Konkurrenz von rechts
Rechte Mit der Kampagne »Werde Betriebsrat« will die Initiative Ein Prozent die DGB-Gewerkschaften schwächen
Von Michael Barthel und Anna-Lena Herkenhoff
»Am Arbeitsplatz: Patrioten schützen Patrioten« - mit diesem Slogan rührte die Organisation Ein Prozent für unser Land auf ihrer Website die Werbetrommel für eine »Oppositionskonferenz« des Compact-Magazins im November 2017 in Leipzig. Das Ziel: Mit einer neuen Kampagne namens »Werde Betriebsrat« sollen Lohnabhängige angesprochen werden. Die Compact-Konferenz wurde so zu einer Art Startschuss für die Bearbeitung der sozialen Frage durch die Neue Rechte.
Einige Wochen später, im Januar 2018, fand im Hausprojekt der Identitären Bewegung (IB) Halle eine Veranstaltung des Instituts für Staatspolitik (IfS), eine Art Denkfabrik der Neuen Rechten, statt. Die Kampagne »Werde Betriebsrat« sollte anhand folgender Frage vorgestellt werden: »Braucht die patriotische Bewegung Gewerkschaften?« Die soziale Frage wird in Anlehnung an Björn Höckes Credo »Die neue deutsche Soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist die Frage nach der Verteilung des Volksvermögens von innen nach außen« als Konflikt zwischen deutschen und fremden Interessen beschrieben. Zu letzterem zählt die Kampagne auch politische Gegner - Linke, Liberale und das »Establishment«. Letztlich variiert Aufgreifen der sozialen Frage von rechts die Vorstellung dessen, was die Identitären aufgrund der angeblichen »Masseneinwanderung« als »Großen Austausch« bezeichnen. Bei der Veranstaltung in Halle waren Vertreter_innen der Identitären, von Ein Prozent, dem IfS und der Alternative für Deutschland (AfD) anwesend.
Zwischen den Akteur_innen des neurechten Netzwerkes herrscht Arbeitsteilung. Die IB und die Initiative Ein Prozent spielen dabei die Rolle der Aktiven im vorpolitischen Raum. Sie erledigen die Basisarbeit. Während die Identitären in Halle das Hausprojekt betreiben und mit ihrem aktivistischen Habitus eine Jugendbewegung simulieren, soll Ein Prozent als eine Art rechte Nichtregierungsorganisation professionelle Kampagnen entwerfen und durchführen. Entstanden ist die Initiative aus der Idee, die sich seit 2015 vermehrt organisierenden rassistischen Proteste gegen die Aufnahme von Geflüchteten zu unterstützen. Neben Götz Kubitschek traten Jürgen Elsässer vom Compact-Magazin sowie der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider als Initiatoren auf. Als offizieller Leiter des Projekts und Vorstand des eingetragenen Vereins Ein Prozent e.V. tritt der rechte Verleger und Pressesprecher der deutschen Burschenschaft Philipp Stein auf.
Die Kampagne »Werde Betriebsrat«
Seit Beginn letzten Jahres wird in der Neuen Rechten die soziale Frage diskutiert (ak 631). Die Diskussion hat nicht zuletzt durch gute Wahlergebnisse der AfD unter Arbeiter_innen und Erwerbslosen an Fahrt aufgenommen. Wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde bei den Rechten zudem, dass überdurchschnittlich viele Gewerkschafter_innen die Partei gewählt haben. Offenbar sind in der Arbeiterschaft Ressentiments, Ängste und Alltagsprobleme vorhanden, an die die AfD anknüpfen und sich als »Neue Arbeiterpartei« inszenieren kann.
