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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 636 / 20.3.2018

Armes Abendland

Rechte In Hamburg mobilisieren Rechte seit Wochen unter dem Motto »Merkel muss weg!«

Von Maike Zimmermann

Minutenlang muss Petra Federau warten. »Lügenpresse, Lügenpresse« schallt es ihr entgegen. Und dann »Widerstand, Widerstand«. Die AfD-Stadtvertreterin aus Schwerin freut sich offensichtlich, wiegt den Oberkörper im Takt der mantraartigen Rufe. Dann liest sie die letzte der »Zehn Forderungen der Frauen von Kandel zur Wiederherstellung von Schutz und Sicherheit in Deutschland« vor und endet mit den Worten: »Weg mit verantwortungslosen Politikern aller Parteien!« Es ist nicht gerade die knackigste der zehn Forderungen, die im Zusammenhang mit dem Mord an einer 15-Jährigen im rheinland-pfälzischen Kandel entstanden - andere sind »Abschiebung jetzt!«, »Der deutsche Pass ist keine Ramschware!«, »Deutschland zuerst!« Aber das spielt heute keine große Rolle.

Die rund 250 Menschen, die an diesem 5. März am Hamburger Dammtor zusammengekommen sind, feiern sich vor allem selbst: Es ist das fünfte Mal in Folge, dass in der Hansestadt montags unter dem Motto »Merkel muss weg« demonstriert wird. Heute gibt es sogar erstmalig Reden - gehalten in schlechter Tonqualität durch ein kleines Megafon.

Außer Petra Federau und ihren Begleiterinnen spricht an diesem Abend vor allem einer: Jürgen Herbst, der unter dem Pseudonym »Mario Atunno« zu den Hauptorganisatoren der seit Jahren stattfindenen Bärgida-Aufmärsche in Berlin gehört. Herbst nennt Steuerhinterziehung »allererste Bürgerpflicht« und spricht von »Invasorenheimen« und der kriminellen Merkel-Regierung. Seine Ausführungen werden wahlweise mit »Volksverräter« (Merkel) oder »Abschieben« (Geflüchtete) kommentiert. Im Nachgang kam bei den Organisator_innen die Sorge auf, der bürgerliche Schein könnte durch Redner wie Herbst beschädigt werden - dabei gibt es an dessen extrem rechter Einstellung wenig Zweifel. Und wenn man sich die Mischung ansieht, die da seit einigen Wochen in Hamburg auf die Straße geht, ist ein Redner wie Herbst eigentlich nicht weiter verwunderlich: Hier trifft sich die Hamburger Türsteherszene mit Hooligans, NPDlern, früheren Aktivisten von Blood & Honour, dem Hamburger Sturm, Combat 18 oder der Savage Army. Hinzu kommen AfDler, Identitäre und irgendwelche Merkel-Hasser_innen. (1)

»Ich habe keine Nazis gesehen«

Die Organisator_innen wissen das. Im Nachklapp zum 5. März hieß für die folgenden Veranstaltungen gelte, dass es sich um einen schweigenden Protest handele, lautes Skandieren sei nicht mehr erwünscht. Man möge außerdem auf Dinge verzichten, »die an die Zeit von 1933-1945 anknüpfen«, und auch Aufrufe zur Gewalt sollen nicht sein. Man versucht sich bürgerlich-unverfänglich zu inszenieren. Dazu passt, dass eine sich naiv gebende Uta Ogilvie, die als Initiatorin der Veranstaltungen gilt, Sachen sagt wie: »Ich hab keine Nazis oder Menschen in Springerstiefeln und Glatze gesehen.« Jetzt kommt sie aber eh nicht mehr, sie hat Angst: vor der Antifa. Deshalb kommentiert sie den Live-Stream von zu Hause aus, und eine Mitstreiterin animiert die Menschen auf der Kundgebung, mit ihr zu rufen: »Wir sind Uta!« (2)

Das wirkt ein wenig albern, denn die meisten der rund 250 Personen sind vor allem zweierlei: männlich und nicht mehr ganz jung. Gleichwohl spielen Frauen bei Protesten wie diesen eine wichtige Rolle. Es ist kein Zufall, dass diese Gruppe von Frauen das »Manifest von Kandel« in Hamburg verliest. In Cottbus heißt Uta Monique, in Bottrop Maja und in Kandel Myriam. »Mein Name ist Myriam. Ich bin die Stimme aus Kandel. Ich stand am 2.1. alleine mit diesem Schild in Kandel vorm Verbandsgemeindehaus und ja: Ich hatte Angst. Ich hatte Angst, meine Meinung zu sagen.« Mehrere Tausend Menschen antworten auf diese Worte in Kandel mit dem obligatorischen »Widerstand«. Frau alleine mit Schild - so war das auch bei Uta.

Es sind Frauen, die rassistische Reden halten, die erzählen, dass ihnen andere Frauen berichtet hätten, man könne abends nicht mehr Joggen gehen, dass das mit den Flüchtlingen alles ganz schlimm sei - vor allem für deutsche Frauen und deutsche Kinder. Alles geht den Bach runter mit diesem Deutschland. »Kandel ist überall«, stand auf einem Schild bei der Kundgebung in Hamburg.

