Feiger Grundkonsens
Diskussion Lisa Mangold von der Initiative Verlage gegen Rechts im Vorfeld der Leipziger Buchmesse zum Protest gegen Netzwerke rechter Ideologieproduktion
Interview: Claudia Krieg
Am 14. Oktober 2017 kommt es auf der Buchmesse in Frankfurt/Main zu tumultartigen Szenen. Am Stand des neurechten Verlages Antaios protestieren etwa 100 Menschen gegen die Buchvorstellung zweier führender Vertreter der »Identitären«. Diese nutzen den Protest für eine weitere ihrer medialen Selbstinszenierungen. Vor zahlreich vorhandenen Fernsehkameras rufen sie zu Sprechchören gegen die Protestierenden auf und suggerieren, die Leitung der Buchmesse Frankfurt entzöge ihnen das Recht der Meinungsäußerung auf der Messe. Mit Erfolg: Über Tage sind die Ereignisse Gegenstand der medialen Debatte über den Umgang mit der Neuen Rechten. Die »Identitären« empören sich über den Protest gegen sie, aus dem sie zugleich mithilfe permanenter Selbstthematisierung Nutzen ziehen. Sie sind in aller Munde - als Opfer. Die rechte Performance ist mit Hilfe des Protest und der medialen Begleitung bestens gelaufen: Die Leitung der Buchmesse positioniert sich nicht gegen die Rechten, sondern verurteilt »jede Form von Gewalt«. Der Protest habe »den Austausch von politischen Positionen verhindert« und werde daher als »Mittel der Auseinandersetzung nicht zugelassen.«
Lisa, wie hast du die Auseinandersetzungen bei der Frankfurter Buchmesse 2017 erlebt?
Lisa Mangold: Was in Frankfurt stattgefunden hat, war eine Instrumentalisierung von Protest und von spontanen Interventionen von Besucherinnen und Verlagsmitarbeiterinnen. Was viele überrascht hat, war, dass rechte Akteure den zivilen Ungehorsam oder auch den bürgerlichen Protest so für sich und ihre PR genutzt haben. Einige Verlage dachten, dass sie sich nicht explizit gegen rechte Ideologieproduktion positionieren müssen, da die eigenen Verlagsinhalte dagegen halten würden. Aber das stimmt nicht. Der Antaios Verlag hat zum Beispiel Flyer verteilt, auf denen Titel von großen Verlagen standen, die sie selber als rechts, nationalistisch, völkisch einordnen. Da bedanken sie sich quasi bei den Verlagen, dass die diese Titel gebracht haben. Da gab es dann die große Überraschung. Aber die Verlage müssen sich ihr Programm anschauen, sich mit Inhalten beschäftigen. Und aufmerksamer dafür werden, welche rechten und konservativen Positionen unkommentiert in ihren Programmen stehen.
Was wollt ihr in Leipzig anders machen, nach dem, was in Frankfurt passiert ist?
Unsere Idee von Verlage gegen Rechts und unser Hauptziel ist es, Messebesucherinnen und Verlagsmitarbeiterinnen dazu zu animieren, sich eine Position zu bilden. Wir wollen sie darin unterstützen, sich mit dem eigenen Programm auseinanderzusetzen, sich mit dem Programm und mit der Ideologie von rechten Verlagen und Akteuren zu beschäftigen und sich dann politisch zu positionieren. Wir haben ein Programm mit zwölf Veranstaltungen organisiert. Hier wollen wir uns mit Analysen von Rassismus, Faschismus oder Antisemitismus beschäftigen und gleichzeitig fragen, welche Utopien sind in der Literatur zu finden, die dem gegenüberstehen? Oder: Was können wir mit Literatur anregen? Es wird zum Beispiel eine Veranstaltung geben, wo es um die Frage geht: Kann Literatur Erfahrungen vermitteln und Vorurteile abbauen? Wir sprechen mit Autorinnen mit Fluchterfahrungen darüber, was deren Perspektive auf Literatur ist.
