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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 635 / 20.2.2018

Schwarze Deutsche Geschichte

Black History Zwischen Stereotypen und Selbstermächtigung - einige Aspekte der Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland

Von Sue Dania

»Kann es auch mal einen Afrikaner geben, der weniger Lust auf Sex hat als normale Männer? Stimmen all die Mythen, die es über die Männlichkeit des Afrikaners gibt - oder gibt es auch mal Ausnahmen?« Ich befinde mich auf einem Forum, in dem sich vornehmlich weiße deutsche Frauen über ihre Liebesbeziehungen austauschen, als ich über diese Frage stolpere. Aber eigentlich könnte ich mich auch an jedem anderen Ort aufhalten. Wer kennt nicht das Klischee des triebhaften Afrikaners? Es ist nur eines von vielen Stereotypen, die bestimmt sind von einem Wir- und Die-Denken, und die Schwarzen Menschen permanent begegnen. Es geht hierbei weniger um Afrikaner, als um Schwarze Menschen im Allgemeinen, ebenso wie es nicht um Erfahrungen geht, sondern um rassistische Vorurteile, die im deutschen Bewusstsein tief eingebettet sind. Etwa seit dem 17. Jahrhundert sind Lebensberichte von Schwarzen Menschen in Deutschland dokumentiert. Immerhin bis in die 1970er Jahre hat es gedauert, um sich von wissenschaftlichen Theorien abzuwenden, die Menschen mit Hilfe von Rassenkonzepten klassifizieren und aufgrund von phänotypischen Merkmalen bestimmte Eigenschaften zuschreiben.

Im Zeitalter der Aufklärung wendete Emmanuel Kant die Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Rassentheorien auf Menschen an. Diese unter Berufung auf die Vernunft aufgestellten Theorien, propagierten Jahrhunderte lang die Überlegenheit einer weißen Rasse. Den natürlichen Gegenpol zur weißen Rasse bildete diesen Theorien zufolge die Schwarze Kreatur.

Das Bild von Schwarzen ist heute sehr nachhaltig von dieser Ära geprägt. Kant und seine Gesinnungsbrüder schrieben auf Grundlage von vermeintlichen biologischen Unterschieden Schwarzen Menschen bestimmte Eigenschaften zu. In diesem Zusammenhang wurden Schwarze Menschen als zu Bildung unfähig, geistig minderwertig und triebgesteuert charakterisiert. Die Unterwerfung des Schwarzen Menschen konnte demnach lediglich als Konsequenz einer natürlichen Ordnung begriffen werden.

Erschreckend ist, dass Schwarze Menschen heute noch mit denselben Vorurteilen zu kämpfen haben. Schwarze Menschen gelten bis heute tendenziell als kriminell, triebgesteuert, infantil, faul und weniger intelligent als Weiße. In allen Lebensbereichen ist das Bild von Schwarzen Menschen hierzulande in einem großen Maß von Rassismus bestimmt. Besorgniserregend ist dabei, dass dieser permanent negiert wird.

Koloniale Kontinuitäten

Wenn ich an Rassismus denke, denke ich vor allem an eine innere Haltung gegenüber nichtweißen Menschen und an die fehlende Bereitschaft, sich mit dieser inneren Haltung auseinanderzusetzen. Rassismus ist hierzulande allgegenwärtig, aber niemand bringt sich selbst mit ihm in Verbindung. Der gemeine Deutsche versteht nicht, warum hunderte von Menschen in Berlin unter dem Aufhänger Black Lives Matter auf die Straßen gehen, wo doch rassistische Polizeigewalt in ihren Augen eindeutig ein US-Amerikanisches Problem ist. Aber auch Europas koloniale Vergangenheit ist für die Meisten nicht unbedingt ein deutsches Kapitel.

Vielleicht liegt es an der verhältnismäßig kurzen kolonialen Epoche, dass die deutsche Verantwortung während der Kolonialzeit hierzulande so spärlich behandelt wird. 1884 lud Kaiser Bismarck die europäischen Kolonialmächte zur berüchtigten Kongokonferenz ein, um die Aufteilung Afrikas gemeinsam zu besiegeln. Während andere europäische Nationen einen großen Teil des afrikanischen Kontinents bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewaltsam in Besitz nahmen, begnügte sich Deutschland für eine gewisse Zeit mit einem wirtschaftlichen Kolonialismus. Das heißt, dass man sich auf den Handel mit Gütern und Menschen aus Afrika begrenzte. Erst im Zuge der Kongokonferenz ging Deutschland dazu über selbst zu besetzen. Nach der Niederlage im ersten Weltkrieg gab Deutschland alle Territorien wieder ab.

Heute scheint nur ein sehr kleiner Teil der Deutschen in der Lage dazu zu sein, einen Zusammenhang zwischen der kolonialen Ausbeutung Afrikas und der Ankunft von Geflüchteten herzustellen. Stattdessen fühlt man sich bestätigt in den Vorurteilen über die unmündigen Afrikaner_innen, die nicht in der Lage sind, Frieden und wirtschaftliche Unabhängigkeit auf dem eigenen Kontinent zu herzustellen. Das ist kein Wunder, wenn man darüber nachdenkt, wie unzureichend die deutsche koloniale Vergangenheit aufgearbeitet wird. Aufklärung leisten heute zu einem großen Teil Schwarze Deutsche, die beispielsweise deutsche Kolonialgeschichte zugänglich machen, indem sie Schulmaterial produzieren und eine Auseinandersetzung vorantreiben. Dazu gehören aber auch Führungen durch Spuren der deutschen Kolonialvergangenheit, wie man Sie hier in Berlin noch vielerorts vorfindet. Seit Jahren fordern Schwarze Initiativen die Umbenennung rassistischer Straßennamen, die im Berliner Stadtteil Wedding an namenhafte Kolonialverbrecher erinnern - mit geringem Erfolg. Auch die erschöpfend lange Diskussion um die Anerkennung des Völkermordes an den Herero und Nama in Namibia reiht sich in eine deutsche Tradition des Nicht-Anerkennens ein.