Der vermeintliche Aufschrei deutscher Frauen ist eine Strategie, die Erfolg verspricht. Die Kampagne 120db geht in eine ähnliche Richtung: Junge rechte Frauen, gerne aktiv bei den Identitären, rufen per Videobotschaft dazu auf, sich endlich zu wehren gegen die gewalttätigen »Kulturfremden«, die durch die »illegale Masseneinwanderung« Europa und vor allem Europas Frauen heimsuchten. Dahinter steht knallharter Rassismus. Das Bild der wehrhaften deutschen Frau weckt den letzten Rest Wut beim deutschen Mann, der ja eigentlich dafür da sein sollte, die deutsche Frau zu beschützen. So mischt sich Rassismus mit einer kräftigen Portion patriarchaler Rollenvorstellung.

4.000 Menschen kamen am 3. März in Kandel bei der rassistischen Veranstaltung unter dem Motto »Kandel ist überall« zusammen, 300 folgten einen Tag später dem Ruf der »Mütter gegen Gewalt« nach Bottrop. Am 12. März waren es in Hamburg nur noch 150 Menschen. Das sind zwar keine Massen, aber für eine Stadt wie Hamburg in dieser Regelmäßigkeit durchaus bemerkenswert.

Bemüht bürgerbewegt

Am 12. März wird auch die Form der Inszenierung als Widerstandsbewegung von unten nochmals deutlich. Gab es in der Woche zuvor erstmals ein Megafon, steht nun eine kleine Anlage bereit, um die sich die Menschen im Hamburger Regenwetter drängen. Eine »besorgte Hamburgerin« erklärte sich selbst als Demoneuling, sie habe mit all dem nie etwas zu tun gehabt, aber irgendwann reicht es mal.

Und wieder scheint die Wahl der Redner_innen kein Zufall zu sein - es soll alles bürgerbewegt rüberkommen. Da ist zum Beispiel Raimund Samson, Künstler aus Wilhelmsburg und, wie er sagt, Ex-Linker. Alles fing mit PEGIDA an, erzählt der Mann mit Hut. Doch plötzlich habe er Auftrittsverbote bekommen. »Das hat mich total gekränkt.« Die Menge skandiert: »Widerstand!« Der nächste Redner berichtet, er sei als Reichsbürger denunziert worden, um dann zu erklären, dass in Deutschland ja nie über eine Verfassung abgestimmt worden sei. »Doch!«, ruft einer dazwischen. »In der DDR haben wir über eine Verfassung abgestimmt«, sagt ein Mann aus Neu Wulmstorf und fügt hinzu: »Merkel ist eine Verbrecherin. Sie gehört ins Gefängnis, und man sollte sie ...«, er stockt, »... wegschaffen.«

Danach erklärt ein Stefan den Islam zum Krebsgeschwür und die Antifa zum Feind. Das kommt ziemlich gut an. Denn »die Antifa« hassen hier alle. Auch ein Typ in neonorangefarbener Jacke und einer rosa Wollhasskappe. Er sei jener Rentner, der auf dem Weg zur »Merkel muss weg«-Demo von einem nicht-vermummten Antifa-Aktivisten überfallen wurde - man habe ihm seine Deutschlandfahnen weggenommen. »Zehn Schläge habe ich ins Gesicht bekommen. Na, sagen wir neun. Zehn ist ein bisschen übertrieben.« Er hat einen tollen Vorschlag: Wenn es drei Nazis auf der Veranstaltung gibt, dann mögen sie doch nach vorne kommen und ihn »wegmachen«. Wenn niemand kommt, könne die Hamburger Morgenpost nämlich nicht mehr schreiben, dass Nazis auf den Kundgebungen seien. Diese bestechende Logik wird - wie sollte es anders sein mit »Lügenpresse«-Rufen quittiert.

An jenem 12. März haben rund 1.400 Menschen gegen die »Merkel muss weg«-Veranstaltung protestiert. Verschiedene Gruppierungen wie zum Beispiel das Hamburger Bündnis gegen Rechts mobilisieren seit Wochen gegen die rechten Kundgebungen. »Neben den antifaschistischen Protesten ist es aber auch wichtig, die Menschen darüber zu informieren, was passiert und wer da jede Woche Merkel muss weg brüllt«, sagt Luca Blumen von der Onlineplattform Kein Pegida in Hamburg. Auf der Seite werden seit einiger Zeit alle Informationen rund um das Thema gesammelt. »Das werden wir so lange machen, wie es nötig ist«, so Blumen. »Also mindestens so lange, bis diese rechten Veranstaltungen aus der Stadt verschwunden sind.«

Das Onlineportal Kein Pegida in Hamburg ist zu finden unter keinpegidainhamburg.blogsport.de.

Anmerkungen:

1) Zu den einzelnen Nazis und Ex-Nazis siehe Neue & alte Neonazis bei »Merkel muss weg« - Von »Blood & Honour« bis »Identitäre Bewegung« unter www.exif-recherche.org.

2) Rebecca Baden hat sich einen dieser Livestreams genauer angesehen: »Was der Livestream zu einer Merkel muss weg-Demo über Rechte offenbart«, 28.2.2018, www.vice.com.