Der Kampf um die besten Plätze
Deutschland »Lebensschützer« und andere Antifeminist_innen investieren erfolgreich in die Optimierung ihrer Webseiten für Suchmaschinen
Von Tina Reis
Die Verurteilung von Kristina Hänel am 24. November 2017 zu einer Geldstrafe aufgrund des Verstoßes gegen Paragraph 219a hat eine Debatte neu ins Rollen gebracht. Der Paragraph verbietet die »Werbung« für Schwangerschaftsabbrüche. Nun wird im Bundestag diskutiert, ob Ärzt_innen über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen. Zwar stellt, wie Eike Sanders vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) schreibt, nur ein radikaler, kleiner Teil der Bewegung Strafanzeigen gegen Ärzt_innen. Der professionalisierte Teil der »Lebensschützer« setzt weiterhin auf Lobbyarbeit und versucht, medizinisches Personal als Verbündete zu gewinnen. (1)
Dass »Lebensschützer« verhindern wollen, dass Informationen über Schwangerschaftsabbrüche im Umlauf sind, ist eine Fehlannahme. Wer wissen will, wie viel ein Abbruch kostet und welche Schritte dafür notwendig sind, findet diese Informationen auf »Lebensschutz«-Webseiten. Doch zugleich nutzen »Lebensschützer« den Bedarf an Informationen, um gezielt ihre eigenen Inhalte zu platzieren und Schwangere anzusprechen. Dafür greifen sie in weitaus stärkerem Maße als andere antifeministische und rechte Gruppierungen gezielt auf Suchmaschinenoptimierung (SEO) zurück.
Der Suchbegriff macht den Unterschied
Eine gute Platzierung in den Suchergebnissen ist im Gegensatz zu bezahlten Anzeigen, die ganz oben stehen und als solche markiert sind, nicht käuflich, sondern unterliegt Algorithmen, mit denen Suchmaschinenbetreiber_innen bestimmen, welche Seiten relevant für einen Suchbegriff sein sollen. Je nach Ausmaß der Konkurrenz für einen Suchbegriff ist SEO dennoch kostspielig, weil der Aufwand groß ist. An Aufbau und Inhalt der »Lebensschutz«-Seiten ist erkennbar, dass die Bewegung hier viel investiert und es sich um eine gezielte Strategie handelt.
Die AfD-Abgeordnete Mariana Iris Harder-Kühnel erklärte in ihrer Rede im Bundestag am 1. März 2018, dass eine Google-Suche nach »Schwangerschaftsabbruch« schon alle Informationen liefere, die man brauche, und Paragraph 219a deshalb keineswegs den Zugang zu Informationen einschränke. Ironischerweise handelt es sich bei »Schwangerschaftsabbruch« um einen der wenigen Suchbegriffe, bei denen in den Ergebnissen die »Lebensschutz«-Webseiten nicht dominant sind. Bei dem weitaus häufiger gesuchten Begriff »Abtreibung« und bei verwandten Wörtern wie »Abtreibung Kosten« und »Abtreibungspille« sind »Lebensschutz«-Seiten stark vertreten, teilweise liegen sie auf dem ersten Platz.
Der Heidelberger Verein Pro Femina e.V. mit seiner Webseite profemina.org geht in dieser Hinsicht voran. Profemina.org ist unter anderem auf den Suchbegriff »Abtreibung« optimiert. Mit einem durchschnittlichen monatlichen Suchvolumen von 33.100, einer hohen Anzahl von Suchanfragen, dürften sie dadurch viele Menschen erreichen, zumal weitere Suchbegriffe hinzukommen.
Neutraler Anstrich und individuelle »Beratung«
Auf der Seite selbst gibt der Verein an, Schwangerschaftskonfliktberatung anzubieten, und gibt sich einen entsprechend neutralen Anstrich. Es ist daher schwer, die Seite auf denersten Blick der »Lebensschutz«-Bewegung zuordnen zu können, denn die Texte verzichten auf dramatisierende Sprache und blutige Bilder von Embryos, wie sie sonst in einschlägigen Publikationen üblich sind. Der »Lebensschutz«-Einschlag zeigt sich nur noch in der dramatischen Beschreibung der vermeintlichen seelischen und körperlichen Folgeschäden eines Abbruchs, die ganz klar der Abschreckung dienen und wissenschaftlich nicht haltbar sind.
Statt durch dramatische Beschreibungen und Bilder zu beeinflussen, tritt Pro Femina e.V. lieber direkt mit Schwangeren in Kontakt: Durch die scheinbare Neutralität der Webseite erweckt der Verein zunächst Vertrauen, um dann in der direkten »Beratung« von einem Abbruch abzuhalten. Die Seite ist darin so weit professionalisiert, dass sie sogar einen »Abtreibungstest« anbietet: 13 Fragen zu Situation, Status der Schwangerschaft und Persönlichkeit sollen Entscheidungshilfe bieten. Nach dem Ausfüllen wird eine Rückmeldung durch »Berater« innerhalb von 24 Stunden versprochen. Der Test ist ganz offensichtlich darauf ausgerichtet, die »Beratung« auf die individuelle Person zuzuschneiden und dadurch besser Druck ausüben zu können.
