Teilen als preußische Tugend
Kultur Das Berliner Humboldt Forum sollte sich der Idee von Reparationen öffnen, statt Kulturobjekte aus ehemaligen Kolonien zu Geteiltem Erbe zu deklarieren
Von Luca Vogel
»Meins ist meins und deins ist unsers« - so bringt Kwame Opoku die vermeintliche Logik des Konzepts Geteiltes Erbe (Shared Heritage) auf den Punkt. (1) Eine seltsame Vorstellung vom Teilen sei das, die sich hinter diesem Prinzip verberge. Die staatliche Stiftung Preußischer Kulturbesitz möchte in dem neugebauten Humboldt Forum ihre sogenannten außereuropäischen Sammlungen ausstellen - darunter viele Kulturgüter, die von den Nachfahren der kolonisierten Völker zurück gefordert werden. Um dieses Vorhaben gegen wachsende Kritik zu verteidigen, erklärt sie einseitig alle Objekte zu Geteiltem Erbe. Diese neue Kommunikationsstrategie soll ausdrücken, dass die Objekte hier lediglich besonders gut verwahrt würden, man sie aber gerne in Zusammenarbeit mit Forscher_innen oder Kurator_innen aus den Herkunftsgesellschaften erschließe und natürlich für alle Welt zugänglich mache.
Zynisch findet Opoku solche Aussagen, da dem Großteil der Menschen aus den ehemaligen Kolonien immer noch der Zugang zu Europa verwehrt werde. Der Plan, ein Inventar des Museums online zu stellen, ändert rein gar nichts an diesem ungleichen Zugang. Selbst für den Beirat suchten sich die Deutschen die Vertreter_innen Afrikas oder Asiens selbst aus, und nicht etwa aus denjenigen Gemeinschaften, um deren Kultur es gehe, so Opoku. Vor allem aber würde keiner der Freunde des Konzepts auf die Idee kommen, es auch umgekehrt auf wichtige Kulturgüter Europas, anzuwenden: die Gebeine deutscher Freiheitskämpfer zu Forschungszwecken dauerhaft in Daressalam zu verwahren oder die Quadriga des Brandenburger Tors wieder einer anderen Hauptstadt zu überlassen, oder gar die Mona Lisa einem Museum in Bangoulap zur freien Verfügung zu übergeben. (2) Vor allem, ohne dass die ursprünglichen Besitzer_innen an den Einnahmen aus Museumseintritten und dem Gewinn durch die gestiegene Attraktivität für den Tourismus beteiligt werden. Es geht hier nämlich nicht nur um Fragen der Symbolik, sondern auch um den Wettbewerb zwischen Berlin, Paris und London und somit um Millionen von Euro, die eben nicht geteilt werden sollen.
Bei diesem »Sharing« geht es eher darum, von der unangenehmen Frage nach der Legitimität des eigenen Eigentums an den Objekten abzulenken. Die Eigentumsfrage soll sich gar nicht mehr stellen, weil alles allen gemeinsam gehört. Unsere Geschichten seien so verwoben, dass die Museen sich einfach beständig untereinander austauschen könnten - Leihgebühren erübrigen sich quasi. Nur können sich die ehemals kolonisierten Länder meistens bis heute nicht die Museen und die Fachleute leisten, die dazu rein technisch in der Lage wären. Ganz abgesehen davon, dass sie über gar keine vergleichbaren Sammlungen an Ethnologica oder historischer Kunst verfügen, die sie tauschen könnten. Das sind Spätfolgen einer Zeit, in der die Europäer_innen in anderen Weltregionen Objekte sammelten ausbeuteten. Diese konkrete, materielle Ungleichheit machen Kritiker_innen des Humboldt Forums sichtbar.
Preußische Neugier auf das »Andere«
So sind sich die drei weißen, männlichen Gründungsintendanten nicht zu schade, dass Humboldt Forum in eine Traditionslinie mit der Kunstkammer im Preußenschloss zu stellen, an deren »Tugenden« sie zudem anknüpfen wollen, allen voran an die »wissenschaftliche Neugier auf das Fremde und das Andere in der Welt.« Da passt es ins Bild, dass man sich die Mühe macht, über 100 Millionen Euro privater Spenden zu sammeln, um dem Neubau auch noch die originalgetreu rekonstruierte Fassade des Preußenschlosses, das einst dort stand, angedeihen zu lassen. Schlimmer noch sind aber die Kontinuitäten unter dieser Oberfläche: So urteilt Friedrich von Bose, der zum Planungsprozess des Humboldt Forums promoviert hat, das westliche Selbst sei das unbenannte Zentrum von Definitionsmacht geblieben, welches es schon zu Zeiten der Kunstkammer war. Als vermeintlich neutraler Gastgeber und Betrachter der Anderen entscheide es letztlich immer noch allein inwiefern der versprochene Perspektivwechsel stattfinden dürfe. Die Äußerungen der Gründungsintendanten findet Bose dabei besonders bemerkenswert, weil »keine Verbindungslinien zwischen der Geschichte der Museen, für welche die Kunstkammer steht, und der politischen Geschichte Brandenburg-Preußens, für die der Palast als Herrschaftsresidenz diente, gezogen würden.«
Dabei sei die Zeit der Kunstkammer im Palast sowie die Zeit der Entstehung der barocken Fassade, die man jetzt kopiert, exakt die selbe Zeit gewesen, zu welcher der dort residierende Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg die erste deutsche Kolonie an der afrikanischen Westküste gründete und in den Handel mit versklavten Menschen einstieg. Diese Gleichzeitigkeit, hier Bürgerrechte und dort inhumane Ausbeutung, wurde außerdem durch die entstehende rassistische Ideologie vom zivilisierten Selbst und den minderwertigen Anderen überhaupt erst legitimiert. Das Sammeln war nie nur der Spleen einiger Wissenschaftler_innen, sondern stets von oberster staatlicher Stelle geregelt - und so ist es in gewisser Weise heute noch, wie das Humboldt Forum verdeutlicht.