Die Belange Schwarzer Menschen und ihre Lebenssituation in Deutschland scheinen irgendwie übersehen oder schlicht vom Tisch gekehrt zu werden. Wenn Rassismus auch noch von staatlicher Seite nicht anerkannt oder gar gefördert wird, spricht man von strukturellem Rassismus. Genau das bestätigt Anfang 2017 eine Expertenkommission der Vereinten Nationen, die die Situation Schwarzer Menschen in Deutschland untersucht: Schwarze Menschen in Deutschland werden massiv strukturell diskriminiert. Besonders hervorgehoben wurde dabei die Bedeutung von Racial Profiling. Eine Praxis, die auf eben solchen rassistischen Stereotypen beruht, und die People of Color gegenstandslos kriminalisiert. Bei den meisten in Deutschland lebenden Schwarzen Menschen löst der Befund der Expertenkommission keine große Verblüffung aus. Stattdessen sind es Menschen aus den Reihen der privilegierten Mehrheitsgesellschaft, die sich in den Kommentarspalten von der Thematisierung von Rassismus gehörig auf den Schlips getreten fühlen.

Community und Safe Spaces

Auch deswegen fasst man als Schwarze Person irgendwann den Entschluss, dass es zu viel Energie kostet, immer wieder die gleichen Diskussionen über Rassismus führen zu müssen. Stattdessen entwickelt sich häufig ein starkes Bedürfnis nach Schutzräumen, in denen man sich von einem Alltag erholen kann, in dem man ständig eigene Diskriminierungserfahrungen erläutern muss. Deshalb schaffen sich Schwarze Menschen Räume, in denen man nicht stereotypisiert wird und in denen einem die eigenen Erfahrungen und Gefühle nicht abgesprochen werden. Lange Zeit waren diese Schwarzen Communities vor allem Gruppen, die sich mit dem Hintergrund gemeinsamer Ursprungsländer, Sprachen oder religiöser Zugehörigkeiten zusammenfanden. Aber auch Schwarze Student_innen oder Arbeitervereine organisierten sich bereits seit der Weimarer Republik zu Verbänden, die durch gemeinsame Marginalisierungserfahrungen miteinander verbunden waren.

In den 1980ern vernetzten sich die Schwarzen Communities stärker bundesweit und Schwarze Menschen engagierten sich gemeinsam und öffentlich gegen Rassismus. Als Beginn dieser Neuen Schwarzen Bewegung gilt die Arbeit an dem 1986 veröffentlichten Buch »Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte«, das unter anderem von zwei Aktivistinnen der afrodeutschen Frauenbewegung veröffentlicht wurde. In dem Buch wird die Lebensrealität Schwarzer Menschen in Deutschland und vor allem die rassistische deutsche Vergangenheit und Gegenwart dokumentiert. Im Entstehungsprozess der Publikation gründete sich die ISD (Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland), sowie der Schwesternverein ADEFRA (Schwarze Frauen in Deutschland), die inzwischen seit über 30 Jahren ein wichtiger Teil der Neuen Schwarzen Bewegung darstellen. Die Vereine sind nur zwei von vielen anderen, die (identitäts-)politische Arbeit leisten und eine Schwarze Perspektive in vorherrschende Rassismusdiskurse hineintragen. Insbesondere die ISD zeichnet sich durch Vernetzungsarbeit mit Schwarzen Communities und Einzelpersonen aus, indem sie zum Beispiel ein jährliches Bundestreffen organisiert, bei dem sich Schwarze Menschen austauschen. Das Bedürfnis, nach Schwarzen Safe Spaces, ist in den letzten Jahrzehnten nicht kleiner geworden, sondern sorgte dafür, dass diese auf immer mehr Lebensbereiche ausgeweitet werden. Vor allem in den größeren deutschen Städten entstehen immer mehr Schwarze Kinder- und Jugendräume, Elterninitiativen, politische Gruppierungen sowie alle denkbaren Formen von Freizeit- , Bildungs- und Kulturveranstaltungen, die exklusiv oder primär Schwarze Menschen adressieren und empowern sollen.

Empowerment heißt nicht zuletzt Kraft zu schöpfen aus gemeinsamen Marginalisierungserfahrungen. Der Austausch und die Vernetzung innerhalb der Communities bewirkt, dass Schwarze Menschen sich in ihren Kämpfen miteinander solidarisieren können. In einem weißen Umfeld aus der Isolation zu treten heißt oft zu erkennen, dass die Erfahrungen, die man als Schwarzer Mensch macht, keine individuellen Erfahrungen, sondern Teil eines Systems sind, das einen Großteil seiner Macht aus der systematischen Unterdrückung von Minderheiten schöpft.

Sue Dania studiert Sprach- und Literaturwissenschaften und befasst sich tiefgreifend mit afrodiasporischer Identität.