Findet auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit rechten Ideologien und Strategien statt?
Wir setzen uns mit rechten Ideologien auseinander, haben das allerdings auf sehr konkrete Themen beschränkt. Es wird eine Veranstaltung zu Antifeminismus geben, wo konkret gefragt wird: Welche Funktion hat antifeministische Propaganda derzeit in neurechten, reaktionären und konservativen Diskussionen? Uns ist es wichtig, sehr konkrete Fragestellungen zu haben, auch um Besucherinnen der Messe die Möglichkeit zu geben, sich damit zu beschäftigen, ohne überrannt zu werden. Wir wollen darüber sprechen, wie über Rechte geschrieben und berichtet werden kann. Aber da geht es uns eher um politische und methodische Fragen.
Wie setzen sich denn eure Unterstützerinnen zusammen? Gab es auf euren Aufruf Reaktionen von großen Verlagen? Was schlägt euch allgemein an Resonanz entgegen?
Unser Aufruf wurde bis jetzt von 65 Verlagen unterzeichnet und von mehreren Hundert Einzelpersonen. Die großen, bekannten deutschen Verlagshäuser fehlen. Wir fanden das vor allem am Anfang schade. Aber in der politischen Arbeit ist es eigentlich ein Geschenk, dass die Initiative von unabhängigen Verlagen getragen wird. Diese Verlage haben ein deutlicheres politisches Selbstverständnis. Sie sind es gewohnt, zu kämpfen und sich viel mehr mit Inhalten auseinandersetzen. Die unabhängigen Verlage wissen, dass unpolitisch sein Stagnation bedeutet. Und dass Kultur nie unpolitisch sein kann. So war unsere gemeinsame politische Arbeit und Erarbeitung von Themen sehr inspirierend. Ich weiß nicht, ob das mit großen Verlagshäusern auch so gewesen wäre. Bei unserer Veranstaltungsreihe haben wir Mitarbeiterinnen von größeren Verlagen eingeladen, die werden auch auf dem Podium sitzen und es gibt Einzelpersonen aus großen Verlagshäusern, die den Aufruf mit unterzeichnet haben. Gleichzeitig finde ich es interessant, was mir auf der Buchmesse in Frankfurt viel begegnet ist, als ich Kolleginnen an Ständen angesprochen habe. Es gibt so eine Vorstellung von: Unser Verlag ist an sich erstmal unpolitisch. Quasi als positives Selbstbild. Dazu kommt diese Vorstellung von Meinungsfreiheit, die bedeutet: Wir lassen alles zu, solange es nicht verfassungsfeindlich ist. Das scheint der feige Grundkonsens in der Buchbranche zu sein. Aber wir von Verlage gegen Rechts verstehen Meinungsfreiheit auch als den Widerspruch gegen Rechts. Meinungsfreiheit heißt, sich selber Gedanken zu machen, und sie auch zu äußern. Mir ist erst in diesem Zusammenhang aufgefallen, was es für eine politisch verklärte Version von Meinungsfreiheit gibt und wie sie zu einem Kampfbegriff der Rechten geworden ist, wenn sie kritisiert werden. Sie schreien nach Meinungsfreiheit und bringen damit ihre Gegner zum Schweigen.
Wobei dies ja kein Skandal ist, sondern Teil der rechten Strategie, sich in Räumen zu produzieren, in denen eine starke Resonanz vermutet wird?
Ja, diese rechte Strategie ist erstmal aufgegangen, immer wieder zu behaupten, ihnen würde die Meinungsfreiheit verweigert oder abgesprochen, um dann damit zu spielen zu können, dass die vermeintlichen Verteidiger der Meinungsfreiheit ihnen zustimmen und die Türen öffnen. Aber sie landen nicht mit jedem Stück. Zum Beispiel ist die IB jetzt mit ihrem Vorwurf der Zensur mittels dem Vergleich mit der Bücherverbrennung im bürgerlichen Spektrum ziemlich abgeblitzt. Und dennoch schaffen sie es dann wiederum damit, das Wort Zensur mit Verlage gegen Rechts in Verbindung zu bringen.
