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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 636 / 20.3.2018

Aufgeblättert

Identitäre

Der Titel des Sammelbandes »Untergangster des Abendlandes« geht zurück auf den österreichischen Schriftsteller Karl Kraus. »Er spielt dabei vor allem auf den konservativen Revolutionär, ideologischen Wegbereiter des Nationalsozialismus und in identitären Kreisen vielfach rezipierten Oswald Spengler und dessen Werk Der Untergang des Abendlandes an«, schreiben die Herausgeber_innen, die sowohl über wissenschaftliche Expertise wie auch antifaschistische Praxis verfügen. Ihr Buch über »Ideologien und Rezeptionen der rechtsextremen Identitären« bietet eine fundierte Analyse einer neuen Rechten und vor allem der Werkzeuge, derer sie sich bedient. Wie kaum eine andere rechte Strömung verstehen es die Identitären, sich Asthetik und die sozialen Medien zunutze zu machen. Anders als üblich wird in dem Buch nicht die soziokulturelle Herkunft rechter Akteur_innen fokussiert, vielmehr geht es um deren strategische Rolle und die Art und Weise, wie sie sich und somit die »neue« Rechte inszenieren. Wer wissen will, wie Annäherungsversuche der Identitären Bewegung an Russlands Neue Rechte aussehen, stößt auf Unterschiede, aber auch Parallelen, die sich vor allem in der Theorie widerspiegeln. Dabei verzichten die Autor_innen auf Panikmache, sondern konzentrieren sich auf das identitäre Erfolgsrezept - und die Frage, was dem entgegengesetzt werden kann. Entstanden ist eine spannende Mischung aus politikwissenschaftlicher, soziologischer wie auch aktivistischer Perspektive.

Nina Böckmann

Judith Goetz, Joseph Maria Sedlacek, Alexander Winkler: Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen Identitären. Marta Press, Hamburg 2017. 434 Seiten, 20 EUR.

Andrej Holm

Oft widmen sich biografische Texte dem Leben ergrauter Staatsmänner. Beides trifft auf den Berliner Stadtforscher Andrej Holm nicht zu. Ergraut ist er noch nicht, und »Staatsmann« war er nur für kurze Zeit. Nach seiner Nominierung durch die LINKE für den Posten als Berliner Staatssekretär für Wohnen war eine Diskussion um seine Stasi-Vergangenheit losgebrochen, die schließlich zu seinem Rückzug führte. Samuel Stuhlpfarrer hat diese öffentliche Debatte zum Anlass genommen, ausführliche Gespräche mit Andrej Holm zu führen. Sie ermöglichen nicht nur einen Streifzug durch die Geschichte linker und linksradikaler Politik der letzten 30 Jahre, sondern auch eine ernsthafte Auseinandersetzung damit. Besprochen werden Holms Kindheit und Jugend in der DDR, die Hausbesetzungen Anfang der 1990er Jahre, die staatliche Repression gegen ihn als vermeintliches Mitglied der militanten gruppe, bis hin zu seinem akademischen und aktivistischen Engagement in den Kämpfen um Wohnraum. Die wenigen Wochen, die Holm das Staatssekretärsamt dann tatsächlich bekleidet hat, lassen ein wenig erahnen, welche Konflikte sich noch aufgetan hätten, zwischen der Partei, der staatlichen Bürokratie und der Mieterbewegung. Die breite Unterstützung für seine Person hat gezeigt, dass auch viele aus den Bewegungen dieses Experiment gerne gewagt hätten. Aber letztlich reichte sie nicht aus, um zu erfahren, wie Andrej Holm sich denn als ergrauter Staatsmann gemacht hätte.

Leo Kühberger

Kommen. Gehen. Bleiben. Andrej Holm im Gespräch mit Samuel Stuhlpfarrer. Mandelbaum Verlag, Wien 2017. 252 Seiten, 16 EUR.

Sozialgeschichte

Sozial.Geschichte Online - so heißt eine Zeitschrift, die sich seit 2009 der historischen Analyse des 20. und des 21. Jahrhunderts widmet. Das Besondere: Die Zeitschrift erscheint - wie der Name bereits vermuten lässt - im Netz und kann kostenlos heruntergeladen werden. Die aktuelle Ausgabe ist nun, vielleicht einmalig, als gedruckte Fassung erhältlich. Die Themen der Ausgabe: vielfältig in Form und Inhalt. Die Spannweite lässt sich durch zwei Beiträge darstellen: Der Rassismusforscher Wulf D. Hund weist nach, dass der bekannte US-amerikanische Politikwissenschaftler Eric Voegelin alles andere als ein früher Kritiker des Rassismus war, wie viele meinen. Im Gegenteil: Voegelin trat noch in den 1930er Jahren ein für ein geisteswissenschaftliches Rassedenken. Der Beitrag von Peter Birke, der selbst Redaktionsmitglied der Zeitschrift ist, hat die Debatte um Didier Eribons »Rückkehr nach Reims« (ak 619) zum Thema. So kritisiert Birke die (auch bei Eribon zu findende) Fixierung auf eine adäquatere Repräsentation der Arbeiterklasse. Grundlegende Probleme, die im Buch angesprochen werden, blieben so unbeachtet. Zwischen den Beiträgen finden sich Arbeiten der Künsterlin Katarina Despotovic. Sie hat Menschen im migrantisch und proletarisch geprägten Göteborger Quartier Kvillebäcken fotografiert. Online wie offline: Die Beiträge sind durchweg lesenswert - und mit stark antiautoritärem Einschlag. Ein Manko: Es sind ausschließlich männliche Autoren beteiligt.

Theo Schuster

Sozial.Geschichte Online Nr. 21. Janus Projekte, Köln 2017. 268 Seiten, 10 EUR.

Fußball im NS

2016 zeigte die KZ-Gedenkstätte Neuengamme im Hamburger Rathaus erstmals ihre Wanderausstellung zum Thema Hamburger Fußball im Nationalsozialismus. Der jetzt erschienene Sammelband der Gedenkstätte »Fußball in der nationalsozialistischen Gesellschaft: Zwischen Anpassung, Ausgrenzung und Verfolgung« ist thematisch weiter gefasst. Dietrich Schulze-Marmelings einleitender Beitrag fasst die Politik des deutschen Fußballs in den Jahren 1933 bis 1945 zusammen, widmet sich aber auch der Zeit danach: dem »langen Weg zur Aufarbeitung der Geschichte«. Trotz der freiwilligen Selbstgleichschaltung, insbesondere durch den Ausschluss jüdischer Spieler, gab man sich nach 1945 unbelastet. »Der DFB hat sich im Dritten Reich glänzend aus der Affäre gezogen«, befand die »Reporterlegende« Rudi Michel noch 2006. Kritiker wie der fußballbegeisterte Publizist Walter Jens galten lange Zeit als Nestbeschmutzer. Lesenswert in dem sorgfältig lektorierten Sammelband sind auch Beiträge über jüdischen Fußball in Hamburg, Fußball in Konzentrationslagern und Antisemitismus von Fans seit den 1980er Jahren. Florian Schuberts Beitrag zu diesem Thema endet mit dem Appell: »Wenn Antisemitismus zurückgedrängt werden soll, müssten sich Vereine und Verbände des Problems Antisemitismus im Fußball stärker annehmen, statt sich im Leugnen und Verharmlosen zu üben.«

Jens Renner

KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Fußball in der nationalsozialistischen Gesellschaft: Zwischen Anpassung, Ausgrenzung und Verfolgung. Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland 18. Edition Temmen, Bremen 2017. 202 Seiten, 14,90 EUR.