Der Vorsitzende Kristijan Aufiero pflegt Kontakte zur Jungen Freiheit und erklärt auf 1000plus.net, der zweiten Internetpräsenz von Pro Femina e.V., sein Verein habe »tausende Menschen daran erinnert, dass sie ... die Freiheit besitzen, sich für das Richtige zu entscheiden«. Sätze wie dieser fehlen auf profemina.org, zeigen sie doch klar das Leitbild des Vereins: Er geht davon aus, Abtreibungen entstünden immer aus einer Notsituation heraus, und mit der richtigen Hilfestellung würden sich Schwangere selbstverständlich für das Kind entscheiden und voll in der Mutterrolle aufgehen. Körperliche Selbstbestimmung kommt in diesem Weltbild nicht vor: Schwangere, die einen Abbruch erwägen, sind hier vorrangig Opfer, die auf den richtigen Weg zurückgeführt werden müssen. Dass sie nicht nur »helfen«, sondern Ängste überhaupt erst schüren, indem sie Risiken erfinden und dramatisieren und heimtückisch behaupten, ein Abbruch würde oft zur Trennung vom Partner führen, steht auf einem anderen Blatt.
SEO ist für »Lebensschützer« in mehrfacher Hinsicht ein effektives Mittel der Wahl. Schwangere direkt anzusprechen und von einem Abbruch abzuhalten, war schon immer eine ihrer Taktiken: Bei sogenannten Gehsteigberatungen belästigen »Lebensschützer« Schwangere vor Klinken und Arztpraxen auf dem Weg zu einem Abbruchtermin. Gerichte haben dies jedoch mittlerweile in einigen Städten untersagt. Über gute Platzierungen in Suchergebnissen entgehen sie diesen Verboten und erhalten dennoch Zugriff auf ihre Zielgruppe. Zudem vermeiden sie feministischen Protest, weil sich gegen Suchergebnisse schwer eine Kundgebung organisieren lässt. Sie machen sich dabei zunutze, dass es schon vor dem Gang zu einer Beratungsstelle oder einem Arzt bzw. einer Ärztin Informationsbedarf gibt. Für viele Menschen, die unsicher sind, ob sie ihre Schwangerschaft beenden wollen, sind Suchmaschinen in dieser frühen Phase der Entscheidung vermutlich der erste Anlaufpunkt, wie das Suchvolumen zeigt.
Es bleibt daher wichtig, die Motive von Webseiten wie profemina.org, pro-leben.de oder abtreibung.de öffentlich zu machen, um die Täuschungsversuche ins Leere laufen zu lassen. Das wird aber nicht ausreichen. Es gibt gute feministische Inhalte zu Schwangerschaftsabbrüchen im Internet, doch sie sind bei Google nicht gut aufgestellt. Wichtig wäre daher, »Lebensschützern« aktiv mit SEO Konkurrenz zu machen.
Denn die »Lebensschützer« sind nicht die einzige antifeministische Bewegung, die auf SEO setzt. Auch Seiten wie wikiMANNia, die Internetplattform der »Maskulinisten«-Bewegung, sind damit erfolgreich. Dabei sind sich die Macher_innen feministischer Webseiten über die Bedeutung von SEO durchaus bewusst. Teilweise wird das Potenzial jedoch auch noch unterschätzt. Und es mangelt an Kapazitäten: SEO ist aufgrund des Aufwands schwierig umzusetzen, vor allem wenn es um begehrte Suchbegriffe mit einem hohen Suchvolumen geht. So wird SEO meist nur als Anhängsel eines Webprojekts gesehen, das eigentlich andere Ziele verfolgt. Doch Suchmaschinenoptimierung lässt sich auch als eigenes politisches Projekt verstehen, als Unterstützung bestehender Webseiten mit Ressourcen und Arbeitskraft, oder aber durch den Aufbau einer Webseite, die eigens darauf ausgerichtet ist, »Lebensschützern« bei Google Konkurrenz zu machen. Denn dass sich Menschen auf der Suche nach Informationen zuerst an Google wenden, wird sich so schnell nicht ändern. Dieses Potenzial haben Rechte längst erkannt.
Tina Reis lebt in Berlin und ist dort in queer-feministischen Kontexten aktiv, vor allem im Bereich reproduktive Rechte und Netzpolitik.
Anmerkung:
1) Eike Sanders: Lahmende Lobby »Lebensschutz«-Bewegung. 2017. www.apabiz.de/2018/lahmende-lobby-lebensschutz-bewegung.
Feminist Clickback
unterstützt feministische Webseiten, Suchmaschinenoptimierung gezielt anzuwenden. Das Kernstück des Projekts ist eine Broschüre, die Antworten auf folgende Fragen liefert: Wie geht Google mit feministisch-relevanten Suchbegriffen um? Wie funktionieren Suchmaschinen und wie können feministische Webseiten SEO strategisch nutzen? Dazu gibt es praktische Anleitungen und Workshops. Die Broschüre ist als PDF unter feministclickback.org erhältlich.