Mit der aktuellen Kampagne »Werde Betriebsrat« versucht Ein Prozent, sich der sozialen Frage von rechts zu nähern. Aufhänger der Kampagne, die über eine eigene Homepage und Werbevideos verfügt, ist jedoch kein klassischer Aspekt des Arbeitskampfes, sondern das Thema Meinungsfreiheit. Der Kampagnentext formuliert, dass »jeder von uns ... mittlerweile einen Freund oder Bekannten habe, der seine Arbeitsstelle aus politischen Gründen verlor«, sei es wegen des Besuchs von Pegida-Demonstrationen, der Unterstützung der AfD oder eines Gesprächs »mit dem Kollegen in der Pause über politische Probleme«. Die Feindbeschreibung ist klar: Verantwortlich für »politische ... Repression bis hin zur Kündigung«, so formuliert es Simon Kaupert, der mit der Umsetzung der Kampagne betraut ist, seien »linke Betriebsräte und Gedankenpolizisten« sowie »Meinungswächter ... der etablierten Gewerkschaften«. Um dies zu beenden und weiterhin offen besprechen zu können, was der Kampagnentext wenig konkret als »politische Probleme« umschreibt, sollen bei den Betriebsratswahlen von März bis Mai »patriotische Betriebsräte« gewählt und der Einfluss von DGB-Gewerkschaften geschwächt werden.
Kaupert beschreibt in dem in der neurechten Zeitschrift Sezession veröffentlichten Artikel »Neue Kampagne Werde Betriebsrat«, worum es geht: »Reale Absicherung des Arbeiters, Ausgleich zwischen oben und unten, Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Profiteuren und denen, die diese Profite erst ermöglichen.« Er nutzt schwammige Formulierungen, denn Ein Prozent will sich zwar an Arbeiter_innen richten, aber gleichzeitig Kleinbürger_innen und Mittelständler_innen nicht verprellen. Problematisiert werden vor allem linke Gewerkschaften, aber auch Konzernbosse, Aktienbesitzer_innen und Manager_innen, die gemeinsame Sache zur »Absicherung satter Profite« mittels Leiharbeit und Standortverlagerungen machen würden.
Die Kampagne sieht keinen prinzipiellen Interessengegensatz zwischen Unternehmer_innen und Lohnabhängigen. Ohne den Begriff zu benutzen, wird stattdessen die Betriebsgemeinschaft propagiert. Arbeiter_innen dürfen zwar streiken, aber nicht zu hart, sondern nur in dem Rahmen, den der Betrieb erlaubt: »jeder Arbeitskampf muss sich am Wohle der Gesamtbelegschaft und ... an der realen Situation des Gesamtbetriebes orientieren«. Interessen von Arbeiter_innen werden als »individuelle Befindlichkeiten« bezeichnet. Sie »gewerkschaftlich durchzudrücken« gefährde Unternehmen. Kaupert bedient sich bei der Werbung für die »patriotische Gewerkschaft« klassischer Argumentationsfiguren aus der Perspektive von Unternehmer_innen. Es geht der »patriotischen Gewerkschaft« nicht um eine starke Interessenvertretung der Arbeitenden, sondern um die Verdrängung der DGB-Gewerkschaften.
Die Kampagne »Werde Betriebsrat« appelliert an die Ideologie des Standortnationalismus, die auch unter Gewerkschaftsmitgliedern verbreitet ist. (2) Der Interessengegensatz verlaufe, so Kaupert, nicht zwischen Arbeit und Kapital, sondern zwischen Betrieb und »globalistischem Establishment«, welches Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlagern will.
Die Stoßrichtung der Kampagne zielt im Sinne neurechter Beeinflussung des vorpolitischen Raums nicht darauf ab, tatsächlich die Interessen der Arbeiter_innen zu vertreten. Vielmehr soll im Arbeitermilieu Einfluss gewonnen und die Diskurshoheit der DGB-Gewerkschaften gebrochen werden. Arbeiter_innen werden nicht als Arbeiter_innen, sondern als arbeitende Deutsche angesprochen. Dies entspricht nicht nur der nationalistischen Ideologie, sondern ist auch ein alternatives Handlungsangebot in gesellschaftlichen Krisenzeiten: Nicht die internationale Solidarität könne den deutschen Arbeiter retten, sondern der nationale Zusammenhalt zur Bewahrung des Standortes.