Vergegenwärtigt man sich diesen Kontext der Selbstinszenierung der Mächtigen, so wird deutlich, dass die »Shared Heritage«-Propaganda nicht bloß als Legitimierung für das Humboldt Forum zu begreifen ist. Genau diese Art der Selbstinszenierung ist der Grund, weshalb sich für die Regierenden ausgerechnet die ethnologischen Sammlungen für den symbolträchtigen Ort im Herzen Berlins qualifiziert haben, meint Friedrich von Bose. Das Ganze diene einem übergeordnetem Narrativ deutscher Geschichte, in dem der Kolonialismus zwar eine traurige Verirrung, aber letztlich eine Randerscheinung ist, wohingegen eine unschuldige »wissenschaftliche Neugierde auf das Andere« über viel längere Zeit hinweg den Antrieb zum Sammeln gegeben habe. Bose zufolge soll das Humboldt Forum ein kosmopolitisch daherkommender Ort werden, um »Offenheit für die Welt« als Traditionslinie im öffentlichen Gedächtnis Deutschlands zu verankern.
Die Beweislast umdrehen
Das Humboldt Forum ist also als restauratives, machtpolitisches Unterfangen zu verstehen, das auf internationales Renommee angewiesen ist. Auch wenn neuerdings dazu gehört, laut über vereinzelte Rückgaben nachzudenken, ist ein echtes Teilen im Sinne des Abgebens großer Teile der Sammlung, gar der besonders attraktiven Stücke, nicht zu erwarten. Beispielsweise gelten die sogenannten Benin-Bronzen immer noch offiziell als legitimer preußischer Kulturbesitz, auch wenn bestens bekannt ist, dass sie von den Briten mit Gewalt geplündert wurden. Die Deutschen hätten sie schließlich zu der Zeit legal von britischen Händlern aufgekauft. Man ist meilenweit davon entfernt, den Kolonialismus an sich als Unrechtskontext anzuerkennen - anders etwa, als bei Kunstwerken die zur Zeit des Nationalsozialismus legal von Jüdinnen und Juden abgekauft wurden und die heute nicht als unproblematisch gelten, da man hier in Betracht zieht, dass der Verkauf nicht freiwillig und meist auch nicht zu einem angemessenen Preis erfolgte.
Die Debatte um das Humboldt Forum sollte im Kontext von Reparationen stattfinden: Das hätte den Vorteil, dass moralische und symbolische Fragen mit Fragen politischer Ökonomie zusammen gedacht werden können. Vor allem bringt eine Auseinandersetzung mit der langen Geschichte von Reparationsforderungen für Versklavungshandel und Kolonialismus den notwendigen Perspektivwechsel: Anstatt die passiven Empfänger_innen von Almosen zu sein, wie es bei »Entwicklungshilfe« meist der Fall ist, fordern hier die Nachfahr_innen der Opfer aktiv von den Tätergesellschaften eine Anerkennung ihrer Taten und die Übernahme von Verantwortung. Das neben einer offiziellen Entschuldigung und finanziellen Schuldenerlassen auch die Rückgabe von Kulturgütern dazu gehören soll, wurde schon 1993 in der Abuja Proclamation festgehalten - der Abschlussklärung der ersten panafrikanischen Konferenz für Reparationen, die auf eine Initiative der Vorgängerorganisation der Afrikanischen Union zurück ging. Die Anerkennung des Versklavungshandels als Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde im Jahre 2001 auf UN-Ebene Wirklichkeit, aber gegen den Widerstand der USA und der EU ließ sich damals keine Verpflichtung zu Reparationen irgendeiner Art durchsetzen.
Umso wichtiger ist es, Reparationen auch auf nationaler Ebene zu fordern und Einzelfälle, wie das Prestigeprojekt Humboldt Forum, zu ihrer Konkretisierung zu nutzen. Das würde bedeuten, den Unrechtskontext für alle Objekte aus der Kolonialzeit anzuerkennen, statt so zu tun, als müsse er bei jedem Objekt einzeln nachgewiesen werden - die Beweislast also umzudrehen. Zu den Reparationen würde auch gehören, den Aufbau von Museen in den Herkunftsgesellschaften zu finanzieren, insofern dies gewünscht wird - denn manche der Objekte gehören gar nicht in ein Museum. Es geht daher auch darum, Definitionsmacht abzugeben. Für hiesige Museen würde das bedeuten, alle Posten mit Entscheidungsmacht an Vertreter_innen der Herkunftsgesellschaften der Objekte oder an Angehörige der entsprechenden Diaspora abzugeben, wie es andere Kultureinrichtungen in Berlin bereits vormachen. Die Verbrechen der Versklavung, des Kolonialismus und des Rassismus sind irreparabel. Reparationen können aber Wege in eine gemeinsame Zukunft der Heilung und Solidarität, anstatt der Verdrängung und Selbstinszenierung auf Kosten anderer, aufzeigen.
Luca Vogel hat in den letzten Jahren als Videoaktivist in Berlin die Kämpfe um eine Dekolonisierung der Stadt begleitet. In ak 633 sprach er mit der nigerianischen Kunsthistorikerin Peju Layiwola über die geplünderten Benin-Bronzen.
Anmerkungen:
1) Kwame Opoku: Looted/Stolen Cultural Artefacts Declared »Shared Heritage« auf www.modernghana.com
2) »Mona Lisa in Bangoulap - Die Fabel vom Weltmuseum« ist ein Text von Arno Bertina, der das genannte Szenario durchspielt.