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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 637 / 17.4.2018

Aufgeblättert

DDR-Antisemitismus

Ein anderer Rezensent des Sammelbands »Stalin hat uns das Herz gebrochen« schien den Eindruck erwecken zu wollen, dass es sich bei dem Buch um die erste linke Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der DDR und der Verfolgung jüdischer Kommunist_innen handele. Dass dem nicht so ist, wissen nicht zuletzt die Herausgeber_innen selbst: Die meisten von ihnen beschäftigen sich seit mindestens zehn Jahren mit dem Thema. Liest man das Buch als ein Destillat langer Auseinandersetzungen, findet man leichter einen eigenen Weg durch das »mühsam zustande gekommene Ergebnis eines Autor*innenkollektivs«. Liebes Kollektiv, das Ergebnis eurer Arbeit kann sich sehen lassen, denn wer zum Thema Antisemitismus in der DDR einfache Antworten sucht, braucht diese in der Regel zur Legitimation von Interessen, denen komplexe Darstellungen nicht dienlich sind. Dieser Gefallen wird hier niemandem getan. Stattdessen: Biografiearbeit, Darstellung der schwierigen Verhältnisse zwischen jüdischen Kommunist_innen in Funktionen auf unterschiedlichen Parteiebenen und der Beziehungen zwischen ehemaligen Exilant_innen mit und ohne Parteiausweis; eine Auseinandersetzung mit modernem Antisemitismus nicht nur als Theorie, sondern entlang von politischen Strategien in prä- und postrevolutionären Zuständen und dem Sozialismus in Staatsform.

Claudia Krieg

Arbeitskreis »Stalin hat uns das Herz gebrochen« der Naturfreundejugend Berlin [Autor*innenkollektiv]: Stalin hat uns das Herz gebrochen. Antisemitismus in der DDR und die Verfolgung jüdischer Kommunist*innen. Edition Assemblage, Münster 2018. 208 Seiten, 14,80 EUR.

Lieber tot als rot

»Friedenspolitik war in vergangenen Jahrzehnten für die Gewerkschaftsbewegung ein zentrales Anliegen«, behauptete der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger Anfang März in einem Interview mit der Tageszeitung junge Welt. Dieser These widerspricht der Politikwissenschaftler Malte Meyer in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel »Lieber tot als rot« mit guten Argumenten. Meyer untersucht das Verhältnis der großen Gewerkschaften (ADGB in der Weimarer Republik und DGB in der BRD) in Deutschland zum Militär in den letzten 100 Jahren. Ihre Integration in den Staatsapparat und die Übernahme der Staatsraison, wozu der Antikommunismus gehört, seien der Grund dafür gewesen, dass diese Gewerkschaften die Armee vollständig akzeptierten, so die These des Autors. In der noch immer gültigen gemeinsamen Erklärung von DGB und Bundeswehr aus dem Jahr 1981 bezeichnen sich beide als unverzichtbare Säulen des Staates. Es ging eben nicht nur um die Verteidigung von Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie, was linke Gewerkschafter_innen gerne anführen, betont Meyer. Auch an der kommunistischen Strömung kritisiert er einen Geist von Disziplin und Unterordnung, der historisch oft ein Einfallstor für Militarismus war. Meyer tritt für eine bessere Kooperation der kleinen antimilitaristischen Szene ein und bezieht sich auf die vor allem in Deutschland minoritäre antiautoritäre Strömung in der Arbeiterbewegung. Mit seinem Buch liefert er dazu wichtige historisch unterfütterte Argumente.

Peter Nowak

Malte Meyer: Lieber tot als rot, Gewerkschaften und Militär in Deutschland seit 1914. Edition Assemblage, Münster 2017, 335 Seiten, 19,80 EUR.

Stuart Hall

Der 2014 verstorbene Stuart Hall war ein Begründer der Cultural Studies. In der heutigen Rezeption seiner Werke werden häufig seine politische Praxis und seine kritischen Auseinandersetzungen mit verschiedenen marxistischen Strömungen ignoriert. Die Herausgeber_innen verfolgen mit dem Sammelband das Hallsche Anliegen, »einen Marxismus ohne Gewähr zu entwickeln«. Der Band umfasst sieben relativ knapp gehaltene Beiträge, die verschiedene Aspekte von Halls Werk aufgreifen. Dabei werden neben der Hippie-Kultur in Haight Ashbury auch Prozesse ursprünglicher Akkumulation in Brasilien, der argentische Milchmarkt oder der Gangsta-Rap in den Blick genommen. Darüber hinaus widmen sich Beiträge der Bedeutung feministischer und antirassistischer Einflüsse im Werk Halls und der Frage, welchen Beitrag er zur Erneuerung kritischer Gesellschaftstheorie leisten kann. Die Bandbreite der behandelten Themen deutet an, wie vielschichtig und produktiv Halls Gesellschaftsanalysen sind. Die Beiträge liefern Impulse, wie das Denken Halls für die kritische Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse fruchtbar gemacht werden kann. Hilfreich wäre eine stärkere Bezugnahme der Beiträge aufeinander gewesen. Darüber hinaus wäre ein Beitrag zu Halls Konzept des autoritären Populismus, mit dem er den Aufstieg des Thatcherismus erklärte, interessant gewesen. Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen spannenden Band, der wichtige gesellschaftstheoretische Fragen behandelt.

Tobias Haas

Maria Backhouse, Stefan Kalmring, Andreas Nowak (Hg.): In Hörweite von Stuart Hall. Gesellschaftskritik ohne Gewähr. Argument-Verlag, Hamburg 2017. 156 Seiten, 16 EUR.

Räterepublik

Der Anarchist Erich Mühsam, der Sozialist Ernst Toller und die Kommunistin Hilde Kramer bilden das Protagonistentrio, entlang dessen Wirken Simon Schaupp den Verlauf der Vorbereitung, Ausrufung und Niederschlagung der bayerischen Räterepublik erzählt. Die kurzen Einträge im Tagebuchstil machen das Buch, welches größtenteils bekannte Quellen synthetisiert, flüssig lesbar, auch wenn es im Mittelteil in der Wiedergabe von Reden, Versammlungen und (schlussendlich nicht realisierten) Gesetzesvorhaben ein wenig zu deskriptiv daherkommt. Mit kritischer Sympathie und Gespür für historische Ironie zeichnet Schaupp nach, wie wenig die hehre revolutionäre Theorie in der Praxis Bestand hatte: Mühsam meinte, dass die Republik nur mit der KPD erreicht werden könne, und argumentierte zeitweilig für Zentralismus; Toller, der Pazifist, wurde Kommandant der Rätearmee und befürwortete Geiselnahmen. Die Leserin erkennt, dass die Republik durch militante Massen auf der Straße und organische Intellektuelle erkämpft und erstreikt wurde; die Schilderung der brutalen Konterrevolution ist umso bedrückender. Zwei Wermutstropfen: Aufgrund der Quellenlage ist die weibliche Protagonistin eingeschränkt vertreten, und der Fokus auf die »Bohème« lässt Motivationen anderer sozialer Gruppen unbeachtet. Dennoch: Für Interessierte ohne profundes Hintergrundwissen bietet das Buch den idealen Einstieg in diese herausragende Episode linker deutscher Geschichte.

Andrés de Oso

Simon Schaupp: Der kurze Frühling der Räterepublik. Ein Tagebuch der bayerischen Revolution. Unrast Verlag, Münster 2017. 302 Seiten, 19,80 EUR.