Sicher ist es möglich, dass einige rechte Kandidat_innen bei den Betriebsratswahlen gewählt werden. Doch den Protagonist_innen der Kampagne dürfte klar sein, dass sie zu wenig Ressourcen, geschultes Personal und Erfahrung haben, um ernsthaft Betriebsratsarbeit leisten zu können. Es geht vielmehr um die symbolische Inszenierung von Realpolitik. Die Kampagne dringt ohne großen Aufwand in einen Diskursraum vor, der noch weitestgehend als links besetzt gilt. Ihre Präsenz schafft ein Deutungs- und Handlungsangebot für Beschäftigte, die empfänglich sind für rechte Propaganda.
Symbolische Inszenierung von Realpolitik
Die Gewerkschaften sollen aus Furcht vor Mitgliederschwund in ihrer antirassistischen Haltung einknicken, während rechtsgesinnte Arbeiter_innen ermutigt werden, am Arbeitsplatz offen Rassismus zu propagieren. Die Kreise um Ein Prozent dürften zudem auf eine Welle gewerkschaftlicher Empörung hoffen, die weit über die reale Bedrohung hinausschießt. Unüberlegtes Handeln, überstürzte oder falsch wiedergegebene Aussagen aus Gewerkschaftskreisen könnten der Neuen Rechten helfen, einen Skandal zu inszenieren, der schlagartig den Bekanntheitsgrad von »Werde Betriebsrat« vergrößern könnte.
Die Aktivitäten von Ein Prozent zielen somit darauf ab, die Reichweite extrem rechter Deutungsangebote durch professionelle Öffentlichkeitsarbeit zu vergrößern. Angeschlossen wird dabei zum Teil an Einstellungen in der Bevölkerung. Das gilt auch dort, wo die Kampagne »Werde Betriebsrat« sich auf konkretes Handeln in Betrieben bezieht oder Forderungen an die Politik stellt. Es wäre fatal, aus Verunsicherung über manifest werdende rechte Haltungen in den Betrieben die Propaganda und die Deutungen von Ein Prozent mit Arbeiterinteressen zu verwechseln. Wer das tut, geht der Strategie der Neuen Rechten auf den Leim. Das Verhältnis der Kampagne zu ihrem Zielpublikum ist damit vor allem instrumentell.
Es gilt daher, die Selbstdarstellung und die Propaganda der Kampagne nicht mit realem Einfluss zu verwechseln. Stattdessen lohnt sich ein Blick auf den Kontext: So sind es nur rund 30 Personen - dem Äußeren nach fast ausschließlich aus dem Umfeld der Identitären Bewegung -, die im Januar den Weg zum Vortrag ins IB-Hausprojekt in Halle fanden. Bei Arbeiter_innen scheint kein großes Interesse zu bestehen. Stattdessen protestieren etwa 100 Gegendemonstrant_innen und die Organisator_innen wirkten missgelaunt und ratlos. Die Kampagne wird nicht in der Lage sein, in kurzer Zeit unerfahrenen Personen das nötige Wissen für entsprechendes Auftreten und Betriebsratsarbeit zu vermitteln.
Jedoch: Auch die Unerfahrenheit der AfD im parlamentarischen Betrieb wurde stets betont. Trotzdem konnte sich die Partei von Erfolg zu Erfolg hangeln - letztlich ohne sich konstruktiv am parlamentarischen Betrieb zu beteiligen. Auf diesen Effekt hoffen auch die Akteure hinter »Werde Betriebsrat«.
Michael Barthel ist Sozialwissenschaftler und schrieb in ak 631 über die Neue Rechte und die soziale Frage. Anna-Lena Herkenhoff ist Mitarbeiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsetxremismus in Münster.
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine redaktionell bearbeitete und gekürzte Fassung des Artikels »Kampagnenarbeit im vorpolitischen Raum - Das Beispiel Werde Betriebsrat« aus: Alexander Häusler (Hrsg.): Völkisch-autoritärer Populismus. Der Rechtsruck in Deutschland und die AfD. Eine Flugschrift. Der Band erscheint im März 2018 im Hamburger VSA-Verlag.
Anmerkung:
1) Stefan Dietl: Die AfD und die soziale Frage. Zwischen Marktradikalismus und »völkischem Antikapitalismus«. Münster 2017, Seite 118f.