Waffen liefern, Bücher beschlagnahmen
Deutschland Die Bundesregierung verschärft ihre Repression gegen kurdische Linke
Von Elmar Millich
In der ersten Hälfte der 1990er Jahre erreichten Krieg, Vertreibung und Massaker durch die türkische Armee in Nordkurdistan ihren Höhepunkt. Möglich wurde dies auch dank massiver Waffenlieferungen aus Deutschland, darunter Leopard-II-Panzer und Waffen der frisch aufgelösten NVA. Auch innenpolitisch lag die Bundesregierung auf der Linie der Türkei. 1993 wurde in Deutschland das PKK-Betätigungsverbot erlassen. Es folgten unzählige Strafverfahren; der Protest der in Deutschland lebenden Kurd_innen gegen die Massaker wurde kriminalisiert.
Heute rollen wieder deutsche Leopard-Panzer gegen Kurd_innen und mit ihnen verbündete Bevölkerungsgruppen, diesmal in der nordsyrisch-kurdischen Enklave Afrin. Und wieder unterstützt die Bundesregierung diesen völkerrechtswidrigen Krieg - durch weitere Rüstungslieferungen an die Türkei in Millionenhöhe auch nach dem Einmarsch, wie aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Omid Nouripour hervorgeht. Aber auch durch gesteigerte Repression gegen politische Aktivitäten der hiesigen aktiven kurdischen Community und der seit dem Kampf um Kobanê 2014 stark angewachsenen deutschen Solidaritätsbewegung.
Ausgehend von einem Erlass des Innenministeriums im März 2017 versuchte die Regierung, auch die Fahnen von YPG/YPJ und PYD bei Versammlungen generell zu verbieten. Dieser Versuch kann aufgrund von erfolgreichen Verwaltungsgerichtsklagen als gescheitert angesehen werden.
Rechtsunsicherheit bleibt dennoch - und ist beabsichtigt: Willkürliche Entscheidungen vonseiten der Anmeldebehörden und der Polizei sind weiter möglich. Auf Anordnung des Bundesinnenministeriums sind nun auch Fahnen mit dem Porträt des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan generell verboten.
In einem Schreiben vom 29. Januar legte das Ministerium noch einmal nach und nannte eine ganze Reihe von Ereignissen, um die herum bei kurdischen Aktivitäten generell von einem PKK-Bezug auszugehen sei, darunter auch das im März stattfindende Neujahrsfest Newroz. Konsequenterweise wurde zunächst erstmalig die zentrale Kundgebung - dieses Jahr in Hannover - verboten. Der kurdische Dachverband NAV-DEM habe als Teilorganisation der PKK generell das Recht verwirkt, Veranstaltungen anzumelden, hieß es in der polizeilichen Verbotsverfügung.
Auch die Kriminalisierung von Gesten der Solidarität mit YPG/YPJ und PYD, etwa das Teilen ihrer Symbole in den sozialen Netzwerken, läuft auf Hochtouren. So rückte am 20. Februar eine Hundertschaft vermummter und mit Maschinenpistolen bewaffneter Polizisten beim Gasthof Meuchefitz im Wendland an, um ein an der Hausfassade angebrachtes Transparent zu beschlagnahmen. Darauf war zu lesen: »Türkische Truppen & deutsche Waffen morden in Rojava! Es lebe die YPG/YPJ«.
Auch bezüglich der Meinungs- und Pressefreiheit schließt Deutschland gegenüber der Türkei auf. Am 8. März startete auf Anordnung des Innenministeriums eine Razzia gegen die in Neuss ansässige MIR Multimedia GmbH und den Mezopotamien-Verlag. Dabei wurden insgesamt 7,5 Tonnen Material beschlagnahmt. Darunter befanden sich neben Werken in türkischer und kurdischer Sprache auch die ins Deutsche übersetzten Schriften von Abdullah Öcalan und die dreibändige Biografie des PKK-Gründungsmitglieds Sakine Cansiz.
Der aktuellen Repressionswelle vorausgegangen waren mehrere Treffen des ehemaligen Außenministers Sigmar Gabriel (SPD) mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Çavusoglu. Den Preis für die erneute deutsch-türkische Annäherung zahlen wie so oft mal wieder die Kurd_innen.