Wenn die Rechten als seriöse Quelle gelten, wäre es nicht an der Zeit, die eigenen Strategien von Protest zu befragen, ob sie noch sinnvoll sind?
Das haben wir. Wir können da dankenswerterweise auf Leute zurückgreifen, die sich die rechten Strategien, vor allem die der Identitären, angeschaut haben und uns Analysen liefern. So wie Judith Götz, die auf einer unserer Veranstaltungen sprechen wird. Aber wenn uns jemand ernsthaft fragt, warum jetzt niemand vom Antaios-Verlag oder von der AfD auf unserem Podium sitzt, dann muss ich ihm antworten: Die AfD war lange in allen Talkshows zu Gast und verbreitet ihre Ideologie nun vom Bundestag aus, da wird es doch Zeit, dass jetzt mal diejenigen reden, die vorher gar nicht oder nur wenig zu Wort gekommen sind. Wenn es um Rassismus geht, möchte ich nicht Rassisten befragen, sondern aus den Bücherregalen voller Analysen zu Rassismus auf einer Buchmesse diese Bücher vorstellen.
Wie hat die Leipziger Buchmesse auf eure Initiative reagiert?
Sie will dann aktiv werden, wenn verfassungsfeindliche Inhalte auftauchen. Nicht notwendig die Verlage, aber die entsprechenden Titel werden von der Buchmesse ausgeschlossen. Die Leipziger Buchmesse unterstützt Verlage gegen Rechts. Wir stehen in einem offenen und konstruktiven Austausch. Ich würde sagen, es hat einen Politisierungseffekt gegeben. Aber die Messe wird finanziell auch vom Land Sachsen mitgetragen und sie können sich nicht komplett allein aussuchen, wer ausstellt. Es wird weiterhin in juristischen Kategorien gedacht und zum Beispiel auf den Fall der Jungen Freiheit verwiesen, die sich vor einigen Jahren auf die Messe eingeklagt hat. Dann heißt es: »Solche Fälle können wir nicht gewinnen.« Ich würde mir wünschen, dass die Buchmesse da etwas mutiger ist.
Wie siehst du der konkreten Situation auf der Messe entgegen?
Ich freue mich auf Diskussionen und gemeinsame Aktionen. Ein Großteil der Besucherinnen und Ausstellenden hängt ganz sicherlich der Vorstellung an, dass sich die Auseinandersetzung mit den Rechten juristisch lösen lässt. Es gibt ein großes Vertrauen in den Staat, der das schon richtig prüfen wird. Und das nach fünf Jahren NSU-Prozess, der so deutlich gezeigt hat, wie sich Staat, Behörden und rechte Strukturen verstricken! Die Buchmesse hat entschieden, alle rechten Verlage in die Halle der Buchkunst zu verlegen. Dort haben jetzt die Kolleginnen die Initiative »Buchkunst gegen Rechts« gegründet, die auch mit uns vernetzt sind. Die Rechten sind zwar aus dem Laufpublikum raus und eher am Rand, aber eben auch als Block zusammen.
Mit wem arbeitet ihr darüber hinaus zusammen?
Wir arbeiten mit unterschiedlichen Leipziger Initiativen zusammen, von antifaschistischen Gruppen bis hin zu Akteuren aus der Gewerkschaft. Wir machen eine gemeinsame Kundgebung am Abend der Eröffnung am Mittwoch vor dem Leipziger Gewandhaus. Verlage gegen Rechts wird keine Proteste gegen rechte Veranstaltungen vorbereiten, andere Gruppen werden das sicher tun. Dazu rufen wir nicht auf, aber wir unterstützen uns hier gegenseitig und solidarisch.