenpolitik wäre dieses »Volk der Linken« ein politisches Bündnis nicht nur von Klassen, sondern auch eine Verbindung von Kämpfen gegen Klassenherrschaft, Sexismus und Patriarchat, Rassismus und religiösen Fanatismus.

Um die eigene popular-nationale Erzählung zu verwirklichen, braucht es drittens eine realistische Machtstrategie, die weder im Appell an die Volk-Masse, noch in einer Mitte-Linksregierung bestehen kann, die zu fordern manche nicht müde werden. Linker Populismus sucht das Bündnis mit wirklichen Initiativen und Kernen der Selbstorganisation und will gemeinsam und in Spannung mit ihnen eine breitere Bewegung schaffen - im Willen, die Tore in eine nachkapitalistische Übergangsgesellschaft aufzustoßen.

Violetta Bock ist Stadtverordnete der Kasseler Linken. Thomas Goes ist Arbeitssoziologe und bei Organisieren Kämpfen Gewinnen aktiv. www.organisieren-gewinnen.de

Violetta Bock und Thomas Goes

sind Autor_innen des Buchs »Ein unanständiges Angebot? Mit linkem Populismus gegen Eliten und Rechte«, das im Sommer 2017 bei PapyRossa erschienen ist.